Keine Rezession am Horizont: Kommt Spaniens Wirtschaft 2023 mit einem blauen Auge davon?

Im Gegensatz zu vielen EU-Ländern dürfte die Wirtschaft in Spanien auch in diesem Jahr wachsen. Warum das Land derzeit vergleichsweise gut dasteht

Die Installation von privaten Fotovoltaikanlagen boomt in Spanien derzeit, es fehlen Fachkräfte.  | FOTO: SARA LEDO. JOSE LUIS ROCA

Die Installation von privaten Fotovoltaikanlagen boomt in Spanien derzeit, es fehlen Fachkräfte. | FOTO: SARA LEDO. JOSE LUIS ROCA

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Am wirtschaftlichen Horizont ziehen im neuen Jahr düstere Wolken auf. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass ein Drittel aller Länder in eine Rezession schlittert, darunter auch große europäische Volkswirtschaften wie Deutschland. Spanien hat dagegen gute Aussichten, mit einem blauen Auge davonzukommen: Nach den jüngsten Konjunkturdaten und Schätzungen von Volkswirten wird das Bruttoinlandprodukt auch 2023 wachsen, wenn auch nur gering. In früheren internationalen Krisen hatte es die Südländer in der Regel härter getroffen als den Norden. Nun ist es wohl umgekehrt, da die Folgen des Ukraine-Krieges und der hohen Energiepreise hierzulande milder ausfallen.

Finanzministerin María Jesús Montero erklärte am Dienstag (3.1.), dass das Wirtschaftswachstum 2022 wohl etwas über fünf Prozent lag. Die offiziellen Zahlen des spanischen Statistikamtes stehen noch aus. Das wäre einer der besten Werte in der Europäischen Union, wie Montero betonte. Mit ihrer Wachstumsprognose von 2,1 Prozent für 2023 steht die Linksregierung jedoch ziemlich alleine dar. Die meisten Volkswirte sehen eher ein geringes Plus, wie die 1,3 Prozent, welche die spanische Notenbank veranschlagt. Sie schloss in einem Bericht kurz vor Weihnachten eine Rezession im neuen Jahr aus. Für 2024 erwarten die Notenbanker eine leichte Beschleunigung auf ein Wachstum von 2,7 Prozent.

Zuversicht am Arbeitsmarkt

Die Experten stimmt vor allem die erstaunlich robuste Lage am Arbeitsmarkt zuversichtlich. In früheren Krisen waren Massenentlassungen eine reflexhafte Folge. Nach dem Platzen der Immobilienblase und der internationalen Finanzkrise 2008 schnellte die Arbeitslosigkeit in Spanien auf den Rekordwert von 26 Prozent. Heute liegt sie bei 13 Prozent und könnte nach Schätzung einiger Volkswirte 2023 sogar leicht fallen. Im Dezember zählten die spanischen Arbeitsämter im Jahresvergleich 44.000 Erwerbslose weniger, wie das Ministerium bekannt gab. Mit 2,83 Millionen Menschen ohne Job hat Spanien zwar weiterhin einen Spitzenwert in Europa, doch ist es der niedrigste Stand seit 2007, vor Ausbruch der Finanzkrise. Jedoch ließ die Dynamik am Arbeitsmarkt im Dezember weiter nach.

„Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, zeigen ihre Wirkung“, lobte sich Finanzministerin Montero. Sie bezog sich auf die große Arbeitsmarktreform, die im Einklang mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbart worden und vor genau einem Jahr in Kraft getreten war. Eines der Ziele war die Reduzierung des hierzulande sehr hohen Anteils der befristeten Verträge. Im vergangenen Jahr sank der Anteil der Zeitarbeit um gut zehn Punkte auf 17,5 Prozent. Die Reform fördert unbefristete Verträge, offensichtlich mit Erfolg.

Viel Saisonarbeit

Die konservative Opposition stellt die positive Bilanz am Arbeitsmarkt jedoch infrage. Es geht um die von der Reform ebenfalls geförderten fijos discontinuos, Festangestellte, die nicht das ganze Jahr arbeiten. Die Verträge sind ein wichtiges Instrument für stark saisonal abhängige Branchen wie den Tourismus. Hotelangestellte können somit beispielsweise sechs Monate von April bis September arbeiten und die Wintermonate einen anderen Job annehmen oder sich arbeitslos melden. Im nächsten April haben sie dann Anspruch auf ihren Arbeitsplatz im Hotel, ansonsten müssten sie gekündigt werden und erhalten eine Abfindung. Im vergangenen Jahr entstand geschätzt eine halbe Million dieser Arbeitsverhältnisse. Die Opposition wirft der Regierung vor, die genaue Zahl zu verschleiern, um die Bilanz aufzuhübschen. Im Arbeitsministerium hält man dagegen, dass Menschen mit einem contrato fijo discontinuo nicht als arbeitslos oder gar arbeitssuchend gelten, da sie ja einen festen Job hätten.

Experten wie die der Banco de España bestätigen die positiven Auswirkungen des Trends zu mehr festen Jobs auf das Vertrauen der Menschen. Trotz des Kaufkraftverlustes durch die hohe Inflation ist der Konsum stabil geblieben, da die meisten Personen nicht um ihren Job fürchten. Das ist ein stabilisierender Faktor für die Wirtschaft. Doch der Streit um die Löhne geht auch im neuen Jahr weiter. Die Tarifverhandlungen kamen in den vergangenen Monaten ins Stocken. Die Arbeitgeber wollen nur sehr gemäßigte Gehaltserhöhungen akzeptieren. Die Linksregierung drängt mit Verweis auf die sprudelnden Unternehmensgewinne auf die Verantwortung der Manager, die Kosten der Preisexplosion besser zu verteilen. Arbeitsministerin Yolanda Díaz hält an einer weiteren Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit 1.000 Euro monatlich bei 14 Monatsgehältern fest.

Dabei kommt Spanien auch bei der Inflation besser davon als die meisten europäischen Nachbarn. Im Dezember lag die Preissteigerung bei 5,8 Prozent. Die Notenbank erwartet für 2023 einen leichten Rückgang auf 4,9 Prozent. Die milliardenschweren Hilfspakte der Regierung machen sich bei den Preisen bemerkbar, genauso wie die Gaspreisdeckelung zur Stromerzeugung, bei der sich Spanien und Portugal in der Europäischen Union eine Sondergenehmigung aushandelten. Auf der letzten Kabinettssitzung 2022 wurde ein weiteres Paket beschlossen, das die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel aussetzt. Der Tankrabatt von 20 Cent pro Liter gilt dagegen nun nur noch für den Transportsektor.

Die Wirkung der EU-Milliarden

In den kommenden Monaten sollten sich auch die Milliarden aus den EU-Aufbaufonds positiv auf die Wirtschaft auswirken. Besonders der Ausbau erneuerbarer Energien wird subventioniert. Die Hilfen und der gewaltige Preisanstieg infolge des Ukraine-Krieges haben einen wahren Boom bei Privathaushalten ausgelöst, die sich Solaranlagen auf dem Dach installieren lassen. Nach Schätzung des Fachverbandes APPA wurden im vergangenen Jahr Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von 2,4 Gigawatt installiert, was zwei Atommeilern entspricht. Nun droht das Material auszugehen, und die Branche beklagt einen Fachkräftemangel von rund 50.000 Mitarbeitern. Der Arbeitsmarkt hat also noch weiter Luft.

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