In Kastilien sind die Sommer heiß und trocken, und das Meer liegt Hunderte Kilometer weit weg. Daher zieht es Anwohner und Urlauber an die Stauseen, die ein Bad, eine Bootstour oder ein Picknick im Grünen mit Blick aufs Wasser ermöglichen. So etwa in Ricobayo, in der Provinz Zamora in Nord-Kastilien. Doch zum Entsetzen der Menschen war von dem blauen Gewässer im August nur noch ein brackiger Teich inmitten eines riesigen Kraters übrig. Die umliegenden Gemeinden zeigten gleich auf den Schuldigen: Iberdrola, einer der drei dominierenden Energieversorger Spaniens, hatte das Reservoir geleert, von 94 Prozent der Kapazität im März auf nur noch elf Prozent im August.

Der Hintergrund sind die drastisch gestiegenen Strompreise, die in den vergangenen Wochen einen Rekord nach dem anderen gebrochen haben. Die Preisexplosion lag an den gestiegenen Rohstoffpreisen auf den Weltmärkten und dem Anstieg der Preise für CO₂-Zertifikate. Versorger wie Iberdrola nutzen die zahlreichen von ihnen betriebenen Talsperren im Lande, um billige Wasserkraft zu produzieren und dafür Top-Tarife zu kassieren. „Ein Skandal“ nannte das Teresa Ribera, Ministerin für Umwelt und Energiewende. „Es ist klar, dass einige Unternehmen exzessive Gewinne erzielen“, sagte Ribera, eine von drei Stellvertreterinnen von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez.

Nun sollen Konsequenzen folgen. Denn Ricobayo ist längst kein Einzelfall. Auch der riesige Stausee Valdecañas in der Extremadura sackte auf einen Minimalstand ab, der nebenbei zahlreiche einst überflutete Kulturdenkmäler zum Vorschein brachte. Einige betroffene Gemeinden beklagten eine Unterbrechung der Wasserversorgung, da sie teilweise aus den Talsperren abpumpen. Iberdrola, wie der Mitbewerber Naturgy, waren sich dagegen keiner Schuld bewusst. Die Stauseen seien vor allem Energiespeicher, die nach Bedarf angezapft werden könnten. So stände es auch in den Lizenzen zum Betrieb der Reservoirs, erklärten die Firmen.

Doch damit soll bald Schluss sein. Wirtschaftsministerin Nadia Calviño kündigte am Montag (6.9.) im Staatsfernsehen „Maßnahmen gegen schlechte Geschäftsgebaren“ an, denn der „unangebrachte Umgang mit den öffentlichen Lizenzen, aus reinen Profitgründen der Unternehmen, hat negative Folgen für die Gesellschaft und die Umwelt“.

Spanien ist dank seiner gebirgigen Landschaft übersäht mit Stauseen, die der Wasserversorgung und Stromgewinnung dienen. Viele wurden während der Franco-Diktatur (1936–1975) gebaut, als man auf Proteste von Anwohnern der gefluteten Ortschaften keine Rücksicht nehmen musste. Die Wasserkraftwerke wurden an Unternehmer vergeben, die dem Regime nahestanden. Die meisten der heutigen Lizenzen stammen aus dieser Zeit, wie etwa die von Iberdrola.

Viele Lizenzen gelten noch Jahrzehnte, doch andere laufen bald aus. Ministerin Ribera erwägt nun, den Betrieb der frei werdenden Talsperren in die öffentliche Hand zu übergeben. Der kleine Koalitionspartner der Sozialisten, das Linksbündnis Unidas Podemos, ist begeistert. Zu den klassischen Forderungen der Linken zählt die Schaffung eines staatlichen Energieversorgers. Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich oder Deutschland ist der Strommarkt in Spanien nämlich eine reine Privatveranstaltung, seit vor gut 20 Jahren Endesa privatisiert worden war. Das ehemalige Staatsunternehmen gehört heute ironischerweise dem Konzern Enel, der vom italienischen Staat kontrolliert wird.

Einen kompletten öffentlichen Versorger lehnen die Sozialisten jedoch ab, wie Ribera und Calviño betonen. Möglich sei lediglich die teilweise Übernahme von einzelnen Wasserkraftwerken. Doch auch für die Stauseen, die auf absehbare Zeit weiter von den Privatkonzernen betrieben werden, soll es demnächst neue Regeln geben. So erwägt die Umweltministerin etwa die Einführung von Mindestpegelständen und eine strengere Kontrolle darüber, wie viel Wasser zur Stromerzeugung abgelassen werden darf.

Die Wasserkraft hat für die Energiewende in Spanien eine große Bedeutung. Von Januar bis Juni kamen 15 Prozent des Stroms aus Wasserkraftwerken, wie der Netzbetreiber REE mitteilte. Die Windkraft lieferte 25 Prozent des Verbrauchs, der Solarstrom knapp acht Prozent. Doch diese beiden erneuerbaren Energiequellen sind recht instabil, da nicht immer genug Wind weht oder die Sonne scheint. Die Wasserkraftwerke, sofern die Reservoirs ausreichend gefüllt sind, können dazu beitragen, solche Engpässe bei der Produktion auszugleichen. Das reine Profitdenken der privaten Versorger soll nach dem Willen der Regierung in Zukunft keine ausschlaggebende Rolle mehr spielen. Und auch die Sommerfrische an den Ufern des Sees in Ricobayo soll auf diese Weise Berücksichtigung finden.