Etwas versteckt liegt die neue ­Außenstelle der Fahrschule von Chicho Lorenzo an der Umgehungsstraße Camí de ses Pedreres kurz vor Manacor. Doch wer das Autoradio leiser stellt und die Fenster herunterkurbelt, bekommt eine Hilfestellung. Schon von Weitem ist das Dröhnen der Motoren zu hören.

Die kleine Rennstrecke befindet sich hinter einem Parkplatz. Auf einem Feld nebenan misst Lorenzo gerade eine Kurve aus. Hier soll ein Rundkurs entstehen. Die Außenlinie der Strecke ist mit einem Wall aus Erde erhöht. „Das ist meine Erfindung", sagt Lorenzo. „Das soll eine Kurve bei hoher Geschwindigkeit simulieren. Meine Schüler fahren die Kurve mit 50 km/h, denken aber durch die Schräglage, dass sie

100 km/h schnell sind."

Die bestehende Strecke ist derzeit nicht mehr als ein kleiner asphaltierter Platz. Weiße Linien und kleine Vierecke sind auf dem Boden gezeichnet. „Das sind Fixpunkte, die die Genauigkeit beim Fahren fördern sollen", erklärt der 58-Jährige. Das Übungsgelände sei für Fahrer aller Alters- und Leistungsklassen geeignet. „Wenn ein Anfänger im Fußball Elfmeterschießen üben will, braucht er ein Tor, einen Ball und einen Keeper. Und Cristiano Ronaldo? Der benötigt das Gleiche! Beim Motorradfahren ist das genauso."

Seit 28 Jahren lehrt der gebürtige Venezolaner Kinder und Jugendliche das Fahren. 26 Schulen in acht Ländern betreibt Lorenzo. Auf Mallorca ist er in Palma, Muro und in Manacor vertreten. Vor wenigen Tagen gelang ihm ein Weltrekord. Er brachte Mario, einem Kleinkind im Alter von einem Jahr und zehn Monaten, das Fahren auf einem echten Mini-Motorrad bei. In einem Video auf seinem Youtube-Kanal ist zu sehen, wie Mario mit einem Sesamstraßen-Schnuller im Mund vom Laufrad auf das Motorrad wechselt.

Während sich die Fahrschüler in ihre Schutzanzüge zwängen, hat Chicho Lorenzo ein paar Minuten Zeit, um über seinen Sohn zu sprechen. Im Gegensatz zu Mario ist Jorge Lorenzo ein Spätstarter. Erst mit dreieinhalb Jahren setzte ihn sein Vater auf ein Motorrad. Der Karriere tat das keinen Abbruch. Mit dem japanischen Rennstall Yamaha wurde der heute 30-Jährige drei Mal Weltmeister in der MotoGP, zuletzt im Jahr 2015. Zur aktuellen Saison wechselte Lorenzo zum italienischen Team Ducati. Vater Chicho hält den Wechsel für richtig. „Es ist wichtig in der Karriere eines Rennfahrers, mit unterschiedlichen Teams zu gewinnen. Sonst sagen alle, dass man nur wegen des Motorrads Erfolg hatte."

Mit Ducati hat sich Jorge Lorenzo eine große Herausforderung gesucht. Nur einmal in den vergangenen 15 Jahren konnte der Rennstall den Titel holen. Auch mit dem mallorquinischen Neuzugang scheint sich daran nichts zu ändern. Nach fünf Rennen liegt Lorenzo in der Gesamtwertung nur auf dem achten Platz. Für Vater Chicho ist ganz klar das Motorrad schuld. „Die Ducati fährt eine halbe Sekunde langsamer als alle anderen Maschinen." Zudem habe Jorge Lorenzo eine Regeländerung hart getroffen. Seit dieser Saison sind Winglets - kleine Flügel an der Front des Motorrads - verboten. „Sie sorgen dafür, dass der Schwerpunkt Richtung Vorderrad verschoben wird. Bei dem Erfinder Ducati waren sie ein wichtiger Bestandteil." Jorge ­Lorenzo könne ohne die Hilfsmittel seine Stärke, die hohe Geschwindigkeit in den Kurven, nicht so gut zur Geltung bringen.

Ausgerechnet Maverick Viñales, der Lorenzo bei Yamaha ersetzte, führt die Rangliste an und ist auf dem Weg zum Titel. Es wäre die fünfte Meisterschaft in Folge, die an einen Spanier geht. „In Spanien gibt es viele Väter, die gute Arbeit geleistet haben. Sie haben die Motorräder gekauft und ihre Kinder möglichst früh zum Training angemeldet", erklärt Chicho Lorenzo den Erfolg. „Zudem ist das Klima hier prädestiniert. Es wird wohl nie einen skandinavischen MotoGP-Meister geben."

Das Training beginnt. Zwei Mädchen und ein Junge fahren auf großen Motorrädern eine kleine Acht. Nach ein paar Runden ist Pause und vier Kinder auf Mini-Motorrädern fahren den Parcours. Die mit Protektoren versehenen Knie scheuern in den Kurven auf dem Boden. Immer wieder verheddert sich ein Kind und stürzt. Bei dem Tempo sei das kein Problem, sagt Chicho Lorenzo. „In den zwölf Jahren, die ich auf Mallorca unterrichte, hatte ich etwa 300 Schüler und nur drei Knochenbrüche: zwei Mal das Schlüsselbein und ein Mal der Oberschenkel. Viel mehr Brüche haben sich meine Schüler zu Hause beim Spielen geholt."

Je nach Anzahl der gewünschten Stunden kostet die Schule zwischen 100 und 150 Euro im Monat - ohne Motorrad und Schutzanzug. Dafür gibt es wahrlich kein Wohlfühlpaket. Chicho Lorenzo ist ein strenger Lehrer. Penibel achtet er darauf, dass seine Schüler mit dem Vorderrad die schmale weiße Linie nicht verlassen. „Wer abweicht, fliegt raus", sagt er seinen Schützlingen deutlich. Die Fahrer haben sich mittlerweile in einer Schlange aufgestellt. Einzeln fahren sie die Acht so lange, bis Lorenzo einen Fehler sieht. „Wenn ich dich noch mal mit dem Hintern wackeln sehe, war es das für dich", sagt der Lehrer zu einem Mädchen und macht vor, wie sie in der Kurve mit den Beinen das Gewicht verlagern soll. Der Schlüssel auf dem Weg zum Weltmeistertitel? „Die einfachen Sachen richtig machen." Und Sohn Jorge ist das beste Argument dafür, dass die Methoden von Vater Chicho funktionieren.

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