Manchmal dürfte sich Simon Torwie wie Gulliver fühlen, der das Land der Liliputaner bereist. Mit 2,04 Metern hat der auf Mallorca geborene Sohn einer deutschen Familie eine Größe erreicht, die so manch ein Mallorquiner nicht mal auf den Schultern eines anderen erlangt. Der 16-Jährige weiß seine körperlichen Vorteile auch einzusetzen und ist auf dem Sprung zu einer professionellen Volleyballkarriere. Bei der U18-EM in Tsche­chien Mitte April hat Torwie Gold gewonnen - mit Deutschland, denn für Spanien durfte er wegen Formalitäten nicht auflaufen Der 16-Jährige ist der Sohn von Heinz Torwie, der 1984 auf die Insel auswanderte und seit 1990 mit seiner Firma Solarta Solar- und Fotovoltaikanlagen anbietet.

Während seine Klassenkameraden irgendwann das Wachstum einstellten, schoss Simon Torwie immer weiter in die Höhe. Mit 13 Jahren maß er schon 1,83 Meter. „Meine Lehrerin reichte mir bis zur Brust und dachte sich: Was ist denn bei dem schiefgelaufen?", sagt Torwie. Auch das Schulmobiliar war auf ihn nicht vorbereitet. „Ich passte mit meinen Beinen nicht unter den Tisch. Die Schule hat mir dann einen Schreibtischstuhl und einen anderen Tisch besorgt. Doch auch dieser lag auf meinen Knien, und die Tischbeine hingen in der Luft."

Auch seine Sportkarriere stand anfangs unter keinem guten Stern. Torwie versuchte sich an Fußball und - na klar - Basketball. „Nach den ganzen Wachstumsschüben hatte ich aber Probleme mit der Koordination. Ich war ein großer Tollpatsch, und der Sport hat mir keinen Spaß gemacht."

Zum Volleyball kam er 2010. Die Mitarbeiter der Firma seines Vaters spielten im Sommer am Strand. Simon Torwie und seine zwei Jahre ältere Schwester Olivia schlossen sich an. Gemeinsam mit einem Freund, Toni Piris, wechselte er später vom Fußball zum Volleyballclub CV Artà. „Wir waren die besten Spieler des Teams und haben uns zu immer besseren Leistungen angetrieben."

Der Volleyball-Verband wurde auf sie aufmerksam und lud sie im Januar 2017 zu einem Lehrgang der spanischen Nationalmannschaft ein. Simon Torwie musste seinen Freund zur Teilnahme überreden. „Es gibt viele Mallorquiner, die im Dorf hängenbleiben. Ich habe ihm gesagt: Entweder du gehst hin, oder du kommst nicht mehr weiter."

Einmal dort, war es Toni Piris, der seinen Freund trösten musste. Der Junioren-Nationaltrainer wollte Torwie gerne in seinem Team haben - doch der spanische Volleyballverband akzeptiert keine Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft. „Und meine deutsche Staatsbürgerschaft will ich nicht abgeben", sagt Torwie. Auch das Betteln des Trainers beim Verband um eine Ausnahmegenehmigung blieb ohne Erfolg.

Der Gedankengang liegt nahe, dass es Simon Torwie dann in Deutschland versuchte, zumal er ein entspanntes Verhältnis zu nationalen Zugehörigkeiten hat. „Ich fühle mich zwar auf Mallorca zu Hause, aber auch nicht an ein Land gebunden. Mir ist es egal, ob ich die deutsche oder beispielsweise auch die österreichische Hymne singe."

Über einen Trainer des Volleyballvereins SUS Oestereiden in der westfälischen Heimat des Vaters bekam Torwie die Telefonnummer von Matus Kalny, dem U18-Bundestrainer. „Ich habe ihm dann ein paar Videos von meinen Spielen geschickt, und er hat mich im März 2017 zu einem Probetraining eingeladen."

Der 16-Jährige konnte Matus Kalny überzeugen. Dieser ist nicht nur Bundestrainer, sondern auch Coach vom Volleyball-Internat Frankfurt (VIF). So zog Torwie im August nach Deutschland und konzentrierte sich voll auf den Sport. Neben dem Lernen für das dreijährige Abitur an dem Sportinternat der Carl-von-Weinberg-Schule steht täglich Training auf dem Programm. „Die Umstellung auf die deutsche Schule war leichter als gedacht. Nur mit der deutschen Rechtschreibung habe ich noch Probleme."

Noch in anderer Hinsicht fühlt sich der 16-Jährige in Deutschland manchmal ein wenig fremd.„Wenn sie von meiner Herkunft hören, denken alle, dass ich in meiner Heimat nur am Ballermann abhänge."

Mit dem Team des VIF ist Simon Torwie in der nächsten Saison für die dritte Herrenliga gemeldet. Der Club hätte eigentlich auch in der zweiten Liga spielen können, ist aber freiwillig abgestiegen, da ein zu großer qualitativer Aderlass durch den Abgang der älteren Schüler befürchtet wird.

Auf höchstem Niveau misst sich Torwie als Mitglied der U18-Nationalmannschaft. Der EM-Sieg im April war eine große Überraschung. Es war die erste Goldmedaille eines deutschen Jugend-Hallenvolleyballteams überhaupt. „Eigentlich wollten wir mit etwas Glück unter die ersten sechs Teams kommen, um uns für die U19-WM 2019 zu qualifizieren." Die Gründe für den Erfolg sieht Torwie im Teamgeist der Mannschaft. Er selbst musste über weite Teile des Turniers mit einem Platz auf der Bank auskommen. Denn auf seiner Position des Diagonalspielers, quasi dem Angreifer im Volleyball, spielt Filip John, der zum besten Spieler der EM ausgezeichnet wurde.

Seine sportliche Zukunft sieht der 16-Jährige in Deutschland. „In Deutschland gibt es die Möglichkeit, eine Profikarriere mit einem Studium zu verbinden." Denn mit dem Volleyball können nur die wenigsten ihr Leben finanzieren.

Die Mallorquiner werden ihren Landsmann wohl in der nächsten Zeit nicht auf der Insel spielen sehen, trotz zweier Erstligavereine in der kommenden Saison. „Das kann ich mir höchstens zum Ende meiner Karriere vorstellen. In Deutschland ist die Begeisterung für den Volleyball größer. Selbst in der zweiten deutschen Liga fiebert eine ganze Halle mit."