Rafael Nadal (25) zieht Bilanz. Das Jahr 2011 war hart für ihn, vielleicht das härteste in seiner Karriere. Er ist von Platz eins der Tennis-Weltrangliste gestoßen worden. Er ist auf einen Gegner getroffen, gegen den kein Kraut gewachsen war: In sechs Finalspielen behielt Novak Djokovic die Überhand, ein einziges Mal konnte sich der Mallorquiner gegen den Serben behaupten. Trotzdem hält Nadal es nicht für sein Ziel, im kommenden Jahr den „Djokovic-Komplex" zu besiegen, sagt er im dpa-Interview. Vielmehr möchte er seine Leidenschaft am Tennis zurückgewinnen.

2011 war nicht Ihr bestes Jahr. Trotzdem haben Sie einen Grand Slam gewonnen und stehen auf dem zweiten Platz der ATP-Weltrangliste. Verlangen Sie nicht manchmal zu viel von sich selbst?

Das ist der Preis, den man bezahlt, wenn man zuvor schon so viel erreicht hat. Es ist für einen selbst nie genug. Andere sehen das gar nicht so. Klar, im Vorjahr habe ich drei Grand-Slam-Turniere gewonnen, dieses Jahr eines. Es ist wie sonst auch im Leben. Einen Schritt nach oben zu tun ist leichter als einen nach unten. Aber man fühlt sich eben nicht immer super, man hat nicht immer die gleiche Motivation oder die gleiche mentale Stärke.

Welche Rolle hat im Jahr 2011 ihre körperliche Verfassung gespielt?

In den vergangenen sieben Jahren hat man viel über mich gesprochen, dass ich verletzt sei und so weiter. Es stimmt schon, dass ich körperliche Beschwerden hatte – das war ja offensichtlich –, aber wenn ich unter einer schweren körperlichen Beeinträchtigung gelitten hätte, hätte ich nicht sieben Jahre in Folge zur Weltspitze des Tennis gehören können.

Fordert Ihre Art zu spielen vom Körper mehr Tribut als bei anderen Spielern?

Nein, es ist eher eine mentale Herausforderung. Jeder hat seine eigene Art zu spielen, aber bei mir muss die Konzentration höher sein als bei Federer, Murray oder Djokovic. Diese Spieler haben eher als ich die Fähigkeit, einen sogenannten tödlichen Ball zu spielen.

Dann verausgaben Sie sich in einem Match mehr als Ihre Gegner?

Mein Spiel führt zu einem hohen mentalen Verschleiß. Aber ich hege auch die Hoffnung, die vergangenen Monate wegzustecken, denn sie waren nicht so positiv. Ich habe gut trainiert, aber im Spiel selbst hat mir ein bisschen die Leidenschaft gefehlt, die Intensität in meinen Schlägen, in meinen Beinen und im Kopf. Das Entscheidende war der fehlende Wille, der alles andere nach sich zieht.

Stört es Sie, dass man sagt, Ihr Kopf sei ihr bester 'Schlag'?

Nein. Aber die Leute täuschen sich, wenn sie sagen, ich sei ein sehr körperbetonter Spieler. Die meisten Spieler rennen auf dem Platz viel mehr als ich.

Aber die mentale Stärke ist ein Plus …

Es ist so offensichtlich, dass man es einem Spieler anmerkt, wenn er müde im Kopf ist. Das ist Djokovic beim Masters passiert. Es passiert uns allen, aber wenn du über einen siegbringenden Aufschlag verfügst, so wie Roger Federer, dann kannst du dich dahinter verstecken. Selbst wenn du im Spiel nichts oder fast nichts zuwege bringst, hast du immer noch eine 50:50-Chance auf den Sieg. Ich bin da ganz anders. Ich muss mich vom Kopf her gut fühlen, was mich auch im Lauf meiner Karriere immer stark gemacht hat. Und ich muss jetzt daran arbeiten, diese mentale Stärke wieder zu erlangen.

Wieder sind wir beim Thema mentale Stärke. Haben Sie je daran gedacht, einen Psychologen zu Hilfe zu nehmen?

Daran habe ich nie gedacht und ich werde es wohl auch in Zukunft nicht machen. Ich respektiere die Arbeit von Psychologen natürlich, aber fürs Tennis ist das nichts. Es gibt viel wichtigere Dinge, für die man einen Psychologen braucht. Ein Psychologe wird mir nicht meine Arbeitseinstellung wieder in Ordnung bringen.

Es ist etwas eigenartig: Bei den US Open 2010, die Sie gewonnen haben, haben Sie sehr gute Aufschläge gespielt, aber danach sind diese Aufschläge irgendwo verloren gegangen. Auch in dieser Saison schlagen Sie nicht mehr so gut auf.

Nein, ich habe im Jahr 2010 oft sehr gut aufgeschlagen und auch das Jahr 2011 habe ich so begonnen. Trotzdem habe ich mit dem Aufschlag so meine Probleme. Ich muss das besser machen, aber ich muss auch viel besser die Bälle zurückbringen. Das ist der Schlüssel. Dafür muss man sehr frisch sein und schnell reagieren. Ich habe mich in diesem Jahr ein bisschen müde und langsam in meinen Reaktionen gefühlt. Dazu kommt noch, dass ich auf schnellem Belag mit einem schlechten Aufschlag meinem Gegner sehr ausgeliefert bin. Dann fügt er mir großen Schaden zu. Wenn ich gut aufschlage, bin ich Herr über das Spiel. Das ist wieder Kopfsache: Das Selbstvertrauen wächst und lässt dich besser spielen. Dein Gegner schlägt dann schon nicht mehr so ruhig auf.

Wird 2012 die größte Herausforderung Ihrer Karriere?

Nein, ach was!

Naja, es ist ein Jahr mit Olympischen Spielen in Wimbledon, das Jahr, in dem Sie versuchen wollen, ihr früheres Niveau wieder zu erreichen, das Jahr, um das ungleiche Duell mit Djokovic für sich zu entscheiden. Da kommt einiges zusammen.

Nein, so viel ist das gar nicht. Es ist ein Jahr, in dem ich mich in meinem Inneren verbessern und vor allem mich selbst überwinden muss. Es geht nicht darum, Djokovic zu besiegen noch sonst jemanden. Ich muss persönlich weiterkommen, alles andere ist zweitrangig. Das Wichtigste ist, wieder mit Leidenschaft zu spielen und mit der notwendigen Intensität. Ob es dann reicht, werden wir sehen. Für diesen Schritt muss ich mich auch ein Stück weitquälen.Beim Turnier Roland Garros in Paris sagten Sie uns noch, dass der 25. Geburtstag nichts geändert hat, aber in der zweiten Saisonhälfte begannen Sie, davon zu sprechen, dass sie nun schon 25 Jahre alt seien und dass in diesem Alter ein gewisser Verschleiß zu spüren sei.

An meinem 25. Geburtstag hat sich nichts geändert. Und was auch nichts ändert ist, 70 oder 80 Matches pro Jahr zu spielen, immer mit dem eigenen Anspruch zu gewinnen und immer gut zu spielen. Wenn du nicht immer gut spielst, gewinnst du nicht. Aber ich bin nun 25 und ein halbes Jahr alt und ich vertraue darauf, dass mir noch einige Jahre bleiben. Um diese Jahre noch auf diesem Niveau zu spielen, muss ich diesen Schritt nach vorne machen, mich noch einmal überwinden.

Wollen Sie immer noch bei einem Turnier ein Doppel mit Roger Federer spielen?

Ich glaube, irgendwann ergibt es sich einfach mal. Aber die Jahre vergehen …

Federer hat kürzlich gesagt, dass ein Boykott des Spielbetriebs nichts bringen würde, und er hat auch klar gesagt, dass ihm der Vorschlag einer Zwei-Jahres-Weltrangliste nicht gefällt, wie es sie beim Golf gibt. Diese Positionen widersprechen Ihren. Gibt es zwischen Ihnen an der Spitze der Spielergewerkschaft Diskrepanzen über Grundgedanken und Strategien?

Nein. Er hat seine Vorstellungen als Vorsitzender des Spielerrats und ich als Stellvertreter habe eben andere. Nur weil ich meine Vorstellungen habe, sind die seinen nicht schlecht. Man muss sie abwägen. Ich möchte übrigens auch keinen Boykott. Im Moment zumindest stehe ich meilenweit davon entfernt.

Aber es gibt Uneinigkeit zwischen Ihnen und Federer?

Ich bin ja nicht der Einzige, der sich für die Zwei-Jahres-Wertung ausspricht, viele Spieler sind ebenfalls dafür. Die Zwei-Jahres-Weltrangliste nützt allen, nicht nur denen, die oben stehen, wie die Gegner das immer darzustellen versuchen. Es ist ein Schutz für Spieler, die sich verletzen. Die Verletzung würde dann nicht das Karriereende bedeuten. Es stimmt, dass ein Spieler, der sich heute verletzt, schneller wieder nach oben zurückkehren kann, aber du fängst eben auch bei Position 700 wieder an, so wie es Juan Martín del Potro passiert ist. Es ist aber wichtiger, nicht ganz so tief zu fallen und beim Comeback mit weniger Druck spielen zu können.

Federer hat einmal davon gesprochen, wie schwierig es ist, sich bei großen Turnieren frei zu bewegen, weil man andauernd im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Ist das auch für Sie ein Problem?

Dank denen, die uns nahe sein und sehen wollen, haben wir die Karriere, die wir haben. Aber oft schäme ich mich, wenn ich mich umringt von Leibwächtern bewegen muss. Ja, ich schäme mich, obwohl es manchmal natürlich notwendig ist, beschützt zu werden.