Die einzige Partei in Spanien, die sich über den Wahlsieg der rechtsextremen Fratelli d’Italia gefreut hat und deren Spitzenkandidatin Giorgia Meloni gratulierte, war wenig überraschend die ähnlich gesinnte Vox. Meloni habe den Weg gezeigt „für ein stolzes und freies Europa souveräner Nationen, die in der Lage sind, für die gemeinsame Sicherheit und Wohlstand zusammenzuarbeiten“, kommentierte Vorsitzender Santiago Abascal auf Twitter nach der Wahl am Sonntag (25.9.).

Meloni und Spanien

Die 45-jährige Italienerin, die sich anschickt, die Regierung ihres Landes zu übernehmen, verbindet viel mit Spanien. Als Kind verbrachte sie mehrere Sommer auf der Kanareninsel La Gomera, wo ihr Vater Franco ein Restaurant unterhielt. Im Juni war sie der Stargast einer Wahlkampfveranstaltung von Vox im andalusischen Nobelbadeort Marbella, mit einem denkwürdigen Auftritt. Meloni wetterte von der Bühne gegen den Feminismus, die „LGTB-Lobbys“, Abtreibung, Einwanderung und die internationale Finanzwelt. „Nein zu den Bürokraten in Brüssel und Ja zu unserer Zivilisation“, forderte sie.

Im Publikum in Marbella applaudierten mit Begeisterung der Parteichef Abascal und die Spitzenkandidatin von Vox für die Regionalwahlen in Andalusien am 19. Juni, Macarena Olona. Dieses Bild hat aus heutiger Sicht eine vieldeutige Aussagekraft. Der Sieg von Meloni in Italien müsste ihren Parteifreunden in Spanien eigentlich Rückenwind geben mit Blick auf 2023, wenn im Mai im ganzen Land Kommunalwahlen anstehen und in der Mehrheit der Regionen neue Parlamente gewählt werden, bevor dann Ende des Jahres Parlamentswahlen sind.

Die Krise von Vox

Doch Andalusien war der Beginn einer Krise von Vox, die sich in diesen Tagen enorm verschärft hat. Zunächst einmal konnten im einwohnerstärksten Landesteil die Erwartungen nicht erfüllt werden. Die Partei verbesserte ihr Ergebnis gegenüber 2018 zwar von elf auf 13,5 Prozent. Doch erreichte die konservative Volkspartei (PP) überraschend eine absolute Mehrheit und kann nun ohne Vox regieren. Das war insbesondere enttäuschend für die Spitzenkandidatin Olona. Die ambitionierte und populäre Politikerin hatte auf den Fraktionsvorsitz von Vox im spanischen Unterhaus verzichtet, mit der Aussicht in Sevilla Vizepräsidentin einer Koalitionsregierung zu werden.

Überraschend verkündete die 43-jährige Juristin aus Alicante ihren Rückzug aus der Politik aus gesundheitlichen Gründen. Anscheinend hatte Olona kein Interesse daran, in Sevilla die Oppositionsbank zu drücken. Doch Abascal verwehrte ihr den Wunsch nach einer Rückkehr in die spanienweite Politik in Madrid. Es sollte jedoch nur ein kurzer Abschied von der politischen Bühne werden, denn heute wird Olona in einigen Medien bereits als spanische Meloni bezeichnet.

Ende August bestritt die Politikerin den Jakobsweg, begleitet von Dutzenden Anhängern. Danach hielt sie mehrere Vorträge in Universitäten und gab Interviews. Dabei wurde ihre Kritik an Vox immer stärker, etwa an der „mangelnden internen Demokratie“. Olona verlangte öffentlich ein Treffen mit Abascal, um über ihre Rückkehr an die Spitze von Vox zu reden und „den Weg gemeinsam zu bestreiten“. Doch ihren Parteifreunden platzte der Kragen, und sie schlossen Olona die Tür. Nun droht die Rechtsextreme mit der Gründung einer eigenen Partei, nach dem Vorbild Melonis, der die Spanierin in einem Zeitungskommentar für die „Inspiration“ dankte.

Noch ist es nicht so weit. Heute eine neue Partei zu gründen sei „unverantwortlich“, so Olona. Doch sollte Vox bei den kommunalen und regionalen Wahlen im Mai nicht klar als Alternative hervortreten, stünde sie bereit. Sie habe sogar die nötige Finanzierung für eine eigene Organisation, erklärte die Politikerin am Rande eines Auftritts in Sevilla, wo sie sich mit dem wegen Betrugs verurteilten früheren Banker Mario Conde fotografieren ließ.

Olona teilt das Gedankengut von Meloni, das die Italienerin in Marbella vortrug. Der Feminismus ist für sie familienfeindlich. Sie ist gegen Abtreibung, die „LGTB-Lobbys“, Migranten und äußerst kritisch gegenüber der Europäischen Union. Die Vox-Führung um Abascal ist entsetzt über den Alleingang ihrer ehemaligen Parteifreundin, die hinter vorgehaltener Hand als selbstverliebt und größenwahnsinnig bezeichnet wird.

Vor dem Superwahljahr

Für die Rechtsextremen geht es kommendes Jahr um alles. Angesichts der Schwäche der Sozialisten von Spanien-Premier Pedro Sánchez und dessen Koalitionspartner Unidas Podemos kann Vox hoffen, in zahlreichen Regionen und Rathäusern gemeinsam mit der PP an die Macht zu gelangen. Die Vorbehalte der Konservativen gegenüber den Rechtsradikalen wurden nach den Regionalwahlen in Kastilien-León im Februar aufgegeben. Zum ersten Mal regiert die PP mit Vox. Zuvor hatten die Ultras nur Koalitionsregierungen der Konservativen mit den liberalen Ciudadanos gestützt, ohne Posten zu bekleiden.

Der Umgang mit Vox ist für den Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo, der im April den Vorsitz der PP übernommen hat, ein Problem. Einerseits werden die Konservativen vielerorts auf die Rechtsradikalen angewiesen sein. Doch genau das könnte bei den folgenden spanienweiten Wahlen viele Wähler in der politischen Mitte abschrecken. PP-Chef Núñez Feijóo äußert sich ungern zu Vox und kommentierte den Wahlsieg Melonis lediglich mit dem Wunsch, dass sie ihre europafeindliche Haltung überdenken solle. Die eigensinnige konservative Ministerpräsidentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso, erklärte dagegen unverblümt, dass sie Teile der politischen Diagnose der Italienerin teile.