Christian Ziege ist immer noch im internationalen Fußball zu Hause. Der 44-Jährige, seit Ende November vergangenen Jahres Cheftrainer des Fußball-Drittligisten Atlético Baleares, empfängt den Reporter am Freitagmittag (18.3.) mit den Worten „Schon gehört? Barça-Atlético, Bayern-Benfica, Wolfsburg-Real?" Die Viertelfinalpaarungen in der Champions League sind vor ein paar Minuten ausgelost worden, und Ziege freut sich vor allem auf das spanische Duell zwischen Barça und Atlético Madrid. Dazu nimmt er einen Schluck aus seiner Kaffeetasse mit Christian-Ziege-Foto und den Wappen aller Vereine, in denen der Europameister von 1996 in seiner Karriere gespielt hat. Der Berliner ist für die Jahreszeit erstaunlich braun gebrannt und macht einen rundum zufriedenen Eindruck. Kein Wunder, am Mittwochabend (16.3.) führte er seinen Club zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in das Finale der Copa de Federación, einem zweitklassigen Pokalwettbewerb in Spanien.

Sie sind erst drei Monate hier und haben mit der Qualifikation für das Pokalfinale bereits Club-Geschichte geschrieben. Das war so geplant, nehme ich an.

Natürlich ? Na ja, es hat sich im Lauf der Zeit irgendwie so ergeben. Als ich hier angefangen habe, war das erste Spiel, das ich von meiner Mannschaft gesehen habe, ein Pokalspiel gegen Badalona. Da wurden zu Beginn immer die Spieler eingesetzt, die sonst nicht so zum Zug kommen. Plötzlich gewannen wir aber ein Spiel nach dem anderen, obwohl die Liga immer wichtiger war als der Pokal. Aber wenn man schon mal so weit kommt, dann wollen wir natürlich jede Partie gewinnen. Und jetzt stehen wir im Finale. Viele Spieler arbeiten ein Leben lang drauf hin, einmal in einem Finale zu stehen. Und das ist in dem Pokal nicht ganz einfach, schließlich gehen die Spiele über die gesamte Saison.

Und dazu noch mit Hin- und Rückspiel, sogar im Finale. Was halten Sie von diesem Modus?

Ich kenne das schon aus Italien. Da habe ich auch mal im Pokalendspiel gegen Lazio Rom gestanden und beide Spiele verloren. Aber ich finde, es hat schon einen besonderen Reiz, wenn man ein Pokalfinale an einem neutralen Ort in einer Begegnung ausspielt. Da fokussiert sich eben alles auf die 90 oder 120 Minuten.

In der Liga läuft es nicht ganz so geschmiert. Atlético Baleares steht auf Platz 7, mit sechs Punkten Rückstand auf den vierten Platz, der zur Teilnahme an der Aufstiegsrelegation berechtigt. Woran hängt´s?

Ich habe einen Riesenrespekt vor der Segunda División B. Es gibt unglaublich viele gute Teams. Selbst die Mannschaften, die unten spielen, schlagen regelmäßig die oben in der Tabelle. Klar: Die einen spielen mehr Fußball, die anderen versuchen, sich eher mit anderen Mitteln durchzuschlagen. Aber man muss in jedem Spiel sehr viel investieren, um zu gewinnen.

Das tut zum Beispiel Lokalrivale Llosetense. Das Team war als eindeutiger Abstiegskandidat gestartet und hat inzwischen daheim alle Spitzenteams, unter anderem auch Ihren Club, besiegt.

In Lloseta zu spielen, ist keine dankbare Aufgabe. Ich glaube, dass sich alle Teams dort schwertun. Die Atmosphäre ist jedes Mal aufgeheizt und der Platz ist vorsichtig gesagt ziemlich schwer zu bespielen.

Bleiben Sie dabei, dass die Segunda División B in etwa das Niveau der 3. Liga in Deutschland hat?

Mindestens. Ich würde sogar inzwischen behaupten, dass hierzulande fußballerisch das Leistungsvermögen teils höher als in Deutschland ist. Die deutschen Mannschaften in der 3. Liga spielen doch fast alle sehr kampf- und körperbetont. Hier versuchen vor allem die Spitzenteams, viele Situationen auf spielerische Art zu lösen, wobei der Kampf natürlich trotzdem eine wichtige Rolle spielt.

Einige Spieler bei Atlético waren schon höherklassig, teils sogar in der Ersten Liga, aktiv. Wird das in den Kampfspielen der Segunda División B eher zum Nachteil?

Das Problem an der Sache ist eher, dass du sehr viele Spieler in deinem Team brauchst, die auch mal spielerisch Akzente setzen können. Einer allein oder nur wenige reichen dafür nicht.

Beispiel Malik Fathi. Er hatte zu Beginn Anpassungsschwierigkeiten, die er aber in den Griff bekommen zu haben scheint.

Die Spiele, die er auf der Position 6 macht, sind sehr gut. Aber es ist ja nicht so, dass die Drittliga-Fußballer nicht auch mit dem Ball umgehen können. In meiner Zeit bei Bayern München habe ich manchmal auch unter der Woche bei der Ersten Mannschaft mittrainiert und dann am Wochenende in der Regionalliga gespielt. Da dachten die Leute auch immer: Der Ziege, der zeigt jetzt allen mal, wo der Hammer hängt. Aber das ist nicht so einfach.

Ist es einfacher, die Spanier im Team zu führen oder die vier deutschen Spieler?

Das Tolle ist, dass die Mannschaft unheimlich eng zusammensteht. Die ziehen an einem Strang. Natürlich gibt es trotzdem Unterschiede in der Mentalität. Die Spanier sind sehr laut, reden unheimlich viel und hören laute Musik. Da sind deutsche Spieler viel ruhiger. Beim Arbeiten aber gibt es keine Unterschiede.

Die deutschen Spieler scheinen bei Ihnen keinen Vorteil zu genießen. Zu Beginn Ihrer Amtszeit saßen sie teils auf der Bank. Wollten Sie keinen falschen Eindruck von Bevorzugung erwecken?

Die Nationalität ist mir da wirklich, mit Verlaub, scheißegal. Es geht darum, mit welcher Idee wir ins Spiel gehen, wer im Training überzeugt hat und gegen wen wir spielen. Danach stelle ich die Mannschaft auf und nicht danach, ob jemand Spanier, Deutscher, Kroate, Inder oder was auch immer ist.

Glauben Sie in dieser Saison noch an den Aufstieg?

Solange wir die Möglichkeit haben, werden wir dafür kämpfen. Ganz klar. Ich halte nichts davon, Ziele aufzugeben, bevor man sie auch theoretisch nicht mehr erreichen kann. Wir geben alles dafür.

Machen Sie sich schon Gedanken über die nächste Saison?

Wir sprechen schon viel über die kommende Spielzeit. Ich bin ja noch unter Vertrag, aber wir schauen uns schon nach Spielern um.

Hatten Sie Schwierigkeiten, sich auf der Insel einzugewöhnen?

Nein. Meine Frau und ich haben ohnehin keine großen Probleme, weil wir schon an so vielen Orten gelebt haben. Klar dauert es immer ein paar Wochen, bis alles so weit organisiert ist, dass es läuft. Aber der Club hat es mir hier auch leicht gemacht. Wir haben eine schöne kleine Wohnung in Illetes und fühlen uns wohl.

Was macht eigentlich Ihr Spanisch inzwischen? Sie wollten es ja gleich von Anfang an lernen.

Ich muss zugeben, das ist schwieriger als gedacht. Beim Zuhören geht es gut, aber wenn ich dann sprechen will, rutscht mir eher Italienisch heraus. Die zwei Sprachen sind eben sehr ähnlich. Vor Kurzem hatte ich ein Interview mit einer italienischen Zeitung, da sind mir dann plötzlich spanische Vokabeln eingefallen. Aber ich möchte unbedingt Spanisch lernen. Denn man kommt an die spanischen Spieler einfach näher ran, wenn man ihre Sprache spricht. Für das tägliche Arbeiten ist das nicht so das Problem, da kommen wir mit Englisch und Händen und Füßen gut zurecht.

Noch ein kurzer Blick in die Vergangenheit. In ein paar Monaten jährt sich Ihr EM-Sieg zum 20. Mal. Werden Sie wehmütig?

Ich denke da sehr gerne dran zurück. Das war sicher das absolute Highlight meiner Karriere. Das Team damals war klasse. Wir haben zusammengehalten wie eine Eins, auch wenn wir fußballerisch sicher nicht die beste Mannschaft bei dem Turnier waren.

Wie sieht es in diesem Jahr aus? Kann Deutschland nach der WM auch den EM-Titel holen?

Das Team hat auf jeden Fall das Potenzial dazu. Aber es gibt mit Spanien, Italien und Frankreich natürlich die altbekannten Rivalen, die sicher genauso Chancen haben. Die Holländer wollten ja wieder mal nicht dabei sein. Und dann gibt es sicher wieder ein Überraschungsteam. Auch von Belgien verspreche ich mir einiges.

Wie wäre es denn mal mit einem Treffen zum 20. Jubiläum mit allen Spielern von damals auf Mallorca?

Ich habe keine Ahnung, ob ein Treffen geplant ist, aber schön wäre es. Ich hab das Team zumindest nicht hierher eingeladen, aber das WM-Team von 1990 trifft sich immerhin auch einmal im Jahr.

Hat Lothar Matthäus immer noch nicht bei Ihnen angerufen, um als Co-Trainer anzuheuern?

Kaum zu glauben, aber nein. Es scheint, dass er bei Sky als Kommentator momentan ganz glücklich ist.