Die Musik aus „Gravity" ertönt, Simbal, der braune Wallach spitzt die Ohren und galoppiert an der Longierleine gleichmäßig im Kreis. Ein eleganter Sprung und noch einer, und die zwei Schwestern sitzen auf dem Pferderücken. Die Swa­rovski-Steine an ihren schwarz-weißen Kostümen blinken. 90 Sekunden lang haben sie Zeit, den Richtern im Pas de deux, wie die Zweierdisziplin im Voltigieren heißt, ihr Können zu beweisen.

Sind eineinhalb Minuten nun kurz oder eine kleine Ewigkeit? Zu kurz, um die Bandbreite an Varianten, Schwierigkeiten sowie den Wechsel von dynamischen und statischen Übungen zu zeigen, finden Lucy und Layla Fraser, die seit ihrem vierten und sechsten Lebensjahr voltigieren. Ewig lang, wenn es da­rum geht, von der ersten bis zur letzten Sekunde konzentriert jede Figur perfekt auszuführen. 7,239 Punkte gaben ihnen die Richter bei den Europameisterschaften im Voltigieren für Junioren im französischen Le Mans im August - die Geschwister von Mallorca gewannen die Silbermedaille für Spanien.

Sechs Wochen später üben Layla und Lucy die Meisterkür auf dem Reitplatz vom Club Hípico La Gubía in Bunyola, wieder auf dem Wallach Simbal. Ihre Mutter Diane Fraser trainiert sie und führt die Longierleine. Der Auftritt wirkt auch im Trainings-Outfit spektakulär. Wie sie leichtfüßig aufs Pferd hüpfen und schnell hintereinander mehrere Figuren ausführen - die Beine nach hinten oben in die Luft schwingen (Flanke), eine 360-Grad-Drehung im aufrechten Sitz vollführen (Mühle) oder ein Rad auf dem Pferderücken schlagen -, das erscheint Laien fast wie Zauberei.

„In Frankreich fühlten wir uns im Vergleich zur Konkurrenz wie plumpe Kartoffeln", erzählt Layla, mit 17 Jahren die Ältere der beiden. „Die Deutschen, Österreicher und Schweizer sind unheimlich stark im Voltigieren", ergänzt Lucy, 15 Jahre. In Spanien sei die Sportart dagegen nicht sonderlich bekannt, viele würden immer noch fragen: ¿Volteo? ¿Qué es eso?

Um an den Meisterschaften in Frankreich teilzunehmen, mussten sich Lucy und Layla, die auf Mallorca geboren sind, eine deutsche Mutter und einen neuseeländischen Vater haben, zunächst qualifizieren und auf einem internationalen Turnier mindestens die Note 6,5 erreichen (zehn ist die höchste Punktzahl). Von einem Wettkampf in Holland fuhren sie mit einer 6,48 enttäuscht wieder nach Hause. Im Mai klappte es dann auf einem Turnier in der Schweiz, sie konnten sich sogar in beiden ­Kategorien, dem Einzel und dem Pas de deux, behaupten. ­„Richtig stark sind wir aber im Doppel", so Layla, „weil wir uns als Schwestern einfach irre gut kennen." Lucys Stärke ist ihre Dehnbarkeit, Layla hat einen starken Ausdruck und kann Lucy bei Hebe­figuren gut halten.

Anders als im Einzel gibt´s im Pas de deux keine Pflichtübungen, die man auf dem Pferde­rücken zeigen muss. Also dachten sich die Fraser-Schwestern eine Kür-Choreografie zu Musik aus dem Film „The Marsian" und dem Stück „Gravity" von Steven Price aus und studierten sie monatelang ein. Bei den Musikeffekten half ihnen ein befreundeter Voltigierer aus Deutschland, Daniel Kaiser, der auf Mallorca Urlaub machte. „Die Voltigierer sind eine große Familie und helfen sich gegenseitig", erzählt Layla. Die Anzüge entwarfen sie selbst, eine Hälfte erinnert an eine Astronauten-Kluft, die andere soll mit Swarovski-Steinen das Universum darstellen. „In Frankreich hatten wir das Glück, auf unseren eigenen Pferden zu starten", erzählt Lucy, „in Holland und der Schweiz mussten wir uns Pferde ausleihen, da der Transport von Mallorca ziemlich kostspielig ist."

Seit 2013 besitzt die Familie Fraser ein eigenes Voltigierpferd, den achtjährigen Royal George Alexander, Spitzname Rudi, der im Vergleich zum 22-jährigen Simbal noch ziemlich unerfahren ist. Simbal und zwei weitere Pferde stellt der Reitclub La Gubía. Im Sommer trainieren Lucy und Layla meist jeden Tag, im Winter drei- bis viermal die Woche - aktuell für den Weltcup Ende November in Madrid. „Auf dem Pferderücken verbringen wir aber höchstens eine Stunde", erklärt Lucy. Ein Großteil des Trainings besteht aus Turn- und Fitnessübungen auf dem Boden. „Alles eine Sache der Organisation", antwortet ­Layla auf die Frage nach der knappen Freizeit. „Ich lerne am effektivsten für die Schule, wenn ich wenig Zeit zum Büffeln habe."

Dass sich Voltigieren auf Mallorca zu einem ernst zu nehmenden Sport entwickelte, ist vor allem Diane Fraser zu verdanken. Die Voltigierlehrerin und ehemals selbst aktive Voltigiererin gründete 2005 die erste Gruppe im Reitstall Real Club Escuela Equita­ción Mallorca. „Am Anfang waren es acht Kinder, heute haben wir 35 Mitglieder zwischen drei und 17 Jahren und sind die größte Voltigierschule in Spa­nien", erzählt Diane Fraser, die in Australien geboren wurde und in Bayern aufwuchs. Inzwischen werden auf der Insel jedes Jahr drei Voltigierwettkämpfe ausgetragen - Balearische Meisterschaften,

Mallorquinische Meisterschaften, Trofeo Consell de Mallorca -, zu denen Diane Fraser auch Richter und Voltigierer aus Deutschland einlädt, von deren Wissen und Erfahrungen sie profitiert. „Layla und Lucy sind inzwischen meine Co-Trainerinnen und in jeder Trainingsstunde mit dabei", erzählt Diane Fraser stolz. Sie selbst übernahm mit 16 ihre erste Voltigiergruppe. Gibt es auch einen Nachteil, wenn die Mutter die eigenen Kinder trainiert? „Klar", sagt sie, „ich bin vorsichtiger." Statt eines Salto-Abgangs dürften die Töchter ruhig weniger spektakulär vom Pferd springen: „Etwas Einfaches, das trotzdem gut aussieht, ist auch okay."

Kontakt Voltigieren: Club Hípico La Gubía, Carretera de Sóller, km 13,6, Bunyola. Tel.: 606-50 17 45 (Diane Fraser)