Der Abhörskandal in Spanien nimmt zunehmend wirre Züge an und bringt die Stabilität der linken Minderheitsregierung ins Wanken. Am Montag (2.5.) informierte die Regierung in einer eilig einberufenen Pressekonferenz darüber, dass die Mobiltelefone von Premier Pedro Sánchez und Verteidigungsministerin Margarita Robles vor einem Jahr mit der israelischen Spionage-Software Pegasus infiltriert worden seien. Es handele sich offensichtlich um einen Angriff von außen und ohne richterliche Zustimmung, versicherte der Minister des Präsidialamtes, Felix Bolaños.

Das ungewöhnliche Eingeständnis – normalerweise informieren Regierungen nicht darüber, wenn sie bespitzelt wurden – kam zwei Wochen, nachdem eine Untersuchung des kanadischen Citizen Lab ergeben hatte, dass von 2018 bis 2020 mehr als 60 Politiker, Aktivisten und Anwälte, vornehmlich aus dem Umfeld der katalanischen Separatisten, mit Pegasus abgehört worden seien. Die Regierung Kataloniens reduzierte aus Protest ihre Kontakte zu Madrid auf ein Minimum. Die nationalistischen Parteien verweigern der Sánchez-Minderheitsregierung ihre übliche und wichtige Unterstützung im spanischen Parlament.

Mögliches Ablenkungsmanöver

Die Nachricht von der Bespitzelung der Handys von Sánchez und Robles, denen 2,6 und 9 Gigabyte an Daten entwendet worden seien, stieß bei der Opposition auf Skepsis. Die Separatisten kritisierten ein mögliches Ablenkungsmanöver Madrids vom „Catalangate“. Auch der neue Oppositionsführer der konservativen Volkspartei (PP), Alberto Núñez Feijóo, hält den Zeitpunkt der Information für verdächtig. Die Regierung hat den Angriff auf die beiden Mobiltelefone beim Spanischen Gerichtshof angezeigt, der nun Ermittlungen aufnimmt. Sie unterliegen der Geheimhaltungspflicht, weshalb Sánchez und seine Minister nur begrenzt weitere Informationen herausgeben dürfen.

Das ist ein großer Zwiespalt für die Regierung. Zum einen versprechen Sánchez und Robles maximale Transparenz. Andererseits verweisen sie auf die Gesetzeslage, die ihnen verbietet, sensible Informationen über den spanischen Geheimdienst CNI, dem Centro Nacional de Inteligencia, zu veröffentlichen. „Das CNI handelt immer nur mit richterlicher Erlaubnis“, versicherte die Verteidigungsministerin am Mittwoch (4.5.) im Fachausschuss im Unterhaus. Robles, eine frühere Richterin am Obersten Gerichtshof, reagierte ungewöhnlich scharf auf die Vorwürfe der Opposition wegen der Spionageaffäre. Sogar aus den Reihen des Linksbündnisses Unidas Podemos, dem Koalitionspartner der Sozialisten von Sánchez und Robles, kamen Forderungen nach einem Rücktritt der Ministerin.

Am Donnerstag (5.5.) steht der Auftritt der Direktorin des CNI, Paz Esteban, in einem Parlamentsausschuss an. Es wird jedoch bezweifelt, ob die langjährige Staatsdienerin Licht ins Dunkel des Abhörskandals bringen kann. Offiziell hat das CNI die Separatistenführer, darunter die letzten vier Regierungschefs Kataloniens, nicht bespitzelt. Doch Robles deutete dies in Aussagen vor dem Parlament an.

Marokko als Urheber der Bespitzelung verdächtigt

Als Urheber der Bespitzelung der Regierung wird Marokko verdächtigt. Die Telefone von Sánchez und Robles wurden im Mai vergangenen Jahres gehackt, als Spanien gerade eine schwere diplomatische Krise mit dem Nachbarstaat durchlebte. Mehrere Tausend Menschen stürmten die spanische Enklave Ceuta, offenbar angestachelt von marokkanischen Agenten. Damit zeigte das Königreich seine Verstimmung darüber, dass Spanien den Führer der Polisario-Befreiungsfront der Westsahara, Brahim Gali, zur Behandlung in einem spanischen Krankenhaus hatte einreisen lassen. Die Krise wurde beendet, als Sánchez ziemlich überraschend im März dieses Jahres eine Kehrtwende in der spanischen Position zum Konflikt über die Westsahara vollzog und auf den Kurs Marokkos einschwenkte.

Medienberichten zufolge haben die marokkanischen Geheimdienste die Pegasus-Spyware eingesetzt, vermutlich um Aktivisten, unbequeme Journalisten und sogar Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zu belauschen. Das geschah mutmaßlich ebenfalls vor einem Jahr. Darum muss sich die Regierung nun die Frage gefallen lassen, warum der Angriff auf die Handys von Sánchez und Robles erst jetzt aufgedeckt wurde. Robles versprach, dass die Protokolle überarbeitet würden. Aber „hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagte sie im Parlamentsausschuss.

Rigorose Aufklärung

Während die Justiz den Vorwürfen nachgeht, fordert die Opposition weiterhin personelle Konsequenzen und eine rigorose Aufklärung des Abhörskandals. Die Republikaner der ERC, welche die katalanische Regierung führen und bislang ein wichtiger Stützpfeiler für Sánchez waren, drohen dem Ministerpräsidenten nun mit dem Entzug ihrer Unterstützung. Als eine Art Warnschuss stimmten die 13 Abgeordneten von ERC im Unterhaus vor Tagen gegen den Hilfsplan zur Abmilderung der Folgen des Ukraine-Kriegs. Das Paket wurde denkbar knapp im Parlament abgesegnet.

Angesichts der instabilen Mehrheitsverhältnisse legte der PP-Chef Feijóo dem Ministerpräsidenten Sánchez vorgezogene Neuwahlen nahe. Die Konservativen haben in den jüngsten Meinungsumfragen zugelegt und sind in Reichweite einer Mehrheit, wenn man die Stimmen der rechtsextremen Vox dazu zählt. Trotz aller Kritik an der Regierung stimmte die PP zusammen mit den Sozialisten von Sánchez gegen die Einberufung eines Untersuchungsausschusses für die Abhöraffäre im Parlament, wie andere Parteien gefordert hatten. Der Regierungschef will stattdessen in den kommenden Tagen im Unterhaus zu den Vorfällen Stellung nehmen.