Von Holger Weber Beim WM-Viertelfinale haben Sie für Jens Lehmann einen Spickzettel mit den Vorlieben der argentinischen Elfmeterschützen auf einem Hotelblock notiert. Es heißt, das Arabella-Hotel auf Mallorca wird in Ihrem Zimmer einen Extrastapel Blöcke auslegen . . .

(lacht) Es ist unglaublich, welchen Weg der Spickzettel für Jens Lehmann zurückgelegt hat. Wenn ich geahnt hätte, dass er einmal im Deutschen Museum landet, hätte ich leserlicher geschrieben. Bei der EM muss ich mir was Neues einfallen lassen, wenn wir wieder so weit kommen.

Sie haben sich für Lehmann als EM-Torwart entschieden, obwohl er in seinem Club nur noch Ersatz ist. Finden Sie das fair gegenüber den anderen Torhütern?

Es gab keinen Grund für einen Wechsel. Er hat nur ein schlechtes Länderspiel gegen Österreich gemacht. Mehr ist eigentlich nicht passiert. Er ist in unser relativ jungen Mannschaft ein Führungsspieler. Manche hatten regelrecht darauf gewartet, dass er einmal daneben packt.

Warum?

Das hängt nicht so sehr mit Jens Lehmann persönlich zusammen. Mit der Torwartfrage lassen sich aber seit der WM 2006 Schlagzeilen machen.

­Warum fällt den Trainern ein Personalwechsel bei der Position des Torhüters so schwer?

Es ist eine besondere Position, bei der man auf Kontinuität setzt und nicht ständig wechselt. Wenn man sich nur nach der Stimmung in der Öffentlichkeit richten würde, müsste man den Torwart ständig austauschen. Es geht um die Leistung über einen längeren Zeitraum. Aber auch ein Torwart ist in der Nationalelf nicht vor der Ersatzbank gefeit. Wir haben im vergangenen Jahr auch Kahn gegen Lehmann getauscht.

Es heißt, nur ein verrückter Torwart ist ein guter Torwart.

Torhüter ticken anders. Sie sind Einzelsportler in einem Mannschaftssport. Sie trainieren viel alleine und sind deshalb auch manchmal ein wenig sonderlich.

So wie Olli Kahn, der seine Finger manchmal in fremde Nasenlöcher steckt oder seine Gegner in den Hals beißt. Uli Stein nannte den Teamchef Beckenbauer einen Suppenkasper. Was war Ihr schlimmster Aussetzer?

Dergleichen habe ich nie gemacht. Ich hatte keine Aussetzer. Dazu habe ich mich viel zu sehr im Griff.

Sie waren also der Gentleman unter den Torhütern?

Na ja, vielleicht bin ich ab und zu einmal in der Kabine ausfällig geworden, öffentlich aber nie.

In Ihren Seminaren geht es auch ?mentale Stärke´. Kann man sich Ausgeglichenheit antrainieren?

Ja, durchaus. Eine gute Vorbereitung auf den Gegner verschafft einem Spieler Sicherheit. Wenn ich weiß, was auf mich zukommt, gehe ich selbstbewusster an eine schwere Aufgabe heran. Auch im Beruf ist es wichtig, sich Ziele zu setzen und sich weiterzuentwickeln - beispielsweise durch Bildungsmaßnahmen. Es gilt auch: immer ein wenig mehr tun als die anderen.

Sagen Sie das auch den Spielern?

Die Jungs, die 2006 die WM gespielt haben und auch die, die dieses Jahr die EM spielen werden, braucht man nicht mehr zu motivieren. Wer zu den 23 Mann gehört, die bei einem solchen Großereignis dabei sein dürfen, ist bis in die Haarspitzen motiviert. Wir Trainer müssen die Spieler eher noch bremsen und die Energie in die richtigen Bahnen lenken, damit sie nicht völlig überdrehen.

Mallorca war auch vor der EM 2000 Vorbereitungsort. Danach gab es ein Fiasko. Sind Fußballer nicht abergläubisch?

Wir nicht. Wir haben Mallorca ausgesucht, weil die Insel traumhaft und schnell zu erreichen ist. Wir haben in der Zeit zwei Vorbereitungsspiele in Gelsenkirchen und in Kaiserslautern. Auch spielte das Klima bei unserer Entscheidung eine große Rolle. Und es gibt Golfplätze . . .

. . . die Spieler werden Golf spielen?

Wenn es die Zeit erlaubt - warum nicht? Erholungsphasen sind wichtig. Und in denen kann jeder tun, was er möchte.

Beim Trainingslager auf Mallorca bleibt das Publikum außen vor. Wer trifft eine solche Entscheidung?

Die sportliche Leitung. Vor der WM hatten wir in Düsseldorf 40.000 Menschen bei einer Trainingseinheit im Stadion. Das kann man mal machen, es ist dann mehr eine Show. Vernünftig trainieren lässt es sich unter diesen Bedingungen nicht.

Fußball ist doch eine Show fürs Volk. Fürchten Sie nicht, dass der Sport so langsam an Bodenhaftung verliert?

Es wird ja nicht so sein, dass es keine öffentlichen Trainingseinheiten mehr gibt. Natürlich leben die Vereine genau wie die Nationalmannschaft von den Fans. Wir brauchen auch deren Unterstützung.

Also können die deutschen Urlauber und Residenten davon ausgehen, dass sie den einen oder anderen Nationalspieler auf der Insel sehen können?

Ja, mit Sicherheit.

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