Seit einigen Jahren ist die spanische Politik von einem hohen Maß an Instabilität geprägt. Nun eröffnete sich dem erstaunten Publikum ein neues, atemberaubendes Kapitel: die Selbstzerstörung der konservativen Volkspartei (PP) in wenigen Tagen. Nach dem sehr knappen Wahlsieg der PP bei den Regionalwahlen in Kastilien-León am 13. Februar hatte Oppositionsführer Pablo Casado vollmundig die „politische Wende“ mit Blick auf die spanischen Parlamentswahlen kommendes Jahr eingeläutet.

Eine Woche später, am Mittwoch (23.2.), verkündete er bei der wöchentlichen Fragestunde im Parlament seinen Abschied. „Mein Verständnis von Politik beruht auf dem Respekt gegenüber dem Gegner und der Hingabe an die Kollegen“, sagte Casado, bevor er den Plenarsaal verließ. „Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute“, erklärte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez.

Die Gewinnerin: Díaz Ayuso zog Medien und Parteikollegen auf ihre Seite. | FOTO: EUROPAPRESS

Es waren die Kollegen, die compañeros, die den Vorsitzenden der PP zu Fall brachten. Casado zog im lange schwelenden internen Machtkampf mit der Regionalpräsidentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso, klar den Kürzeren und muss nun das Feld räumen. Ein Sonderparteitag wird wohl den einflussreichen, langjährigen Ministerpräsidenten von Galicien, Alberto Núñez Feijóo, zum neuen Vorsitzenden der Oppositionspartei küren.

Der Konflikt zwischen Casado und Díaz Ayuso hatte sich lange angebahnt, auch wenn niemand einen so turbulenten Ausgang erwartet hätte, einschließlich in aller Öffentlichkeit ausgetragener persönlicher Attacken. Die beiden PP-Spitzen sind Freunde aus der Zeit, als beide in der Jugendorganisation der Konservativen aktiv waren. Nachdem der heute 41-jährige Casado 2018 etwas unerwartet zum Nachfolger von Mariano Rajoy an der Spitze der Partei gewählt worden war, setzte er überraschend die wenig bekannte Díaz Ayuso auf den Posten der Regierungschefin in der Hauptstadtregion.

Im Mai vergangenen Jahres erzielte die unorthodoxe Politikerin mit 45 Prozent der Stimmen ein Traumergebnis. Sie hatte einen schrägen, emotionsgeladenen Wahlkampf geführt, der unter dem Schlagwort „Freiheit“ sowie mit geöffneten Bars und Restaurants die Pandemiemüdigkeit in der Gesellschaft auszunutzen wusste.

Der Verlierer: Casado nimmt seinen Abschied. | FOTO: CHEMA MOYA/EFE

Status eines Popstars

Seit dem Wahlsieg ist die 43-Jährige ein Schwergewicht in der PP. Bei konservativen Wählern genießt Díaz Ayuso den Status eines Popstars. Mit ihren wüsten Angriffen auf die spanische Regierung aus Sozialisten und Linken kann sie sogar Wähler der rechtsextremen Vox begeistern. Casado fürchtete fortan, dass die ambitionierte Madrilenin an seinem Stuhl sägen würde. Im Herbst dann wurden der PP-Spitze Informationen über einen verdächtigen Deal zugetragen, der Díaz Ayuso belasten könnte.

Zu Beginn der Pandemie hatte ihre Regierung einen Vertrag über 1,5 Millionen Euro für die Beschaffung von Atemschutzmasken an eine Firma gegeben, die bis dahin nicht im Sanitätsbereich tätig war. Die Firma, Priviet Sportive, gehört einem Kindheitsfreund von Díaz Ayuso und ihrem Bruder Tomás. Der Unternehmer in der Gesundheitsbranche erhielt von jener Firma 286.000 Euro.

Im Oktober zitierte Casado seine Rivalin in die Parteizentrale und bat um Aufklärung des Falls. Doch Díaz Ayuso beschwor, von nichts zu wissen. Nachdem die Geschichte mit dem 1,5-Millionen-Vertrag von eldiario.es aufgedeckt worden war, wies die Madrider Regierungschefin jegliche Vorwürfe zurück. Seitdem herrschte eine gewisse Ruhe.

Machtkampf nach Wahlen in Kastilien-León

Doch nach der Wahl in Kastilien-León war der Burgfrieden beendet, und der Machtkampf brach aus. In konservativen Medien wie „El Mundo“ wurde berichtet, dass die PP-Führung um Casado angeblich Untersuchungen in die Geschäfte von Tomás Díaz Ayuso eingeleitet und zu diesem Zweck sogar ein Detektivbüro kontaktiert habe. Díaz Ayuso nahm sofort die Opferrolle an. „Ich hätte nie gedacht, dass meine eigene Partei auf so grausame Art gegen mich vorgehen würde“, sagte sie in einer offiziellen Erklärung und verlangte „Konsequenzen“ im PP-Vorstand.

Casado ging tags darauf zum Gegenangriff über. „Wenn täglich 700 Menschen sterben, kann man dann einen Vertrag mit seiner Schwester machen und dafür 286.000 Euro kassieren?“, fragte sich Casado in einem Radiointerview bei „Cope“. Das ging unter die Gürtellinie. Doch der Chef der Konservativen hatte offensichtlich die Machtverhältnisse falsch eingeschätzt. Die ideologisch nahestehenden Medien schlugen sich auf die Seite von Díaz Ayuso, und nach und nach verließen seine Getreuen das sinkende Schiff.

José Luis Martínez-Almeida, der Bürgermeister von Madrid, verzichtet auf seinen Nebenjob als Sprecher der PP. Generalsekretär und Nummer zwei der Partei, Teodoro García Egea, musste seinen Hut nehmen. Schließlich protestierten am Sonntag (20.2.) 3.000 Menschen vor der Parteizentrale in Madrid gegen Casado.

Die mächtigen Provinzfürsten der PP, angeführt vom Galicier Alberto Núñez Feijóo, denen Casados Oppositionsstil nie richtig zugesagt hatte, versetzen ihm den Todesstoß, als sie einen außergewöhnlichen Parteitag forderten. Einziger Zweck: die Kür eines Nachfolgers.

Auf spektakuläre Weise gewonnen

Ayuso und ihr Berater Miguel Ángel Rodríguez, ein wahrer Meister der politischen Intrige, haben den Machtkampf auf spektakuläre Weise gewonnen. Doch wird sich zeigen, wie beschädigt die Madrilenin aus der Affäre herausgehen wird. Die Antikorruptionsbehörde der Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen des Vertrages mit Priviet Sportive eingeleitet.

Die Opposition leckt bereits Blut. Díaz Ayuso gab in einer Mitteilung an, dass ihr Bruder von der Firma des gemeinsamen Freundes 56.000 Euro plus Mehrwertsteuer erhalten habe. Da stellt sich die Frage, was das Unternehmen eigentlich beigetragen hat. Außerdem erhielt Tomás Díaz Ayuso drei weitere Zahlungen von Priviet Sportive, die laut seiner Schwester nichts mit ihrer Regierung zu tun hätten und für die sie keine Rechenschaft schuldig sei. „Ich hoffe, dass mit diesen Erklärungen niemand an meiner Ehrenhaftigkeit zweifelt“, so Díaz Ayuso.

Diese Frage muss nun die Justiz klären. Doch die Erfahrung zeigt, dass die zahlreichen bewiesenen Korruptionsskandale der PP in Madrid kaum Einfluss auf die Wahlergebnisse hatten. „Die große Sünde von Pablo Casado, der wahre Grund seiner Absetzung, ist, dass er es gewagt hat, offen einen Korruptionsfall anzuprangern“, kommentierte der Chefredakteur von eldiario.es, Ignacio Escolar. Das sah der geschasste Generalsekretär der PP, García Egea, ähnlich: „Wenn man in einer Partei keine Fragen mehr stellen darf, dann sollte man es lieber sein lassen.“