Eigentlich hatte man sie an diesem Tag schon aufgegeben. 2:5-Rückstand im dritten, entscheidenden Satz gegen die ehemalige Nummer eins der Welt - da war für Carla Suárez sozusagen nichts mehr zu holen. Und es wäre auch niemand enttäuscht gewesen, wenn Venus Williams den letzten Punkt und somit auch Spiel, Satz und Sieg gewonnen hätte. Denn mit einem Satzgewinn hatte die kleine Spanierin von den Kanarischen Inseln schon mehr erreicht, als man ihr vor der Begegnung zugetraut hatte.

Doch dann geschah plötzliches etwas Unvorhergesehenes auf dem ehrwürdigen Centercourt Rob Laver in Melbourne. Es war, als ob ein Ruck durch die so gut wie Besiegte ging. Erst gewann sie ein Spiel, dann zwei. Am Ende waren es fünf in Folge, und dann war das Spiel vorbei - und die haushohe Favoritin aus den USA draußen, ausgeschieden gegen ein fast unbeschriebenes Blatt.

Die kleine Suárez riss die Arme hoch, und am Tag danach feierte ganz Spanien sie als neuen Stern am Tennishimmel. „Carla Suárez überfährt Venus Williams“ lautete die Schlagzeile in „El País“. Und dieses Bild beschrieb ganz gut, was in der knappen halben Stunde auf dem Platz passiert war. Noch am Vortag hatte sie selbst Zweifel an ihren Möglichkeiten geäußert: Auf Sand, dem Lieblingsbelag aller Spanier, ja, da hätte sie vielleicht eine minimale Chance, aber auf dem schnellen Kunststoffbelag?

Dass im Viertelfinale des Turniers dann für die 20-Jährige mit einer Niederlage gegen die an Nummer vier gesetzte Russin Elena Dementieva Schluss war bei den Australian Open, das sollte in der Heimat niemanden so wirklich stören. Suárez hatte ihre Aufgabe erfüllt, war ans Limit gegangen und hatte ihre Gegnerin niedergerungen. Dies schätzen die Spanier, die durch den Siegeswillen von Rafael Nadal bei den Herren verwöhnt sind, im Damen-Tennis in den vergangenen Jahren aber nicht viel geboten bekamen. Seit dem Abtritt der fast schon legendären Arantxa Sánchez Vicario und dem Abschied von Conchita Martínez gab es bei den Damen nur noch wenig Grund zur Freude. Mit Carla Suárez keimt deshalb wieder Hoffnung auf. Dass der Einzug ins Viertelfinale bei den Australian Open nicht nur ein Strohfeuer gewesen sein muss und Suárez durchaus eine gewisse Konstanz aufzeigt, zeigt ein Blick auf die Bilanz des vergangenen Jahres. Auch bei den French Open in Paris, ihr erstes Grand Slam-Turnier überhaupt, hatte sie es bis ins Viertelfinale geschafft.

Ungewöhnlich ist der Weg des 1,62 Meter großen Energiebündels auch deshalb, weil Suárez nicht den üblichen Weg beschritten hat. Anders als viele ihrer Konkurrentinnen im Tenniszirkus, die sich bereits bei ihren ersten Gehversuchen mit dem Tennisschläger abstützten, begann Suárez relativ spät mit dem Sport, mit neun Jahren. Nach der Schule, in der sie das Fach Deutsch übrigens mit acht von möglichen zehn Punkten abschloss, entschied sie sich für eine Profikarriere. Seitdem lebt sie in Barcelona mit zwei Kolleginnen in einer Wohngemeinschaft und trainiert dort im Hochleistungszentrum.

Barcelona kennt die im privaten Gespräch ruhige und verhaltene Suárez auch aus Büchern, beispielsweise aus Ruiz Zafóns „Der Schatten des Windes“. Manchmal, bei Spaziergängen durch die Stadt, erkenne sie Ecken, die im Buch beschrieben werden, sagt sie und erzählt in einem Interview mit „El País“ auch von dem Buch, das sie vor dem Abflug nach Melbourne kaufte. Es handelt von einem krebskranken Mann, der seinen Kindern kurz vor seinem Tod seine Sicht des Lebens darstellt. „Sätze, die man sich merkt“, sagt Suárez.

Sie möchte ihre Träume im Leben mit Sport verwirklichen und wünscht sich „ein eigenes Haus am Meer“. Das natürlich auf den Kanaren stehen soll. Die Sehnsucht nach der Heimat werde immer stärker, je weiter sie der Tenniszirkus durch die Welt treibe, sagt sie. „Wir von den Inseln sind schon ein eigenes Völkchen“, sagt sie, „lustig, offen, aber eben eigen.“ Den Grundstein fürs Häuschen hat sie im Übrigen schon gelegt. Allein an Preisgeldern hat die Weltranglistendreißigste in ihrer Karriere schon mehr als 480.000 Euro eingespielt.

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