Es scheint, als müsste sich Larissa Minkova ihre Heimat selbst ins Gedächtnis rufen. „Ich komme aus Leningrad, heute Sankt Petersburg", wiederholt die 61-Jährige mehrmals. Die Russin ist 1990 nach dem Ende der Sowjetunion nach Deutschland und später nach Mallorca ausgewandert. In Russland war sie seitdem nicht mehr. Bei der am Donnerstag (14.6.) in ihrer Heimat startenden Fußball-WM fiebert sie dennoch mit der russischen Nationalmannschaft, Sbornaja genannt, mit.

Damit ist sie auf Mallorca nicht allein. Rund 1.800 russische Staatsbürger sind auf der Insel gemeldet. „Zählt man die Russen dazu, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, kommt man bestimmt auf 5.000 Residenten. Ich habe auch einen deutschen Pass", sagt Minkova.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion ging eine schwere wirtschaftliche Krise einher. Minkova, die in Sankt Petersburg als Deutsch- und Englischlehrerin gearbeitet hatte, wanderte mit ihrem Mann und ihrer Tochter nach Wiesbaden aus. Dort betrieb sie eine Handelsfirma, die deutsche Produkte nach Russland verschickte.

Über ihre Tochter Daria hatte die Familie den ersten Kontakt nach Spanien und mit Mallorca. „Nach ihrem Abitur jobbte Daria als Animateurin auf der Insel. Wir kamen sie besuchen und haben uns in Spanien verliebt." 1996 kaufte sich die Familie ein Haus in Torrevieja an der Costa Blanca und wanderte sechs Jahre später ganz aus. Minkova fand Arbeit bei einer Immobilienfirma. Als ihr Chef weiter nach Mallorca zog, blieb Minkova vorerst auf dem Festland. „Erst als meine Tochter schwanger wurde, kamen wir auf die Insel." Daria hatte sich in der Zwischenzeit bei der Ibero­star-Kette zur Direktorin für die Animation hochgearbeitet. „Sie betreut von Alcúdia aus alle Ibero­star-Hotels außerhalb den USA und der Karibik." Mutter Larissa fand eine Anstellung bei ihrem ehemaligen Chef, der heute die Immobilienfirma SGI-Mallorca SL in Santa Ponça betreibt.

Auf der Insel fühlt sich Minkova wohl, nur die russische Kultur vermisst sie etwas. „Sankt Petersburg gilt als Kulturhauptstadt Russlands mit seiner Vielzahl an Theatern und Museen. Auf Mallorca gehe ich immer zum russischen Ballett, wenn es denn mal auftritt." Kulinarisch kann sich die 61-Jährige im russischen Supermarkt in Palma versorgen. „Besonders Salzgurken - wie Spreewaldgurken nur ohne Essig - und braunen Buchweizen gibt es sonst nirgends zu kaufen."

Die Kritik an der Weltmeisterschaft an Russland mit Bezug auf das politische System kann sie nicht nachvollziehen. „Wir haben Glück, mit Putin so einen Politiker zu haben. 90 Prozent von dem, was die Medien schreiben, stimmen nicht. Das tut uns weh. Russland ist ein freies Land", sagt sie. „Die WM gibt uns die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, wie stolz wir auf unser Land sind." Ihrer Meinung nach sind etwa 70 Prozent der Russen auf Mallorca dem russischen Staatschef positiv gesinnt. Sie glaubt auch nicht, dass die WM in Russland im Zeichen der Gewalt stehen könnte (siehe rechts). „Es gibt zwar sehr aggressive Leute, aber nicht mehr als in anderen Ländern."

Sport war immer die große Leidenschaft von Larissa Minkova. „Als ich noch in der Sowjetunion unterrichtet habe und Olympia lief, habe ich mich immer krankgemeldet. Irgendwann haben die Kinder gemerkt, dass meine Stunden bei Sportevents immer ausfallen", sagt sie lachend. Mit Humor nimmt die 61-Jährige auch die eher spärlichen Chancen der russischen Nationalmannschaft auf Erfolg. Seit sieben Spielen konnte die Sbornaja nicht gewinnen. „Wir Russen machen viele Witze über unsere Fußballer. Zum Beispiel: Wir haben 140 Millio­nen Einwohner und schaffen es nicht, elf Leute zu finden, die Fußball spielen können." Mit viel Glück könne Russland die Gruppe überstehen, meint Minkova. Den Auftakt bestreiten die Russen am Donnerstag (14.6., 17 Uhr) gegen Saudi-Arabien. Die Gruppe wird ergänzt durch Uruguay und Ägypten. Durch das Großereignis in der Heimat soll laut Minkova die Fußball­leidenschaft bei den Russen neu entfacht werden. „Dann können wir mal sehen, wie man richtig ­Fußball spielt."

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