Es gibt Termine, für die müsste der Reporter eigentlich einen Vergnügungszuschlag bezahlen. Eine Weinprobe mit dem Borussia-Dortmund-Urgestein Norbert Dickel ist so ein Termin. Am Montagabend (2.10.) weilte der frühere Stürmer der Schwarz-Gelben, der mit seiner Frau und einer Handvoll Freunde auf der Insel war, bei einer solchen Verkostung bei Vinodelco, einem kleinen gemütlich eingerichteten Laden auf der Rambla in Palma de Mallorca. Und wie das so bei einer Weinprobe ist, kommt man nach dem Begrüßungs-Cava schnell ins Gespräch. Mit Siezen fängt Dickel erst gar nicht an. „Ich bin Nobby", sagt er gleich. Gebucht habe er den Urlaub erst fünf Tage vorher, in Palmanova ist er untergebracht. „Ein spontaner Kurztrip." Auf Mallorca war er schon häufig, meist mit seinen Gofus, den golfenden Fußballern, deren Präsident Dickel ist. Die Gofus spielen Golf und sammeln Geld für gute Zwecke. Das wissen viele.

Nur wenigen Menschen erzähle er aber, dass er fast mal beruflich auf Mallorca gelandet wäre. „Dass ich 1986 ein Probetraining bei

Real Mallorca absolviert habe, weiß außer meiner Frau kaum jemand", feixt der heute 55-jährige Siegerländer. Damals war der Inselclub gerade in die Primera División aufgestiegen, und Dickel, der zuvor beim 1. FC Köln spielte, reiste nach Palma, um sich gemeinsam mit dem Holländer Danny Blind, der von Juli 2015 bis März 2017 holländischer Nationaltrainer war, einen Tag lang beim Training reinzuhängen - umsonst. „Wir wurden beide für zu schlecht befunden", erzählt Dickel und lacht laut auf. „Danny Blind wurde später Kapitän der holländischen ­Nationalmannschaft, ich habe in der Saison 1986/87 in Dortmund 20 Tore geschossen. Da kannste mal sehen."

Mit dieser Spielzeit in Dortmund erkämpfte sich Dickel den Kultstatus bei den Fans, den er bis heute besitzt. „Sogar junge BVB-Fans, die mich nie haben spielen sehen, wollen Fotos mit mir machen", sagt Dickel, während wir einen Mantonegro aus einer bodega in Santa María schlürfen. Noch heute feiern ihn die BVB-Anhänger dafür, dass er sich für den Verein aufgeopfert hat und trotz Knieschadens weiterspielte, was ihn 1990 zum Sportinvaliden machte.

Und der BVB bedankte sich auf seine Weise. Quasi über Nacht ernannte der Club 1992 Dickel zum Stadionsprecher der 80.000 Zuschauer fassenden Arena. „Ich hatte das gar nicht vor und dachte auch nicht, dass ich das überleben werde." Doch er überlebte. Seit einem Vierteljahrhundert steht Dickel in einer Ecke an der Südkurve. „Das ist Nobbys Balkon", erzählt er stolz. Was sagt er am liebsten an? „Tore natürlich, das macht mich kirre!" Seinen ersten Einsatz als Stadion­sprecher hat er verdrängt. Es war ein 0:2 gegen den Erzrivalen Schalke 04. „Ich habe das seltene Talent, dass ich verloren gegangene Spiele gegen Schalke und Bayern aus meinem Gedächtnis streichen kann."

Wie er da so sitzt bei einem Glas Wein und Oliven und lebhaft erzählt, kann man sich Dickel gut als Stadionsprecher vorstellen. „Dabei ist das nur eine von vielen Aufgaben." Eigentlich sei er im Marketing tätig und dafür zuständig, „Sponsoren zu finden und zu binden". Zusätzlich ist er Anchorman des clubeigenen TV-Kanals sowie Kommentator im BVB-Netradio. „Das mache ich auch schon seit 19 Jahren und ich bin immer wieder baff, wo uns die Leute überall zuhören." 40 Prozent der Hörer kämen aus dem Ausland - vor allem in Japan sei das Radio beliebt. Auch dort gebe es eine große Dickel-Fangemeinde. „Die Leute verstehen kein Wort, aber wenn ich sie frage, warum sie mir zuhören, dann sagen sie: Emotion, Emotion."

Dickel grinst über das ganze Gesicht. Es ist spät geworden in der Weinhandlung, der Rest der Gruppe ist bereits in ein nahe gelegenes

Restaurant aufgebrochen. Dickel aber schenkt dem Reporter noch einmal Wein nach und gibt geduldig weiter Auskunft.

Und behält das Grinsen gleich bei, als er zum Abschluss noch die aktuelle Situation in der Bundesliga einschätzen soll. „Tabellenführung mit fünf Punkten Vorsprung vor den Bayern, das ist doch ein Traum!" Aber Dortmund habe eben auch eine Supertruppe in dieser Saison. Außerdem passe der Trainer Peter Bosz perfekt. „Er hat einen ganz klaren Plan, wie man Fußball spielen muss. Und er beklagt sich nicht, wenn er Verletzungspech im Team hat."