Während sich andere Spielerinnen auf die Billard-Europameisterschaft in Portugal vorbereiteten, arbeitete Amalia Matas in der familieneigenen Bar Sol i Lluna in Palma. Täglich hieß es Kaffee und Bier ausschenken, statt gezielt die Kugeln im Loch zu versenken. „Einen Monat vor dem Turnier Ende März habe ich vielleicht zwei Mal gespielt", sagt sie. Dennoch gewann die 28-jährige Mallorquinerin das EM-Finale in der Spielform 10-Ball gegen die Slowenin Ana Gradinski.

„Im Gegensatz zu den Jahren zuvor bin ich ohne Erwartungen angereist." Dadurch hat Amalia Matas keinen Druck auf sich selbst ausgeübt und behielt bei den entscheidenden Stößen eine ruhige Hand. „Der Erfolg im Billard hängt zu 90 Prozent vom Kopf ab. Die restlichen 10 Prozent bilden Übung und Wettkampferfahrung", sagt sie.

Seit 15 Jahren spielt Amalia Matas Billard. Angefangen hat alles in der Indianápolis Pool Bar in Palma, wo sie mit ihren Eltern hingegangen ist. An einem Billardtisch spielten Mitglieder eines Clubs. „Ich war zwölf Jahre alt und saß immer nur daneben und habe zugeschaut. Eines Tages haben sie mich gefragt, warum ich denn nicht mitspiele, wenn ich einmal da bin."

Wie die meisten Anfänger spielte sie zu Beginn 8-Ball - die klassische Variante, die aus den Bars und Kneipen dieser Welt bekannt ist. 15 Kugeln - sieben Volle, sieben Halbe und die schwarze Acht - gilt es zu versenken. Bei offiziellen Partien muss der Spieler vor dem Stoß ansagen, welche Kugel er in welche Tasche schicken will.

Einen Monat lang schoss Amalia Matas die Kugeln ohne Gedanken an einen Wettkampf über den Tisch. Dann sprach sie der Präsident des Clubs an und wollte, dass sie an den balearischen Meisterschaften teilnimmt. „Eigentlich hatte ich keine Lust, aber der Präsident meinte, dass er die Einschreibegebühr übernimmt und ich somit nichts zu verlieren hätte." Also trat Amalia Matas an - und kürte sich prompt zur Meisterin in ihrer Altersklasse. Einmal auf den Geschmack gekommen, wollte sie von dem Spiel mit den bunten Kugeln nicht mehr ablassen. „Durch das Billardspielen tauche ich in meine eigene Welt ein. Dann kann ich meine Probleme im Alltag ausblenden."

Amalia Matas probierte sich aus. Vom 8-Ball wechselte sie zu den anderen Spielformen 9- und 10-Ball. Diese werden - gemäß dem Namen - mit neun oder zehn Kugeln gespielt. Bei jedem Stoß muss die Kugel mit der niedrigsten Nummer angespielt werden. Zudem muss eine Kugel versenkt werden oder zumindest eine Bande berühren. Gewonnen hat der Spieler, der zuerst die Kugel mit der höchsten Nummer aus dem Spiel nimmt. Beim 9-Ball entfällt im Gegensatz zum 8- und 10-Ball die Pflicht, vor dem Stoß das gewünschte Resultat anzusagen.

Zwölf Jahre lang spielte Amalia Matas auf einem hohen Niveau, die großen Titel blieben jedoch aus. Als die Mallorquinerin 24 Jahre alt war, verlor sie die Lust am Billardspielen. „Mir ist wichtig, dass das Spielen mir Spaß macht. Sonst ist es mir egal, ob ich gewinne oder verliere. Das war damals nicht mehr der Fall." Sie verkaufte ihre Queues und ihre Ausrüstung und rührte drei Jahre lang keine Billardkugel an.

Ein Freund habe sie schließlich dazu überredet, aus Jux eine Partie zu spielen. „Als ich den Queue wieder in den Fingern hielt, erinnerte ich mich an das Gefühl zurück, das ich ganz am Anfang meiner Karriere hatte." Sie beschloss, einen Neustart zu versuchen. Doch dieses Mal sollte alles anders werden. „Ich hinterfragte mich, wa­rum ich damals so pessimistisch war, wenn ich einfache Stöße nicht richtig ausgeführt hatte."

Wochenlang wälzte Amalia Matas Bücher durch und durchforstete das Internet, um zu ­verstehen, wie die menschliche Psyche funktioniert. „Im End­effekt habe ich gedanklich meine eigene Hausarbeit zu dem Thema geschrieben." Das Fazit: Amalia Matas brachte sich autodidaktisch Meditationstechniken bei und konvertierte zum Buddhismus.

Zu ihrem neuen mentalen Training gehört auch das Visualisieren. Bei dieser Übung gehen Billardspieler Partien von Anfang bis Ende im Kopf durch. Jeder einzelne Stoß, jede einzelne Position der Kugeln und jedes Geräusch beim Zusammenstoß wird gedanklich simuliert - immer mit dem idealen Ausgang. „Das fördert ungemein das Selbstbewusstsein."

Diese Übungen erfordern zudem kaum Zeit. Eine imaginäre Partie kann Amalia Matas auch in den ruhigen Minuten in der Bar spielen. Einen Billardtisch hat sie bewusst nicht im Sol i Lluna aufgebaut. „Dann würde ich nur noch trainieren und gar nicht mehr zum Arbeiten kommen."

Auch als Europameisterin kann es sich die 28-Jährige nicht erlauben, sich auf den Sport zu konzentrieren. „Bei der spanischen Meisterschaft und der EM gibt es höchstens ein paar Fördermittel zu gewinnen. Leben kann ich davon nicht." Für die Queues kommt ein Ausrüster auf. Einen Sponsor hat die Mallorquinerin jedoch nicht. „Wenn mir jemand Geld fürs Billardspielen zahlen will, würde ich mit Stolz seinen Namen auf meiner Kleidung tragen", sagt sie lachend.

Da nur wenige Frauen auf ihrem Niveau in Spanien Billard spielen, misst sich Amalia Matas mit den Männern. „Da liege ich aber nur im Durchschnitt." Vor der Europameisterschaft hatte die Spielerin eigentlich geplant, nach dem Turnier erneut zu pausieren. „Ich wollte verreisen, um mal etwas anderes als Billardtische und die Bar zu sehen. Doch nach dem Titel habe ich meine Meinung geändert." So stehen im Juni die spanischen Meisterschaften auf ihrem Kalender. Das große Ziel in diesem Jahr sind die 8-Ball-Weltmeisterschaften im September in China. „Der Verband zahlt die Reise, und im Vergleich zur EM gibt es dann auch ein Preisgeld."