Felix Magath ist erschüttert. Man könnte meinen, er hätte selbst die deutsche Mannschaft in das historische WM-Debakel geführt. Der 64-Jährige, bekannt als Meistertrainer des FC Bayern München (2005 und 2006) und des VfL Wolfsburg (2009), hatte am Samstag (23.6.) noch frohen Mutes den 2:1-Sieg der Deutschen gegen die Schweden auf dem Weingut Castell Miquel in Alaró gefeiert. Er ist Beirat in der von Michael Popp gegründeten Stiftung Natureheart Foundation, die am kommenden 29. September ebenfalls auf Castell Miquel wieder zu einer Benefiz-Gala lädt. Die MZ sprach mit Magath über das Aus der Löw-Elf, die Hürden der Favoriten in der Vorrunde und den Fitnesszustand der Spieler. Magath erhielt wegen seiner fordernden Trainingseinheiten den Spitznamen Quälix.

Wie erklären Sie sich das Aus der Deutschen in der Vorrunde?

Ich kann es immer noch nicht glauben. Mit Ausnahme der zweiten Halbzeit gegen Schweden war das eine desolate Vorstellung in allen drei Spielen. Man muss bedenken, dass man lediglich gegen Mexiko und Südkorea gespielt hat, und nicht etwa gegen den Europameister.

Wer hat Schuld an diesem Debakel?

Es gibt nicht einen Schuldigen. Da müssen sich alle hinterfragen, die damit zu tun hatten. Manuel Neuer ist der Einzige, den ich da außen vorlassen würde. Er hat wieder eine Weltklasse-Leistung gezeigt.

Hat Joachim Löw eine Zukunft als Nationaltrainer?

Dazu habe ich keine Meinung. Ich bin in der schönen Situation, dass ich das nicht entscheiden muss.

Der Treffer von Toni Kroos gegen Schweden wirkte wie der Wendepunkt. Jeder hatte erwartet, dass Deutschland nun überzeugend auftritt...

Das konnte ich mir gar nicht anders vorstellen. Der Knoten war eigentlich geplatzt, als man das Spiel zu zehnt noch gewann. Zuvor konnte ich noch nachvollziehen, dass das deutsche Team nervös in das Turnier gestartet war und nicht wusste, wo es steht.

Fehlte den WM-Helden von 2014 der Erfolgshunger?

Ich weiß nur: Die Spieler haben eine emotionslose, mutlose und kraftlose Vorstellung abgeliefert.

Ihre Devise als Trainer war immer harte Arbeit mit Medizinbällen und einem Trainingshügel. Die WM erfolgt im Anschluss an eine lange Saison. Geht ein Spieler nach mehr als 50 Spielen im Jahr noch fit und frisch in ein Turnier?

Als Vereinstrainer muss ich die Spieler bearbeiten, damit sie Qualität bekommen. Daher habe ich auch den Hügel bauen lassen, um mit den Spielern in der Vorbereitung Kondition zu trainieren. Meine Spieler waren immer in der Lage, nach einer Saison noch eine EM oder WM zu spielen. Jetzt in der Vorrunde machen aber alle Spieler noch einen guten Eindruck.

Deutschland ist nicht der einzige Favorit, der enttäuscht hat...

Die Erfahrung zeigt, dass die Vorrunde bei den vermeintlichen Favoriten immer holprig verläuft. Das war bei der WM 2014 nicht anders. Da hat die Spielweise der Deutschen in der Vorrunde auch keine Euphorie entfacht. Ein weiteres Beispiel sind die Italiener bei der WM 2006. Das ist kein Grund zur Besorgnis. Als Favorit hat man einen schweren Stand. Das sieht man derzeit auch bei den Franzosen, Spaniern, Argentiniern und Brasilianern. Zum Start geht es gegen die sogenannten kleinen Teams, die defensiv spielen und aufopferungsvoll kämpfen. Da wiegt die Favoritenrolle schwer. Ich gehe dennoch davon aus, dass Brasilien und Spanien um den WM-Titel spielen werden.

Sie waren als „Quälix" in der Bundesliga gefürchtet, wussten aber mit Ihrer harten Gangart auch ein Star-Ensemble zu führen. Die Argentinier um Lionel Messi haben jetzt mehr oder weniger ihren Coach Jorge Sampaoli entmachtet. Was hat er falsch gemacht?

Das kann ich nicht sagen. Ich will niemanden aus der Entfernung kritisieren. Zumal ich nicht weiß, wer welche Aufgaben hatte. Argentinien hat top Einzelspieler, die nicht zu einer geschlossenen Mannschaftsleistung gefunden haben. Das ist aber keine Überraschung, denn es hatte sich schon in der Qualifikation abgezeichnet. Da muss es schon länger interne Probleme geben.

Sie haben aber bestimmt bei den Bayern ähnliche Erfahrungen gemacht. Wie muss man in der Kabine mit Superstars umgehen?

Vereinstrainer und Nationalmannschaftstrainer sind zwei verschiedene Schuhe. Im Verein muss ich etwas entwickeln. Nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Spieler. Da kann ich nicht auf jeder Position auf einen Weltklassefußballer zurückgreifen und muss Kompromisse eingehen. Als Nationaltrainer ist die Aufgabe weniger das Training, sondern mehr die Atmosphäre. Die Probleme dort haben nicht immer mit Fußball zu tun.

Ist ein Nationaltrainer dann quasi ein Klassenclown, der bei allen für gute Laune sorgt?

Das würde ich nicht sagen. Es hängt davon ab, welchen Einfluss der Trainer auf die Zusammenstellung des Kaders hat. Bei Deutschland ist es klar, dass Löw allein entschied. Das können nicht alle Nationaltrainer.

Die WM hat für einige Überraschungen gesorgt. Russland, England und Kroatien hatte nicht jeder auf dem Zettel...

Die Russen haben einen günstigen Spielplan erwischt. Ägypten und Saudi-Arabien waren leichte Aufgaben.

Wobei die Russen vor der WM ein halbes Jahr lang kein Spiel gewonnen hatten...

Die Vorbereitung hat keine Aussagekraft. Das ist die Zeit für Experimente. Da steht das Ergebnis nicht an erster Stelle. Außer wenn ich das Team schon gefunden habe und Selbstvertrauen aufbauen will. Die Kroaten hingegen haben sehr gute Einzelspieler und gelten als Geheimfavorit.

Bleiben die Engländer: Die hatten bei den vergangenen Turnieren meist auf große Namen gesetzt. Jetzt sind es junge Spieler und der Teamgeist, die die Insel begeistern...

Da hat Trainer Gareth Southgate bei der Zusammensetzung des Kaders das richtige Händchen gehabt. England hat bereits in der Qualifikation einen guten Eindruck hinterlassen und den jetzt ausgebaut. Dennoch spielen sie überraschend gut.

Fehlt dem Team am Ende die Erfahrung für den Titel?

Die Mischung macht es. Mit dem 24-jährigen Stürmer Harry Kane haben die Engländer zwar einen jungen Stürmer, der aber in den vergangenen Jahren mit Tottenham immer zur Spitzengruppe der englischen Liga zählte. Da hat er schon Erfahrung gesammelt. Bei einem Turnier können sich Spieler auch in einen Rausch spielen. Die Engländer sollte man im Auge behalten.

Seit Ihrem Abschied beim chinesischen Club Shandong Luneng vergangenen Dezember sind Sie ohne Verein. Haben Sie Ihre Trainerkarriere beendet oder warten Sie noch auf das passende Angebot?

Ich habe nie gesagt, dass ich meine Karriere beendet habe. Dass ich seit Dezember nichts gemacht habe, liegt daran, dass ich zuvor in China gearbeitet habe, während meine Familie in Deutschland gewohnt hat. Jetzt genieße ich die Zeit mit ihr. Ich arbeite gern und viel. Es hat mir in China zu viel Spaß gemacht, als dass ich nun schon aufhören möchte.

Wird es eine Rückkehr in die Bundesliga geben?

Ich setze mir keine Grenzen.

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