Die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine bestimmen die Agenda bei fast jedem bilateralen Treffen in Europa. So auch beim Antrittsbesuch von Bundesfinanzminister Christian Lindner in Madrid vergangene Woche. Im Gespräch mit Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, die das Land im Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin) vertritt und somit die erste Ansprechpartnerin Lindners ist, ging es um die Pläne der EU, die Abhängigkeit von russischem Erdgas schnellstmöglich zu reduzieren.

Durch den Konflikt in Osteuropa ist Spanien wieder als Kandidat für eine alternative Versorgung mit Erdgas ins Rampenlicht gerückt. Das Land bezieht Gas aus Algerien über zwei Pipelines durchs Mittelmeer. Außerdem hat Spanien sieben Terminals zur Aufarbeitung von Flüssiggas – einer davon ist noch nicht in Betrieb –, mehr als jedes andere Land in Europa. LNG wird im Erzeugerland verflüssigt, um weniger Platz für den Transport per Schiff einzunehmen, und bei Ablieferung in den Terminals wieder in Gas zurückverwandelt. Das ermöglicht den Import aus verschiedenen Ländern der Welt.

Potenziale für eine Zusammenarbeit

„Spanien hat nicht nur eigene Bezugsquellen in Nordafrika, sondern, wenn ich richtig sehe, auch sieben LNG-Terminals. Deutschland hat null. Hier liegen kurz- und mittelfristig Potenziale für eine Zusammenarbeit. Darüber haben wir sehr intensiv gesprochen“, erklärte Lindner in Madrid. Die Bundesregierung hat in Reaktion auf den Ukraine-Krieg den Bau von zwei Terminals auf den Weg gebracht.

Neben den Politikern unterstreichen auch Experten und Vertreter der Energiebranche das Potenzial Spaniens als Alternative zu den Gaslieferungen aus Russland. Spanien bezog vergangenes Jahr Flüssigerdgas aus 14 Ländern, vor allem aus den USA, gefolgt von Katar, Nigeria oder Trinidad und Tobago. Im Gegensatz zu Deutschland, das stark von russischem Gas abhängig ist, machen die Importe von dort nach Spanien mittlerweile weniger als zehn Prozent aus. Dafür ist man auf der Iberischen Halbinsel traditionell sehr stark auf Gaslieferungen aus Algerien angewiesen.

Politische Spannungen

Madrid und Algier verbindet seit Jahrzehnten eine Partnerschaft, beteiligt sind die Energiekonzerne Sonatrach und Naturgy – ehemals Gas Natural Fenosa. Das Erdgas aus dem Maghreb kommt durch zwei Pipelines ins Land: Medgaz führt direkt von Algerien durchs Mittelmeer nach Spanien. Eine zweite Leitung durchquert Marokko. Das birgt geopolitische Probleme, wie vor einem Jahr deutlich wurde: Wegen eines diplomatischen Konflikts mit dem Nachbarland schloss Algerien den Hahn der Leitung durch Marokko. Dadurch entstand ein Engpass bei den Lieferungen nach Spanien, der aber durch den Ausbau der Medgaz-Pipeline behoben werden soll.

Die politischen Spannungen sind nicht das einzige Probleme bei der Abhängigkeit von Algerien, das auch Italien über eine weitere Pipeline durchs Mittelmeer beliefert. „Trotz seiner großen Reserven hat Algerien in den vergangenen acht Jahren gezeigt, dass es nicht imstande ist, seine Förderung zu erhöhen, aufgrund interner Probleme und auch eines gestiegenen internen Konsums, der die Exporte hat fallen lassen“, kommentiert Alberto Martín Rivals, Experte für Energie der Consultingfirma KPMG, in seinem Blog. Deswegen habe Spanien auf den Ausbau der Infrastruktur für Flüssiggas gesetzt. Zuletzt kam erstmals mehr Gas aus den USA als aus Nordafrika

Durchleitungskapazitäten begrenzt

Während in Deutschland noch an den LNG-Terminal gebaut wird, könnte Flüssigerdgas aus aller Welt über Spanien auch nach Mitteleuropa geliefert werden. Das spielt auch bei Überlegungen der Europäischen Kommission eine Rolle, wie man die Beziehungen zu Russland kappen und die Energieimporte ersetzen könnte. Doch dabei gibt es ein Problem. „Die Durchleitungskapazitäten sind in einigen Bereichen sehr begrenzt, vor allem zwischen Spanien und Frankreich, was die Möglichkeit der Gasaufbereitung in Spanien und dessen Weiterleitung an andere Länder reduziert“, kommentierte die Internationale Energieagentur (IEA) kürzlich in einem Bericht.

Gegenwärtig gibt es zwei Pipelines durch die Pyrenäen, die acht Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr transportieren können – viel zu wenig für eine umfassende Versorgung Mitteleuropas von der Iberischen Halbinsel aus. Daher liegt nun ein Projekt auf dem Tisch, das bereits als begraben galt: der Bau einer weiteren Pipeline durch die Pyrenäen, der die Leitungskapazitäten verdoppeln würde. Schon 2013 hatten sich Politik und Wirtschaft in Spanien und Frankreich auf den Bau von Midcat verständigt und sogar mit den Bauarbeiten begonnen. Doch 2019 machten die Regulierungsbehörden beider Länder der Pipeline ein vorzeitiges Ende. Die Leitung sei nicht wettbewerbsfähig, da keine ausreichende Nachfrage dafür bestünde. Außerdem seien die Kosten zu hoch, hieß es damals zur Begründung. Die Europäische Kommission sah das genauso, und Midcat wurde begraben.

Nicht alle sind begeistert von Gasleitungen durch Westeuropa

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Durch den vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlenen Einmarsch in der Ukraine hat sich die Lage radikal gewendet, und die Interkonnektivität der Netze in Westeuropa ist wieder ein Thema. Doch nicht alle sind begeistert, und auch in Spanien tritt man auf die Bremse. „Eine Infrastruktur dieser Art ist wahrscheinlich nicht die Lösung, um morgen Erdgas nach Mitteleuropa liefern zu können, weder übermorgen noch in den kommenden Monaten“, warnte Teresa Ribera, die stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens und Ministerin für die Energiewende.

Auch Umweltschützer haben mit dem Bau einer neuen Gaspipeline Probleme, und nicht allein wegen der unmittelbaren Auswirkungen auf die Natur in den Pyrenäen. Die Aktivisten befürchten, dass ein rascher Ausbau der Erdgasinfrastruktur den Fortschritt beim Bau alternativer Energiequellen bremsen könnte. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez entgegnete diesem Argument mit dem Potenzial beim grünen Wasserstoff, der als saubere Zukunftsenergie gepriesen wird. Die Leitung nach Frankreich könnte in Zukunft nämlich auch in Spanien produzierten Wasserstoff nach Mitteleuropa bringen.