Es ist 20.30 Uhr, als die vier durchtrainierten Männer an einem Freitagabend Ende Mai mit dem Abstieg vom Puig de Galatzó beginnen. Ihr Ziel ist allerdings nicht das Tal. Die Mallorquiner Toni Luque, Toni Josep Sosa, Tomeu Rubí und der Schotte Derek Watson haben noch 25 weitere Gipfel vor sich. Sie wollen in maximal 24 Stunden die 26 höchsten Berge der Serra de Tramuntana erklimmen, allesamt mindestens 1.000 Meter hoch. Am Ende benötigten die Bergsportler 26 Stunden und 26 Minuten für die über 100 Kilometer lange Strecke und die rund 7.500 zu überwindenden Höhenmeter - doch das tut dem Erfolg keinen Abbruch.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir überhaupt ankommen, und schon gar nicht alle zusammen", sagt Derek Watson, der vor 15 Jahren die schottischen Highlands gegen Mallorcas Tramuntana getauscht hat. Die Berge kennen die vier wie ihre Westentasche, vor allem Toni Sosa, der als Feuerwehrmann in Sóller auch bei der Bergrettung arbeitet. Doch mit einer normalen Bergtour hatte das 26er-Projekt nur wenig gemein. „Die große Herausforderung war, den kürzesten Weg zu finden, wobei wir kaum auf Wegen liefen, sondern querfeldein, über Geröllfelder, und das zum Teil nachts", erzählt Toni Luque zwei Monate nach dem Abenteuer am heimischen Küchentisch in Binissalem sitzend.

Schon Monate im Voraus hatte das Team deshalb mit den Vorbereitungen begonnen. Zunächst mussten die Gipfel ausgewählt werden, die man absolvieren wollte. Juan Jaume Walker schreibt in seinem Buch „Tramuntana de Norte a Sur" von gut doppelt so vielen 1.000ern, nämlich 54 an der Zahl. Lege man aber die Definition des internatio­nalen Bergsteiger- und Klettererverbandes UIAA zugrunde, müssten zwischen den einzelnen Gipfeln einer Bergkette mindestens 30 Meter Höhenunterschied liegen, erklärt Luque. Demnach schied eine ganze Reihe von Jaume Walkers 1.000ern aus - und übrig blieben 26 Gipfel. „Auf dieser Basis haben wir eine Route erarbeitet, die wir schließlich von Süd nach Nord in Angriff nahmen", sagt der 41-Jährige.

Die vier teilten sich die einzelnen Abschnitte auf, um sie im Vorfeld schon mal abzulaufen. Extra trainieren mussten die Bergsportler hingegen kaum - sie alle sind geübte Bergläufer und Kletterer, die regelmäßig an Wettbewerben auf der Insel, aber auch mal in den Pyre­näen oder Dolomiten teilnehmen und auch schon so manchen Ultratrail absolviert haben. An ihre Grenzen stießen sie während des 26-stündigen Abenteuers trotzdem so manches Mal. „Jeder hatte seine Durchhänger, das war einfach eine extrem harte Tour", erinnert sich Watson. Vor allem um Toni Sosa hätten sie sich Sorgen gemacht, als dieser nach etwa sieben Stunden, kurz vor dem Aufstieg auf die Serra d´Alfàbia, Magenprobleme bekam. „Er brachte die ganze Nacht kaum eine Banane runter, und wenn du nichts essen kannst, fehlt dir der Treibstoff", erzählt der ebenfalls 41-Jährige. Doch am Morgen ging es ihm wieder besser, und er hielt ebenso durch wie Toni Luque, der sich just zwei Wochen vorher den Knöchel verstaucht hatte und mit Bandagen lief.

Den technisch anspruchsvollsten Abschnitt stellte die Kletterpartie an der „Agulla des Frare" nahe des 1.447 Meter hohen Puig Major dar. Um den natürlichen Obelisken mitsamt einer 60 Meter hohen Vertikalwand zu erklimmen, waren Klettergurte, Karabiner und Seile gefragt, die zwei Freunde bereits in Stellung gebracht hatten, als die vier gegen halb zehn Uhr morgens, in der beginnenden Hitze und bereits mit zwölf erklommenen Gipfeln in den Beinen am Fuße der Felsnadel ankamen. Für die Verpflegung sorgte ein Begleitteam, das der Truppe mit einem Kleinbus hinterherfuhr und den Sportlern regelmäßig Obst, isotonische Getränke, Tee aus Thermoskannen und reichlich Kohlen­hydrate in Form von Nudeln und Müsliriegeln reichte.

Bei einer letzten Pause am Coll de sa Batalla in der Nähe des Klosters Lluc, es war inzwischen Samstagnachmittag und Gifpel Nummer 24 lag hinter den Bergsportlern, hatten die Begleiter außerdem schlechte Nachrichten im Gepäck: Aus der Besteigung des letzten Gipfels der Tour, des Puig Roig, sollte nichts werden. Da es sich um ein Privatgrundstück der Bankiersfamilie March handelt, ist Wanderern das Passieren eigentlich nur sonntags gestattet. „Wir hatten uns über einen Bekannten eine Sondererlaubnis geholt, doch dabei gab es offenbar ein Missverständnis", erzählt Watson.

Nach einigen hektischen Telefonaten wurde ihnen der Durchgang am Ende doch gewährt - obwohl sie ein paar Stunden Verspätung und die Finca nicht wie vereinbart bis 20 Uhr wieder verlassen hatten. „Das war uns zu dem Zeitpunkt egal", sagt der Schotte - der ohnehin nicht viel Verständnis für das hiesige Thea­ter um gesperrte Privatwege hat. Um die Tramuntana durchqueren zu können, müsse man eben manchmal ein bisschen tricksen - und auch mal über einen Zaun springen, wie es die vier etwa mitten in der Nacht beim Abstieg vom Teix zum Coll de

Sóller taten, wo sich die private Font-de-Teix-Quelle befindet.

Am versperrten Zugang zum Puig Roig war 2013 ein erster Anlauf, den Toni Sosa damals allein unternommen hatte, gescheitert. Drei Jahre später hatte nun sein Namensvetter Luque die Initiative ergriffen - und sich den Vater der Idee natürlich mit ins Boot geholt. „Ich hatte das schon lange im Kopf, als persönliches Ziel, ich wollte das für mich machen, weil wir Mallorquiner sind, und er auch fast", sagt Luque und klopft Watson freundschaftlich auf die Schulter.

Dass ihr Abenteuer auch über die Bergsport-Szene der Insel hinaus Nachahmer finden wird, bezweifeln die beiden nicht im Geringsten. „Er wird sicher Wiederholungen geben", sagt Watson. „Allerdings ist das wirklich nur was für Freaks, das ist nicht massentauglich." Und das sei auch gut so.