„Früher war ich ein cabronazo", sagt ­Pablo Sosa, Kampfname „Vargas". Dazu setzt er ein verschämtes Jungenlächeln auf. Ein „Riesenar…" war er also. Der bullige 22-Jährige mit dem rasierten Schädel stammt aus Argentinien, ist aber auf Mallorca aufgewachsen und hat nach eigener Aussage in seiner Jugend „viele Aggressionen" in sich gehabt und ausgelebt. Das Boxen habe ihm sehr geholfen. „Nach dem Training hast du keine Lust mehr, dich auf der Straße zu prügeln, Du bist einfach zu kaputt", sagt er. Im Rahmen eines Hamburg-Aufenthaltes arbeitete er im Hamburger Hafen und trainierte in der „Ritze", der berühmten Kneipe mit integriertem Boxring.

Beim Gespräch sitzt er auf dem Ring im „Principe de España", dem Sportzentrum im Polígono Son Castelló. Er hat heute trainingsfrei, denn am vorigen Samstag hat der Mittelgewichtler sein Debüt als Neo-­Profesional gegeben, eine Art Zwischenstufe zwischen Amateur und Profi. „Er hat sehr gut geboxt und verdient gewonnen. Wir wollen ihn jetzt zum Profi aufbauen", sagt Néstor Domínguez. Der 28-Jährige hat eigentlich Geschichte studiert, verdient sein Geld aber als Boxtrainer und Organisator von Boxkämpfen.

Nestor leitet gemeinsam mit Óscar Sas­tre und Manuel Sánchez, dem Präsidenten des balearischen Boxverbandes, die ­Escuela de Boxeo, die erste Boxschule Mallorcas. Über den Zuspruch in den letzten Monaten sei man selbst überrascht. Mehr als 90 Sportler gehören mittlerweile dazu, die meisten jünger als 16 Jahre. Viele kommen aus Immigrantenfamilien. Wie auch „Chucky" Jacobo Rendón. Der 14-jährige Kolumbianer mit dem Wuschelkopf hat sich vorher auch auf den Straßen Palmas herumgetrieben. Sein Trainer bezeichnet ihn relativ neutral als „problematischen ­Jungen", vielleicht trägt er daher auch als Spitznamen den Namen einer Horrorpuppe. „Wir haben aber auch ­gute ­Kontakte zu den Eltern unserer Schüler", sagt Néstor. Jetzt trainiert ­Chucky fleißig mit dem gleichaltrigen Aitor. Der ist wiederum mit seinem Vater Manuel gekommen und traut dem temperamentvollen Chucky offensichtlich zu, dass der ihm beim Sparring wirklich eine verpassen könnte. Zumindest schaut er sorgenvoll auf die fliegenden Chucky-Fäuste und erklärt seinem Trainingspartner, dass man sich nicht im Wettkampf befinde.

Nein, Chorknaben sind das nicht, die hier im Príncipe de España trainieren. „Aber sie lernen Disziplin, das ist das wichtigste", sagt Manuel, der Vater von Aitor, ebenfalls ein ehemaliger Boxer und jetzt nur noch Trainingsteilnehmer. „Im Prinzip sind wir hier beides: Sozialprojekt und Nachwuchszentrum für den balearischen Boxverband", sagt Néstor. Spanienweit stehe man im Boxen an dritter Stelle hinter Madrid und Katalonien, behauptet er. „Wenn wir auf der Insel Veranstaltungen machen, kommen mindestens 500 Zuschauer."

Zum Training kommen auch regelmäßig Beamte der Lokalpolizei und der Guardia Civil. Die dürften den ein oder anderen ihrer Trainingskollegen auch schon einmal in anderem Zusammenhang getroffen haben. Die 16-jährige Tamara Sosa geht regelmäßig an der Plaça Gomila aus, dort wo es häufiger zu Auseinandersetzungen unter Latino-Gangs kommt. Sie selbst bezeichnet sich eher als ruhig, werde nur wütend, wenn sie provoziert werde. Zum Training ist sie mit ihrem Freund Daymar Condori gekommen. Der 15 Jahre alte Bolivianer hat am Samstag ebenfalls seinen ersten Kampf gewonnen. Auch er gehört zu den Talenten der „Escuela de Boxeo" und den Vorzeige-Problemkids. Wenn die Schule weiterhin erfolgreich bleibt, will Néstor, der Box-Promotor, deutsche Kämpfer nach Palma holen. „In Spanien fehlen uns momentan die Vorbilder und die Unterstützung der Fernsehsender", sagt er. Das sei in Deutschland anders. Daher sein Appell: Wilfried Sauerland in Andratx, bitte melden Sie sich!

Trainiert wird im Principe de España, Carrer Gremi Forners, von Montag bis Freitag immer von 17 bis 22 Uhr, Montag, Mittwoch, Donnerstag auch von 11 bis 14 Uhr.