So soll Spanien zum Energie-Hub von Europa werden

Die Pläne, künftig grünen Wasserstoff per Pipeline nach Frankreich zu transportieren, nehmen jetzt Form an

Sind sich einig: Premier Sanchez (re.) und Frankreich-Präsident Macron auf dem Gipfel der EU-Mittelmeer-Länder in Alicante.  | FOTO: JORGE GIL/EUROPA PRESS

Sind sich einig: Premier Sanchez (re.) und Frankreich-Präsident Macron auf dem Gipfel der EU-Mittelmeer-Länder in Alicante. | FOTO: JORGE GIL/EUROPA PRESS / Aus Alicante berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Spanien hat in Sachen Energie weit weniger unter den Folgen des Angriffs auf die Ukraine gelitten als Länder in Mitteleuropa, die sehr stark auf Erdgas aus Russland angewiesen sind, allen voran Deutschland. Die spanische Regierung begriff den verzweifelten Versuch der europäischen Nachbarn, so schnell wie möglich ihre Abhängigkeit von russischen Energiequellen zu reduzieren, sogar als Chance. Zusammen mit seinem portugiesischen Amtskollegen António Costa bot Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez Hilfe an. Die ausgereiften Kapazitäten der Iberischen Halbinsel im Gasbereich könnten eine Alternative bei der Energieversorgung sein. Spanien und Portugal kommen zusammen auf sieben Aufbereitungsanlagen für importiertes Flüssiggas – ein Drittel der Kapazitäten in Europa.

So kämpften Sánchez und Costa monatelang für den Bau einer umstrittenen neuen Gasleitung durch die Pyrenäen nach Frankreich und holten sich dafür auch Bundeskanzler Olaf Scholz ins Boot. Doch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hielt dem Druck stand und weigerte sich, die als Midcat bekannte Pipeline zu bauen, mit dem Verweis auf den Umweltschutz. Mit Blick auf die Energiewende sei es ein falsches Signal, neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe wie Erdgas zu errichten, so der Franzose. In Madrid, Lissabon und Berlin vermutete man dagegen, dass Paris eher seine mächtige Atomindustrie vor lästiger Konkurrenz schützen wollte.

Einigung in Alicante

Nach langem Ringen einigten sich die Beteiligten dann doch auf den Bau einer langen Pipeline. Doch statt Gas wird die Leitung in Zukunft ausschließlich grünen Wasserstoff nach Frankreich transportieren. Am Rande des Gipfels der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aus dem Mittelmeerbereich am Freitag (9.12.) in Alicante verkündeten Sánchez, Costa und Macron die Einzelheiten des H2Med getauften Projekts. Obwohl von der Idee, Mitteleuropa mit Erdgas aus Spanien zu beliefern, nichts übrig blieb, feierte Sánchez die Entscheidung als Durchbruch für eine bessere Anbindung der iberischen Energienetze an den Rest des Kontinents, ein altes Anliegen in Madrid und Lissabon.

„Das ist ein Schritt nach vorne. Spanien strebt danach, weltweit führend im Wasserstoffbereich zu werden, und dieses Projekt wird der erste große Wasserstoffkorridor der Europäischen Union“, bekräftigte der spanische Regierungschef in Alicante. Rückendeckung für H2Med gab es von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die dem Treffen in der Mittelmeerstadt beiwohnte. „Die Iberische Halbinsel wird einer der großen Energie-Hubs Europas werden“, erklärte die deutsche EU-Politikerin. Sie sprach sich dafür aus, dass das Projekt Subventionen aus Brüssel erhalten solle.

Die Details des Projekts

Denn der Plan ist alles andere als billig. Der Bau einer 455 Kilometer langen Pipeline von Barcelona nach Marseille durchs Mittelmeer soll 2,5 Milliarden Euro kosten. Weitere 385 Millionen Euro sind für eine Verknüpfung der Netze zwischen Portugal und Spanien veranschlagt. Die Hälfte des Betrags soll aus den EU-Fonds für die Energiewende kommen. Wenn die Leitung 2030 in Betrieb geht, sollen nach den Vorstellungen der Initiatoren zwei Millionen Tonnen grüner Wasserstoff von der Iberischen Halbinsel über Frankreich zum Rest Europas strömen und damit zehn Prozent des von der EU für die Zukunft anvisierten Jahresverbrauchs decken.

Das Potenzial von H2 als Energiequelle ist seit Jahrzehnten bekannt, doch die Rohstoffkrise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar hat den Boom beschleunigt. Durch Elektrolyse wird Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Dieser Prozess benötigt große Mengen an Strom. Bislang werden dazu fast ausschließlich fossile Quellen wie Erdgas, aber auch Atomstrom herangezogen, was das Potenzial der Einsparung von Treibhausgasen in engen Grenzen hält. Wird zur Herstellung aber Strom aus erneuerbaren Energien verwendet, spricht man von grünem Wasserstoff. Spanien und Portugal sind bestens aufgestellt für den Ausbau der bereits beachtlichen Erzeugung von Strom durch Sonne und Wind.

Die Vorteile von Wasserstoff

Wasserstoff hat mehrere Vorteile. H2 kann Erdgas und andere Brennstoffe in bestimmten energieintensiven Industrien wie der Stahlfertigung ersetzen. Das Element dient auch als Treibstoff für Lastwagen oder Züge und könnte sogar im Flugverkehr eingesetzt werden. Airbus und Rolls-Royce arbeiten bereits an solchen Triebwerken. Schließlich bietet sich H2 auch als Speicher an, der die Stromnetze stabilisieren kann. Die Industrieländer schauen bereits auf Energielieferanten in sonnigen Regionen außerhalb Europas. Von der Leyen erwog in Alicante, dass H2Med auch Ländern in Nordafrika offenstehen könnte, und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erkundigte sich Anfang Dezember vor Ort in Namibia nach den Möglichkeiten der Wasserstoffproduktion.

Umweltaktivisten teilen die Begeisterung über die Wasserstofftechnologie weniger. Mehrere Organisationen, darunter Greenpeace und WWF, warnten in einem Aufruf im Oktober vor dem Problem des Wassermangels in vielen Teilen Spaniens, wo sich die Dürreperioden zuletzt häuften. In der spanischen Regierung bekräftigt man jedoch, dass Entsalzungsanlagen trotz der höheren Kosten für die Produktion von H2 infrage kommen.

Nach den Plänen von Sánchez, Macron und Costa soll der Bau der Pipeline 2026 beginnen und bis 2030 abgeschlossen sein. Derweil mehren sich die Wasserstoffprojekte der Privatwirtschaft. Der Erdölkonzern Cepsa will drei Milliarden Euro für grünen Wasserstoff in der Raffinerie in Andalusien investieren. Die dänische Reederei Maersk plant, in Spanien Treibstoff für Schiffe herzustellen.

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