Kataloniens Ministerpräsident Pere Aragonés hatte bei der Vereidigung seiner neuen Kabinettsmitglieder in Barcelona am Dienstag (11.10.) eine Botschaft. Die Minister sollten „für ganz Katalonien“ regieren, den Konsens suchen und sich um die dringenden Probleme kümmern. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, hat im Kontext der turbulenten katalanischen Politik eine besondere Bedeutung. Aragonés erwähnte das Thema Unabhängigkeit nicht. Im Vordergrund sollen die alltäglichen Probleme infolge von Inflation und Energiekrise stehen.

Zuvor hatte das lange Tauziehen im Lager der Separatisten zwischen den Pragmatikern um Aragonés und den hartnäckigen Verfechtern einer Abspaltung von Spanien zum Bruch der Koalitionsregierung geführt. Junts, die Partei des früheren katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont, hat die Regierung mit der Republikanischen Linken (ERC) von Aragonés verlassen. „Die Unabhängigkeit ist wichtiger als eine Regierungsbeteiligung“, erklärte die Parteivorsitzende Laura Borràs.

Separatistische Organisationen driften auseinander

Das vorläufige Ende der Einheit der Befürworter eines unabhängigen Kataloniens führt den alten territorialen Konflikt nun in neue Bahnen. Die sozialdemokratische ERC und die Nachfolger der bürgerlichen CiU, die seit dem Ende der Diktatur meist in Barcelona an der Macht war, traten 2015 mit dem Bündnis Junts pel Sí („Zusammen für das Ja“) gemeinsam zu den katalanischen Wahlen an und gewannen.

Zwei Jahre später setzten Ministerpräsident Puigdemont und sein Vize Oriol Junqueras von der ERC ihr Wahlversprechen um und organisierten eine vom spanischen Verfassungsgericht verbotene Volksbefragung zur Unabhängigkeit. Es folgten eine einseitige Unabhängigkeitserklärung und die Intervention des Landesteils durch die Zentralregierung. Puigdemont und andere flohen vor der Justiz nach Belgien, während Junqueras und einige Mitstreiter bis zu ihrer Begnadigung vergangenes Jahr in Haft saßen.

Bereits vor den Regionalwahlen 2021, bei denen ERC erstmals vor Junts lag, drifteten die beiden separatistischen Organisationen auseinander. Die Republikaner erkannten, dass man den Wunsch nach einer eigenen Republik schlecht gegen den Willen der anderen Hälfte der katalanischen Gesellschaft durchsetzen kann. ERC setzt auf den Austausch mit Madrid, um ein legales Referendum auszuhandeln. Junts, weitgehend von Puigdemont aus seinem selbst erwählten Exil im belgischen Waterloo kontrolliert, beharrt darauf, dass die Volksbefragung von 2017 ein klares Mandat für den einseitigen Bruch mit Spanien ist.

ERC schließt Neuwahlen in Katalonien aus

Über diese Frage ist die Koalition nun zerbrochen. Junts hatte die Parteimitglieder über den Verbleib in der Regierung mit ERC abstimmen lassen. Für den Ausstieg stimmten 55 Prozent. Borràs kündigte eine „knallharte Opposition“ an. Doch mehr als 40 Prozent und einige prominente Spitzen von Junts waren gegen den Bruch mit ERC. Das nährt Spekulationen über eine Aufspaltung in eine radikal separatistische Partei und eine gemäßigtere Gruppe, so wie es in früheren Zeiten CiU war.

Derweil hat Aragonés Neuwahlen ausgeschlossen und hofft, mit anderen Gruppen im Parlament weiter regieren zu können. Er berief in sein Kabinett frühere Spitzenpolitiker der katalanischen Sozialisten, der früheren CiU und von En Comú Podem, dem örtlichen Ableger von Podemos. Die Sozialisten um den ehemaligen spanischen Gesundheitsminister Salvador Illa hatten mehr erwartet, doch die Republikaner scheuen wohl davor, sich zu sehr von ihnen abhängig zu machen.

Pedro Sánchez lehnt eine Volksbefragung kategorisch ab

Denn in Madrid besteht die umgekehrte Situation. Die Minderheitskoalition des Sozialisten Pedro Sánchez ist im Unterhaus meist auf die Stimmen der 13 Abgeordneten von ERC angewiesen. Diese lassen sich ihre Unterstützung in der Regel politisch gut bezahlen. Sollte Aragonés in Barcelona von den Sozialisten abhängen, würden die Republikaner in Madrid an Einfluss auf die Sánchez-Regierung verlieren.

In dem festgefahrenen Konflikt könnte es vorerst dennoch in ruhigere Fahrwasser gehen, da die Hardliner von Junts in Barcelona nicht mehr mitregieren. Der institutionelle Austausch beider Regierungen, die sogenannte Mesa de Diálogo, hat bislang wenig Konkretes gebracht. Sánchez lehnt, anders als sein Koalitionspartner Podemos, eine Volksbefragung über den Status Kataloniens weiterhin kategorisch ab. Doch ist man in Madrid bemüht, die Beziehungen in anderen, vor allem wirtschaftlichen Aspekten zu verbessern.