Unter normalen Umständen hätte der Basketball-Club Iberojet Palma einen Spieler wie Jonathan Jeanne wohl nie verpflichten können. Vor einem Jahr war Jeanne, der von der französischen Karibikinsel Guadeloupe stammt, drauf und dran, in die Fußstapfen von Dirk Nowitzki oder LeBron James zu treten. Experten hielten ihn beim NBA Draft 2017 - der jährlichen Auswahlrunde, bei der junge Spieler an die US-Proficlubs verteilt werden - für eines der vielversprechendsten Nachwuchstalente. Doch dann kam eine ärztliche Diagnose, die für den 21-Jährigen bis heute nicht so richtig greifbar ist. „Ich hatte nie irgendetwas gespürt", sagte er bei seiner Vorstellung in Palma am Mittwoch (5.9.). Statt in der besten Basketballliga der Welt gegen die Los Angeles Lakers oder die Golden State Warriors anzutreten, spielt er in der kommenden Saison gegen Tau Castelló, ZTE Real Canoe und Rio Ourense in Spanien zweitklassig.

Eingeladen zum Draft

Jonathan Jeanne hatte 2015 seine Heimat verlassen und war zum französischen Erstligaclub Le Mans gewechselt, wo er nur in der zweiten Mannschaft zum Einsatz kam. In der Spielzeit 2016/2017 lieh Le Mans den Center an SLUC Nancy aus. Dort gelang ihm der Durchbruch, die Scouts nahmen ihn wahr, es folgte die Einladung zum NBA Draft. Die Experten sahen in dem 2,16 Meter großen Spieler einen herausragenden Verteidiger, der zudem in der Offensive variabel einsetzbar ist. Der Beine des Baskteballers wirken zwar wie zwei Salzstangen in Turnschuhen, sind dafür aber extrem beweglich. So ist Jeanne für den Gegner schwer auszurechnen. Er kann sowohl unter dem Korb als auch mit Würfen von jenseits der Dreipunktelinie für Gefahr sorgen.

Chad Ford vom amerikanischen Sportsender Espn prognostizierte, dass Jeanne an 23. Stelle im Draft gewählt würde. Zum Vergleich: Mallorcas einziger NBA-Spieler, Álex Abrines, wurde 2013 an Stelle 32 ausgesucht. Jeanne erhielt eine Einladung zum Draft Combine. Das ist ein Trainingslager, wo die Teams die besten Spieler näher betrachten können. Dort kam bei der medizinischen Routineuntersuchung der Schock: Der Arzt diagnostizierte das Marfan-Syndrom und schloss eine professionelle Basketballkarriere aus. „Mir wurde schwarz vor Augen. Ich dachte mir: Was geht hier nur vor?", erinnert sich Jonathan Jeanne.Enorme Wachstumsschübe

Beim Marfan-Syndrom wird das Bindegewebe befallen. Die Ursache ist eine Genmutation, die meist zu enormen Wachstumsschüben und dünnen Gliedmaßen führt. Angeblich soll auch Abraham Lincoln von dem Syndrom betroffen gewesen sein. „In Europa ist die Krankheit weitgehend unbekannt", so Jeanne. „Das größte Problem stellt das Herz dar. Bei großer Belastung kann es zu Herzklappenfehlern kommen." Jeanne wollte die Diagnose nicht wahrhaben und klapperte weltweit Ärzte ab, um weitere Meinungen einzuholen. „Ich spiele seit sechs Jahren Basketball auf hohem Niveau und hatte nie ein Symptom gespürt." Lange war er der Einzige, der weiterhin an eine Profikarriere glaubte. „Ein anderer Beruf kam für mich nicht infrage." Die NBA-Teams wandten sich ab. Sein französischer Club Le Mans, bei dem er noch einen gültigen Vertrag hatte, entließ ihn. Auch sein Berater wollte nicht weiter mit ihm arbeiten.

Im Januar 2018 erhielt der 21-Jährige endlich positive Nachrichten. Ein Arzt von der Universität in Stanford (USA) befand, dass er sehr wohl weiter professionell Basketball spielen könne. Hoffnung brachte ihm auch die Karriere von Isaiah Austin. Der US-Amerikaner teilt sein Schicksal und hat nach einer dreijährigen Pause heute in der chinesischen Liga sein Glück gefunden. Ganz so lange warten wollte Jeanne nicht. Im Sommer nahm er in Las Vegas an einem Trainingscamp für Basketballer teil, die einen Verein in Europa suchen. „Dort ist er uns aufgefallen", sagt Felix Alonso, Trainer von Iberojet Palma.

Der Inselclub war der einzige Verein, der dem Franzosen ein Angebot unterbreitete. Das Risiko mit der Verpflichtung dürfte sich auszahlen. „Es gibt in der Liga keinen zweiten Spieler mit seinen Fähigkeiten", sagt der Coach. „Er besticht mit athletischen und technischen Qualitäten." So könnte Jeanne einer der herausragenden Spieler in der am 5. Oktober startenden Zweitligasaison sein.Wie in der Karibik

Eingewöhnungszeit braucht der Basketballer wohl nicht. „Die Insel gefällt mir. Hier ist es schön warm wie in meiner Heimat in der Karibik." Auf die Wohnungssuche verzichtet er und bleibt im Hotel. In den Clubs am Paseo Marítimo fühlt er sich bereits wohl. Auch körperlich hat der Franzose keinen Nachholbedarf. „Sportlich bin ich im besten Zustand meines Lebens. Da ich von meiner Krankheit keine Symptome spüre, bin ich auch weiterhin der Spieler, der es fast in die NBA geschafft hätte", sagt Jeanne.

Felix Alonso will seinen neuen Schützling dennoch langsam in den Profibasketball zurückführen. „Wir müssen geduldig mit ihm sein", sagt er. Um kein medizinisches Risiko einzugehen, wird der Spieler monatlich von einem Kardiologen untersucht. Nach den Abstiegsängsten in der Vorsaison will Iberojet Palma in diesem Jahr um den Aufstieg mitspielen. Das Team sei bereits erstklassig, meint Jeanne. Ähnlich sieht es sein Trainer. „Das ist die beste Mannschaft, die Palma je hatte. Jetzt kommt es nur noch darauf an, aus den Spielern eine Einheit zu formen." Einen ersten Härtetest hat Iberostar Palma am Freitag (7.9.) bestritten. Der Inselclub traf in Barcelona auf den Ligakonkurrenten CB Prat. Palma setzte sich mit 98:75 durch. Jonathan Jeanne ließ mit 13 Punkten sein Können aufblitzen.