Mallorca Zeitung

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Nato-Treffen in Madrid: "Die Welt schaut gerade auf uns"

Gipfel und Tragödie in Melilla: Premier Pedro Sánchez sucht den Schulterschluss mit den USA

Sanchez (li.) und Nato-Generalsekretär Stoltenberg vor dem Gemälde „El abrazo“. Jutrczenka/dpa

Madrid war diese Woche im Ausnahmezustand. Wegen des Gipfels der Nato wurde das Zentrum von Sicherheitskräften eingenommen, die Menschen blieben weitgehend fern. Mit 40 Delegationen war es das größte politische Treffen, das je in Spanien veranstaltet wurde. Durch den Krieg in der Ukraine bekam das jährliche Zusammenkommen der Alliierten eine noch größere Bedeutung und wurde von Teilnehmern als historisch bewertet.

Für Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez bot sich eine ideale Bühne, um sein internationales Profil zu stärken und dabei auch beim heimischen Publikum zu punkten. Das war auch bitter nötig nach dem Fehltritt des Sozialisten bei seiner Reaktion auf das Drama des Ansturms afrikanischer Migranten auf die spanische Exklave Melilla, bei dem mindesten 23 Menschen ums Leben gekommen waren.

Nach einer einstündigen Audienz mit Joe Biden am Dienstag (28.6.) vor Beginn des Nato-Gipfels bezeichnete der US-Präsident Spanien als „unverzichtbaren Partner“. Wichtiger noch, in einer gemeinsamen Erklärung wurde explizit auf die Einwanderung aus Afrika verwiesen. Spanien und die USA wollen „bei den Migrationsströmen zusammenarbeiten und einen fairen und menschlichen Umgang mit den Migranten garantieren“. Die Anspielung auf die Tragödie in Melilla, die kleine spanische Stadt an der Mittelmeerküste Marokkos, war nicht von der Hand zu weisen.

Entrüstung nach Reaktion von Sánchez

Am Freitag (24.6.) hatten mehrere Dutzend Afrikaner den Grenzzaun gestürmt, um in die EU zu gelangen. Die marokkanischen Sicherheitskräfte gingen dabei Aufnahmen zufolge sehr ruppig zur Sache und setzten Tränengas ein. Durch den Einsturz eines Zauns und andere Umstände verloren dabei mindestens 23 Personen das Leben. Nichtregierungsorganisationen gehen von einer höheren Zahl aus, doch die Marokkaner mauern mit Informationen. Die spanische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen möglicher Verletzung der Menschenrechte aufgenommen.

In einer ersten Reaktion lobte Sánchez das Vorgehen der marokkanischen Grenzschützer und sagte, die Situation sei „gut gelöst“ worden. Die Opfer waren ihm zunächst keinen Kommentar wert. Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Nicht nur Sánchez’ Koalitionspartner, das Linksbündnis Unidas Podemos, warf dem Premier Herzlosigkeit vor und forderte, dass der Regierungschef im Parlament Stellung zu dem „Blutbad“ vor Melilla nehmen solle. Auch die Volkspartei (PP) verlangte von Sánchez, dass er seine Aussagen zurücknehmen solle. Am Mittwoch (29.6.), unmittelbar vor dem offiziellen Auftakt des Nato-Gipfels, beteuerte Sánchez, dass er von den Toten noch nichts gewusst hätte, als er seine umstrittenen Äußerungen machte. Er bedauere den Verlust von Menschenleben.

Beziehungen mit Marokko

Sánchez blieb jedoch bei seiner Einschätzung, dass es sich um einen „gewalttätigen Ansturm“ gehandelt habe und Spanien seine „territoriale Integrität“ schützen müsse. Der Hintergrund ist die Kehrtwende Madrids im langjährigen Konflikt um die Westsahara. Im März hatte die Regierung überraschend verkündet, dass man fortan die Idee Marokkos eines Autonomiestatus für die frühere spanische Kolonie an der Atlantikküste akzeptiere und nicht mehr das von den Sahraouis und anderen geforderte Referendum unterstütze. Sánchez verkaufte diesen Kurswechsel gegenüber den Kritikern in Spanien, vor allem bei den Linken, als Geste zur Versöhnung mit Marokko, das fortan bei der Kontrolle der nicht regulären Migration nach Spanien eine größere Rolle spielen würde. Kritik am Vorgehen der marokkanischen Polizei schien daher unangebracht. 

Weitere Themen auf dem Gipfel

Beim Treffen der 30 Alliierten der Nato in Madrid ging es vorrangig um den Angriff auf die Ukraine und den zukünftigen Umgang mit dem Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Schon im Vorfeld hatten spanische Diplomaten bei den Partnern Druck ausgeübt, damit auch die „Südflanke“ des Nordatlantikpaktes im neuen Strategieplan gebührend berücksichtigt werde. Dabei geht es um die Bedrohung durch den Islamismus in der Sahel-Zone, wo auch russische Söldner für Unruhe sorgen. Spanien drängte darauf, dass die Nato die „territoriale Integrität“ ihrer Verbündeten verteidige. Denn Melilla und Ceuta, die andere Enklave in Marokko, fallen nicht unter den berühmten Artikel 5 des Nordatlantikpaktes, wonach ein Alliierter im Falle eines Angriffs automatisch die militärische Unterstützung der anderen Partner einfordern kann. 

Vor allem ging es auf dem Gipfel um die Aufrüstung angesichts der Bedrohung durch Russland, die Sorge um die Absichten Chinas und wachsende Gefahren des Cyberkriegs. Biden kündigte eine Aufstockung der US-Truppen in Europa an. Sánchez sagte ihm zu, dass mehr Kriegsschiffe im US-Stützpunkt im andalusischen Rota stationiert werden können. „Die Welt schaut gerade auf uns. Zeigen wir Einigkeit“, so Sánchez. Er hofft, dass seine Rolle als Gastgeber des Großereignisses ihm auch innenpolitisch Auftrieb gibt und den Fehler bei der Reaktion auf die Toten am Grenzzaun von Melilla ausgleicht.

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