Juan Pablo Meneses hat sich Zeit genommen, um diese Industrie kennenzulernen. Zwei Jahre war der chilenische Journalist in

Lateinamerika unterwegs - unter anderem in Mexiko und Argentinien, in Chile, Kolumbien, Peru und Brasilien. Der 44-Jährige hatte nur ein Ziel: sich einen zehn- bis zwölfjährigen Nachwuchs-Fußballer für etwa 200 US-Dollar - so der Marktpreis - zu „kaufen", zu seinem Betreuer zu mutieren, ihn an einen solventen Club in Europa zu verhökern und ordentlich was dabei zu verdienen.

Sehr zart muss Frischfleisch heutzutage für die Vereine sein, damit man als Player im Big Business mit lateinamerikanischen Nachwuchs-Ballakrobaten einen Reibach machen kann.

16-Jährige gelten bereits als zu alt für Clubs wie den FC Barcelona oder den italienischen Verein Brescia Calcio, der laut Meneses seit jeher besonders viele junge Latinos unter Vertrag hat. Und dies, obwohl die Fifa ob dieses Geschäftes inzwischen vernehmbarer denn je die Nase rümpft. Periodismo Cash (Cash-Journalismus) nennt Meneses die Vorgehensweise für sein neues Buch „Niños futbolistas" (Editorial Blackie Books, Barcelona). So verfuhr er schon einmal, 2008, und zwar mit einem Kalb namens „La Negra", das er kaufte und bis zu seiner Schlachtung aufzog („La vida de una vaca", Editorial Seix Barral).

Viele verdienten sich in den vergangenen Jahrzehnten eine goldene Nase mit ihren pollos, wie der Fußball-Nachwuchs etwa in Argentinien genannt wird. Routinier Guillermo Coppola etwa, der einst zeitweise den göttlichen Diego Maradona unter seinen Fittichen hatte und noch heute glänzende Augen bekommt, wenn er an Partys Ende der 80er mit Fürst Rainier und anderen Prominenten zurückdenkt. Coppola steht wie kaum ein anderer in der Branche für Glanz und Glamour - also für all das, was viele Fußball-Youngster toll finden. Und so begab sich Juan Pablo Meneses auch in die Diskothek „Esperanto" in Buenos Aires. Dorthin, wo Models oder TV-Moderatorinnen seinen Recherchen zufolge gezielt viele schon arrivierte Jung-Fußballer umgarnen, die genau dann dort auftauchen, wenn die Vereine in Europa gerade nicht spielen. Die Girls träumen eben wie die Kicker-Kids auch davon, nach Spanien oder Italien umzusiedeln, um dort in Saus und Braus zu leben.

Die Überführung von Jung-Fußballern sei eine der ertragreichsten Export-Industrien nach Europa, schreibt Meneses. Die Latino-Kicker gelten als besonders ballverliebt und daher versiert. Spätestens seit der Bilderbuchkarriere von Lionel Messi (26), der bereits mit 13 zum FC Barcelona ging, sind die Vereine ganz scharf auf den Nachwuchs aus dem Süden. Im Wissen um die Nachfrage aus Europa stecken Eltern in ganz Lateinamerika ihre Kinder in ­Trainingscamps. Zunehmend werden diese Fußballschulen direkt von den europäischen Clubs wie Barça betrieben, die so gleich an der Quelle abschöpfen, was abschöpfenswert ist.

Juan Pablo Meneses besuchte Orte wie die Fußballschule ­Cantolao in Limas Vorort Callao. In der peruanischen Hauptstadt traf er sich auch mit einem letztlich nicht zu Barça-Ehren gelangten Ex-Jungspund namens Kevin Méndez. Der hatte vor Jahren mal Messi samt Vater bei einem

Turnier in seinem Verein kennengelernt, als dieser noch ein pollo von vielen, also so klein und erfolgsdurstig wie er selbst war.

Meneses reiste auch in die „Escuela de Formación Sarmiento Lora" in der kolumbianischen Stadt Cali und war in Mexiko, wo das Business mit Jung-Fußballern mit dem Drogenhandel verwoben ist, und wo Talente schon einmal, wie mehrfach in Ciudad Juárez geschehen, einfach ermordet werden. Und er war in Rio de Janeiro, im Stadtteil Barra da Tijuca, wo einige in Europa zu Reichtum gelangte Stars ihre Villen errichteten. Auch Messis besonders fußballverrückte Heimatstadt Rosario besuchte er. Und Jesús María bei Córdoba, Argentinien, wo sich der Nachwuchs-Fußballverein „Club Social, Atlético y Deportivo Che Guevara" gar nicht für den Handel mit jungen Kickern erwärmen kann.

Die meisten der von Meneses zusammengetragenen Geschichten enden nicht gut. Es ist die Rede von Jungen, die etwa von Fernseh-Kanälen bei Casting-Shows zu Halbgöttern aufgebaut wurden, aber nicht nach Madrid oder Barcelona kamen und dort dicke Ferraris fuhren, sondern ganz hart wieder auf den Boden der Tatsachen stürzten. Die nicht reüssieren konnten, weil sie einfach nicht gut genug waren. Die nach Europa gelangten, dort aber nicht einmal in der dritten Mannschaft irgend welcher Wald- und Wiesen-Vereine landeten und die alles andere als reich wieder nach ­Lateinamerika zurückkehrten. Die in bescheidenen Malocher-Berufen endeten, sich etwa als Getränkeverkäufer bei Veranstaltungen verdingten.

Schließlich gelangte Meneses während seiner Recherche-Reisen auch in die proletarisch geprägte chilenische Hafenstadt Valparaíso, zum „Club Deportivo Estrellas de Ercilla". Dort machte er sein Fußballtalent aus: Ihm stach ein besonders spurt- und reaktionsschneller

Junge ins Auge, den er „CL. 01" nennt. Er kontaktierte seinen Großvater, verhandelte mit ihm. Ob tatsächlich ein Deal zustande kam, bleibt allerdings am Schluss des Buches offen.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 24. Dezember (Nummer 712) lesen Sie außerdem:

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