Wie so oft im Leben kommt es auf die Perspektive an. Während am Donnerstag (21.5.) ein paar wenige Familien an der Playa de Muro mit kleinen Kindern dem etwas unwirtlichen Klima mit frischen Böen und Wolken trotzen und mäßig begeistert im Sand buddeln, gerät Hans Flatscher über das Wetter ins Schwärmen. „Das sind ideale Bedingungen für unser Training", sagt der 47-jährige Cheftrainer der Schweizer Ski-Nationalmannschaft der Damen. Der gebürtige Salzburger sitzt im Restaurant Boy an der Haupt­straße nach Alcúdia und stärkt sich nach einer 90-Kilometer-Etappe auf dem Fahrrad mit Fischfilet und Gemüse. Um sich herum hat er die zwölf jungen Frauen geschart, die die vier Gruppen im Schweizer Nationalteam bilden: zwei Weltcup-Gruppen, eine Eurocup-Einheit und eine Nachwuchs-Truppe mit Technik-Schwerpunkt.

Bereits seit 2007 weilt jedes Jahr im Mai die weibliche und ein Teil der männlichen - diesmal sind es nur die fünf Slalom-Fahrer - Ski-Elite des Alpenstaates an der Playa de Muro, um hier ihre Saisonvorbereitung zu beginnen. Untergebracht sind die Sportler im Iberostar-Hotel Playa de Muro, Guides von Bicycle Holidays Max Hürzeler führen sie über die Inselstraßen.

In der Schweiz wäre an Fahrradtraining zurzeit nicht zu denken. „Gerade hat es in den Bergen wieder geschneit", sagt Flatscher, der schon seit Anfang an mit nach Mallorca kommt. Zunächst waren es nur die Herren, die witterungsbedingt nach Mallorca flohen. Seit Flatscher aber vor vier Jahren als Trainer von den Herren zu den Damen wechselte, nimmt der Österreicher auch sie mit auf die Insel.

Radelnde Skifahrer - was sich zunächst kurios anhört, ist ein Trainingsansatz, der sich seit vielen Jahren bewährt und auf den inzwischen viele Athleten der Skifahrernationen zurückgreifen. Und nicht nur sie: Auch Vertreter anderer Sportarten, wie etwa Fahrer der Deutschen Touren­wagenmeisterschaft oder Formel 1-­Piloten schwitzen zur Vorbereitung auf dem Sattel.

Es gehe vor allem darum, frühzeitig Kondition für die Saison aufzubauen, erklärt Erich Schmidinger. Der 35-jährige Konditionstrainer der fünf Slalom-Herren sitzt mit einem seiner Schützlinge, dem für einen Skifahrer ungewöhnlich hoch aufgeschossenen 2,02 Meter-Mann Ramon Zenhäusern, am Tisch. Die anderen Männer sind schon aufgebrochen, sie radeln heute am Nachmittag. „Skifahren ist ein sehr komplexer Sport mit vielen Komponenten. Deshalb muss im Training viel Abwechslung her. Wir laufen oder skaten auch. Aber fürs Ausdauertraining ist Radfahren perfekt", sagt Schmidinger.

Auf Mallorca wird deshalb ausschließlich gestrampelt, und das ordentlich. Sieben Tage bleibt die Gruppe diesmal auf der Insel, gut 700 Kilometer spult sie in dieser Zeit ab - durch die Berge genauso wie im Flachland. Damen wie Herren kommen etwa auf die gleiche Kilometeranzahl, fahren aber zumeist getrennt. Gemeinsam bestreiten die Teams nur die sogenannte „Küsten-­Klassik", die am Freitag anstand. 136 Kilometer von Port d´Andratx bis zum Hotel an der Playa de Muro galt es dabei zu bewältigen.

Den Schweizern geht es dabei nicht um Rekordzeiten, sondern vor allem um Gleichmäßigkeit, wie die 22-jährige Weltcup-­Fahrerin Wendy Holdener erklärt. „Wir haben in der Woche vor Mallorca einen Konditionstest in der Schweiz absolviert. Hier auf dem Rad versuchen wir nun, möglichst in der bei dem Test ermittelten Pulsfrequenz zu fahren." Holdener steht seit vier Jahren im Kader und hat schon einige Mallorca-­Trainingslager mitbestritten.

Die Technikspezialistin ist mitten im Skigebiet Hoch-Ybrig nahe Schwyz groß geworden und stand mit zweieinhalb Jahren das erste Mal auf den Brettern. Auch ihr Vater und ihr Bruder seien gute Skifahrer gewesen, sagt sie. Doch Wendy hat den Durchbruch geschafft. „Ich will in dieser Saison einen Schritt nach vorne machen und Podestplätze einfahren", sagt sie und lächelt freundlich. 2017, wenn dann die Ski-Weltmeisterschaft in der Schweiz stattfindet, wollen sie und das gesamte Team richtig angreifen.

Da kommt einiges an Arbeit auf die Trainer zu. Im vergangenen Jahr gab es einen Umbruch im Team, vier routinierte Medaillensammlerinnen beendeten ihre Karriere, junge Talente rückten nach. „Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 22. Deshalb haben wir in dieser Saison erst einmal das Ziel, die jungen Leute langsam an die Weltspitze heranzuführen", erklärt Damen-Trainer Flatscher. In zwei Jahren aber, zur WM, gibt es keine Ausreden mehr, weder für die Damen noch für die Herren. Die Schweizer sind anspruchsvoll, wenn es um Erfolge im Wintersport geht. „Der Druck unserer Landsleute ist riesig. Es wird erwartet, dass die Schweiz nicht nur einen Topfahrer hat, sondern dass möglichst mehrere Fahrer auf dem Podest landen."

So etwas will minutiös geplant werden. Nach der Mallorca-Woche treffen sich die Männer wieder in einem Sportzentrum in der Schweiz, wo weiter an der Ausdauer und der Koordination gearbeitet wird. Auch die ersten längeren Einheiten Krafttraining stehen dann an. Im August kommen die Männer in Argentinien zum ersten Mal in dieser Saison mit Schnee in Berührung, bevor sie im Spätsommer auf einem ganzjährig nutzbaren Gletscher nahe Zermatt trainieren.

Die Frauen dürfen bereits eine Woche nach der Rückkehr von der Insel auf dem Gletscher bei Zermatt auf die Bretter steigen. Bis zum tatsächlichen Saisonstart haben die Athleten noch fast ein halbes Jahr Zeit. Ende Oktober steht in Sölden ein Riesenslalom an, am 10. November beginnt die Weltcup-Saison in Skandinavien. Wenn die Schweizer dann oben auf dem Podest landen, dann ist das auch ein Stück weit ein Verdienst des Grundlagentrainings auf dem Rad auf Mallorca.