Spanien ist weit mehr als Madrid. Unter diesem Motto will die Regierung aus Sozialisten (PSOE) und dem Linksbündnis Unidas Podemos die Dezentralisierung der Staatsverwaltung angehen – eine Idee, die alle Jahre wieder auflebt und nicht unumstritten ist. „Einige stört es, dass ich die Notwendigkeit einer Dezentralisierung der Institutionen in unserem Land verteidige. Ich glaube, es ist nur gerecht, dass wir zwischen allen Gebieten eine ernste und ehrliche Debatte darüber führen, welche öffentlichen Institutionen aus der Hauptstadt in andere Regionen verlagert werden können, wo sie den Staat repräsentieren“, erklärte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez vor kurzem im Vorfeld des Parteitages der PSOE in Valencia.

Vor fast 500 Jahren hatte sich König Felipe II. für den wenig bedeutenden, kleinen Ort Madrid in der geografischen Mitte der Iberischen Halbinsel als Hauptstadt seines immensen Reiches entschieden. Unter der Dynastie der Habsburger behielten viele der historischen Regionen und Landesteile zunächst weitgehende Eigenständigkeit. Das fand mit dem Wechsel zu den Bourbonen Anfang des 18. Jahrhunderts ein Ende. Während der Franco-Diktatur (1939–1975) war dann die gesamte Staatsmacht in Madrid angesiedelt. Mit der Rückkehr zur Demokratie 1978 verwandelte sich Spanien in eine Art föderalen Staat, in dem die 17 Autonomen Regionen viele Kompetenzen erhalten haben. Doch alle wichtigen Institutionen des Zentralstaates befinden sich weiterhin in der Hauptstadt, und sogar die allermeisten der weniger wichtigen Organe.

So arbeitet denn auch fast ein Drittel der Angestellten der Zentralverwaltung – eine halbe Million Menschen – in Madrid. Die Region hat nicht zuletzt dank des Hauptstadtfaktors in den vergangenen Jahren wirtschaftlich fast alle anderen Landesteile abgehängt, vor allem die einstige Wirtschaftshochburg Katalonien.

Deutschland als Vorbild

Die Verfechter der Dezentralisierung verweisen gern auf das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, wo zahlreiche Institutionen außerhalb von Berlin angesiedelt sind, so etwa die Bundesbank in Frankfurt oder das Verfassungsgericht in Karlsruhe. In Portugal stimmte das Parlament vor Kurzem dafür, das Verfassungsgericht von der Hauptstadt Lissabon nach Coimbra zu verlegen. Das dient als Vorlage für die Initiative von spanischen Juristen, die das höchste Tribunal in Cádiz ansiedeln wollen zu Ehren der Verfassung von 1812, die in der einzigen Stadt, die nicht von der Armee Napoleons besetzt war, verabschiedet wurde. Ein solcher Umzug gilt jedoch als höchst unwahrscheinlich.

Sánchez hat klar gemacht, dass es ihm zunächst darum geht, neu gegründete staatliche Behörden und Einrichtungen außerhalb Madrids zu eröffnen. Als Beispiel dient das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (Incibe), das vor 15 Jahren in León, einer Provinzhauptstadt mit 125.000 Einwohner in Kastilien-León, seine Arbeit begann. Das Incibe zählt 900 Mitarbeiter, doch sind in seinem Umfeld 75 Firmen entstanden, die weit mehr Menschen beschäftigen. Diesen Effekt verspricht man sich auch von anderen Projekten. So hat die staatliche Eisenbahngesellschaft Renfe Technologie- zentren auf fünf Orte in einwohnerschwachen Regionen Spaniens verteilt.

„Warum kann das staatliche Tourismusbüro Turespaña nicht in Palma angesiedelt sein, das Institut für Meereskunde am Strand von Vigo oder das Spanische Tanzzentrum in Sevilla?“, fragte Ximo Puig, der Premier der Comunitat Valenciana, vor zwei Wochen. Der sozialistische Landesfürst geht mit gutem Beispiel voran. So sitzt die regionale Tourismusbehörde nicht in der Hauptstadt Valencia, sondern in der Urlauberhochburg Benidorm, ähnlich wie andere regionale Einrichtungen.

Die Verteilung der Institutionen auf regionaler Ebene ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. In einigen Autonomen Regionen ist fast alles in der Landeshauptstadt konzentriert, so etwa auch auf den Balearen, wobei in diesem Fall auch die Rolle der Inselräte zu beachten ist. Auf den Kanarischen Inseln pendelt die Regionalregierung praktisch zwischen den beiden Provinzhauptstädten Santa Cruz de Tenerife und Las Palmas. Der Oberste Gerichtshof von Andalusien ist nicht in Sevilla, sondern in Granada, und der des Baskenlands in Bilbao statt in der Hauptstadt Vitoria.

Sánchez und die weiteren Befürworter der Dezentralisierung verfolgen vor allem zwei Ziele. Zum einen soll mit der Ansiedlung staatlicher Einrichtung in strukturschwachen Gegenden dem wachsenden Problem der Landflucht begegnet werden. Die Datenverarbeitung des spanischen Sozialversicherungssystems zum Beispiel schafft Arbeitsplätze in Soria, einer der am dünnsten besiedelten Provinz des Landes. Zum anderen will man zeigen, dass der spanische Staat überall präsent ist und dass „die Bürger sich nahe an den wichtigen Institutionen fühlen“, wie es der Regierungschef von Aragón, Javier Lambán, ebenfalls von der PSOE, ausdrückte. Die katalanischen Sozialisten haben einen kühnen Vorschlag der Vergangenheit aufgewärmt – und bringen die Verlegung des spanischen Senats nach Barcelona ins Spiel.

Die Hauptstadt Kataloniens beherbergte einst die spanische Wettbewerbsaufsicht für den Telekommunikationsbereich (CMT), bevor die konservative Regierung von Mariano Rajoy diese im Zuge eines Umbaus aller Aufsichtsbehörden wieder nach Madrid zurückholte. Bei der konservativen PP stößt Sánchez’ Plan der Dezentralisierung ohnehin auf Widerstand, obwohl sie selbst in fünf Regionen an der Macht ist. Die streitlustige Ministerpräsidentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso, beschuldigte Sánchez gar, die Hauptstadt „enthaupten“ zu wollen. Die PP denkt generell darüber nach, den Föderalismus teilweise zurückzudrehen und gewisse Zuständigkeiten von den Autonomen Regionen wieder an die Zentralregierung zu geben. Die rechtsextreme Vox würde am liebsten das ganze System der Comunidades Autónomas abschaffen.

Auf dem Parteitag der Sozialisten verabschiedeten die Delegierten schon mal einen Beschluss über die Dezentralisierung zumindest für die eigene Partei. Zum Beweis, dass die PSOE die Idee ernst nimmt, wurden seit langer Zeit erstmals wieder Vertreter aller 17 Landesverbände in die erweitere Führungsspitze der Partei gewählt.