Nach den Anschlägen von Kabul am Donnerstag hat Spanien die Evakuierungen von Schutzsuchenden beendet und sich vollständig aus dem Konfliktland zurückgezogen. Die letzten 81 Spanier, die sich zuletzt noch im Land aufgehalten hätten, seien am Freitag in einem Transportflugzeug Airbus A400M der Luftwaffe nach Dubai ausgeflogen worden, teilte die Regierung in Madrid mit. Es handele sich um Botschafter Gabriel Ferrán, Botschaftsmitarbeiter und Militärpersonal, hieß es. Außerdem seien in den letzten beiden Evakuierungsflügen auch vier Militärangehörige aus Portugal und 85 afghanische Mitarbeiter Spaniens, Portugals und der Nato aus dem Land gebracht worden.

In diesen Tagen war Torrejón de Ardoz zu einem der größten Auffanglager für Personen geworden, die vor den Taliban aus Afghanistan gerettet werden. Insgesamt kamen in mehreren Flügen – mit Militärtransportern sowie angemieteten Maschinen der privaten Air Europa, die Menschen vom Zwischenstopp Dubai nach Madrid weitertransportiert – rund 1900 Menschen aus Kabul in Spanien an.

In Zelten werden die Geflüchteten einer Gesundheitskontrolle unterzogen, bevor ihre Daten aufgenommen werden. Viele beantragen direkt Asyl in Spanien, andere bevorzugen es, in andere Länder Europas weiterreisen zu können. So wurden bereits Afghanen nach Deutschland, Dänemark und andere EU-Staaten geschickt. Denn das Lager in Madrid, mit einer anfänglichen Kapazität für 800 Personen, hat eine zentrale Funktion in der EU bei der Aufnahme und Verteilung von Tausenden Menschen, die vor der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan fliehen.

Bei den Geflüchteten werden keine Unterschiede gemacht. Bislang konnten aus Kabul von Reinigungskräften der spanischen Botschaft bis zu Übersetzern und Beratern des Militärs Leute gerettet werden. Die größte Aufmerksamkeit bekam jedoch der Fall von Nilofar Bayat. Die Kapitänin der afghanischen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft, die sich für Frauenrechte stark gemacht hat, wurde mit ihrem ebenfalls behinderten Ehemann nach Bilbao gebracht, wo ihnen ein Platz in den dortigen Teams angeboten wurde.

Der Krisenstab der Regierung, der das Auffanglager in Madrid gemeinsam mit Hilfsorganisationen leitet, hat es bislang geschafft, dass die Menschen binnen 48 Stunden in bessere Verhältnisse gebracht werden können. So werden die Afghanen je nach Bedarf – ob Familien oder Einzelpersonen – auf Einrichtungen in mehreren Regionen Spaniens verteilt.

Lob von Ursula von der Leyen

In Torrejón de Ardoz war am Samstag (21.8.) zudem auch hoher Besuch aus Brüssel angereist. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der EU-Ratspräsident Charles Michel und der Außenbeauftragte der EU, der Spanier Josep Borrell, standen Spaniens Premier Pedro Sánchez zur Seite. „In Zeiten der Not hat Spanien Menschlichkeit und ein großes Solidarverhalten gezeigt. Das ist ein gutes Beispiel der europäischen Seele in ihrer besten Art“, erklärte von der Leyen.

Die spanische Regierung war in dem Chaos in Kabul darum bemüht, so viele Mitarbeiter wie möglich außer Landes zu bringen. An der Operation waren 110 Soldaten beteiligt sowie Spezialkräfte der Polizei. Das Aufspüren der Personen, die für eine Evakuierung infrage kommen, ist nicht leicht. Die ehemaligen Mitarbeiter der Botschaft und der Streitkräfte in Afghanistan sollten am Flughafen „España, España“, rufen, eine spanische Flagge hochhalten oder zur Not „irgendetwas Rotes“, riet die Verteidigungsministerin Margarita Robles am Sonntag (22.8.).

Zusätzlich zum Lager in Torrejón de Ardoz, wo hauptsächlich afghanische Mitarbeiter der europäischen Staaten aufgenommen werden sollen, vereinbarte Sánchez in einem Telefongespräch mit US-Präsident Joe Biden am Wochenende, dass die Amerikaner ihre langjährigen Militärstützpunkte in Rota und Morón in Andalusien, für die Aufnahme von 4.000 Afghanen nutzen können. Es war der erste nennenswerte Kontakt zwischen Sánchez und Biden, seit dieser im Januar ins Weiße Haus einzog, abgesehen von einem flüchtigen Treffen am Rande des NATO-Gipfels im Juni. Die konservative Opposition verspottete den spanischen Regierungschef damals und unterstellte ihm, international kein Gewicht zu haben. In den vergangenen Tagen ist die Kritik der konservativen Volkspartei (PP) und der nationalliberalen Ciudadanos am Krisenmanagement der Regierung jedoch verstummt, angesichts des Lobes für Sánchez aus Brüssel und Washington. PP-Chef Pablo Casado sicherte Sánchez am Montag (23.8.) seine Unterstützung in Staatsfragen wie der Außenpolitik zu.

Wie in anderen Hauptstädten ist auch in Madrid Selbstkritik für das Scheitern des Westens am Hindukusch zu hören. Spanien war seit Beginn an der internationalen Militärallianz ISAF beteiligt, die 2001 als Antwort auf die Anschläge vom 11. September in Afghanistan einmarschierte. Die Spanier leiteten lange Zeit den Stützpunkt in Herat im Westen des Landes und zählten zwischenzeitlich 1.500 Einsatzkräfte. Mit 102 Todesopfern war Afghanistan der blutigste Auslandseinsatz der spanischen Streitkräfte seit Ende der Diktatur. Einige Soldaten und Polizisten fielen Sprengkörpern und Schüssen der Taliban zum Opfer.

Die beiden schlimmsten Ereignisse waren jedoch Unfällen geschuldet. Im Mai 2003 verloren 62 Militärs, 12 Besatzungsmitglieder und ein Passagier aus Weißrussland beim Absturz einer Maschine über der Türkei das Leben. Die Streitkräfte hatten, wie die Ermittlungen später herausfanden, eine untaugliche Maschine des Typs Yakolev-42 der Privatgesellschaft Ukrainian Air Mediterranean für den Rücktransport ihres Personals gechartert. Ein zuständiger General wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Im August 2005 starben 17 Soldaten beim Absturz eines Hubschraubers, der den Ermittlungen nach ohne Fremdeinwirkung geschah. Die letzten Toten – zwei Polizeibeamte – starben bei einem Anschlag auf die Botschaft in Kabul 2005. In den kommenden Tagen wird die Mission vollständig beendet sein.