Extremsport war viele Jahre Männersache. Frauen wollten sich nicht an lange Distanzen über schwer zu bewältigende Wege herantrauen. Das ändert sich langsam. „Wir werden mit jedem Jahr mehr", sagt Angels Olives. Die Mallorquinerin ist eine von 14 Trailläuferinnen, die sich für die 128 Kilometer bei der Tramuntana Travessa am Freitag (30.11.) von S'Arracó nach Pollença eingeschrieben haben. „Die lange Distanz schreckt viele Frauen ab. Aber dieses Jahr will ich es packen." Während Angels Olives lediglich heil ins Ziel kommen will, soll bei Ragna Debats der Sieg rausspringen. Die Holländerin mit Wohnsitz in Spanien ist die amtierende Weltmeisterin im Traillaufen. Als Frühstarterin kann man die 39-Jährige nicht bezeichnen. Noch vor wenigen Jahren konnte sie nicht einmal drei Kilometer auf ebener Strecke laufen.

Lieber auf dem Pferd

Ragna Debats stammt aus dem niederländischen Ooij, einem kleinen Dorf, das nur wenige Meter von der deutschen Grenze entfernt liegt. Nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte, zog sie nach Deutschland, um professionelle Reiterin zu werden. „In Warendorf gibt es eine Reitschule, wo man sich zur Berufsreiterin ausbilden lassen kann." Sie schloss die Ausbildung ab und arbeitete einige Jahre in Pinneberg als Pferdetrainerin. „Ich träumte von einer Teilnahme bei den Olympischen Spielen, musste aber feststellen, dass nicht die besten Reiter sich qualifizieren, sondern die mit dem meisten Geld."

Da die Aussichten auf Olympia daher eher mau waren, zog es Debats nach Birmingham. Dort studierte sie deutsche und spanische Sprach- und Literaturwissenschaften. Während eines Erasmus-Aufenthaltes in Valencia verguckte sie sich in Spanien und beschloss, nach dem Studium dort leben zu wollen.

Keine drei Kilometer laufen

2009 zog die Holländerin nach Xerta, eine Kleinstadt ziemlich genau in der Mitte ­zwischen Barcelona und Valencia. „Ich hatte während meiner Erasmus-Zeit jemanden dort kennengelernt. Zudem fühle ich mich eher zum Dorf als zur großen Stadt hingezogen."

Zu dieser Zeit war Debats alles andere als eine Profisportlerin. Sie arbeitete in einer Buchhandlung und von zu Hause aus für ein englisches Unternehmen, das sich im An- und Verkauf von Metall spezialisiert hat. „Ich saß während der Arbeit eigentlich nur rum und beschloss, dass ich Sport machen muss." Mehr als ein bisschen Inliner- oder Radfahren waren damals nicht drin. „Ich habe es damals nicht einmal geschafft, zum Nachbarort Aldover zu joggen, der drei Kilometer entfernt lag." Drei Kilometer sind für den Anfang ein gutes Ziel, um mit dem Laufen anzufangen. „Ich trainierte so lange, bis ich es nach Aldover geschafft habe. Danach habe ich weitertrainiert, bis ich die Strecke auch wieder zurücklaufen konnte." So steigerte sich die Holländerin immer weiter, bis sie es schon ins zehn Kilometer entfernte Tortosa und zurück schaffte.

Rauf auf den Berg

In Tortosa wurde sie von einem örtlichen Laufveranstalter angesprochen, ob sie nicht Lust auf einen Berglauf hatte. Debats war innerlich zerrissen. Einerseits fühlte sie sich zu den Bergen hingezogen, da sie dort in der Kindheit fast jeden Urlaub verbracht hatte. „Auf der anderen Seite hatte ich Bammel, dass ich, wenn ich alleine durch die Berge laufe, von einem Tier oder einem Bösewicht angefallen werde." Die Holländerin gab sich einen Ruck und beendete den 21 Kilometer langen Berglauf. „Ich habe Monate gebraucht, um mich von den Schmerzen zu erholen", sagt sie. Was ein wenig nach Übertreibung klingt, hat auch viel Wahres in sich. „Da ich jahrelang nur auf Pferden geritten bin, war mein Körper an die Strapazen vom Laufen nicht gewöhnt." So hatte Debats bei den Rennen in der Folge immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen.

Karriereschub nach der Pause

Die 39-Jährige ist überzeugt, dass sie ihre ­Erfolge im Traillaufen auch ihrer Tochter zu ­verdanken hat. „Während der Schwangerschaft habe ich den Sport ruhen lassen und mein Körper hatte Zeit zur Regeneration. Danach war ich körperlich und mental bereit für eine Profi-Karriere." Nachdem ihr Kind 2014 geboren war, konzentrierte Ragna Debats sich auf das Laufen. „Ich habe meine Ernährung und mein Training umgestellt", sagt sie. Da sie als Mutter nicht mehr so viel Zeit hatte, hat sie weniger trainiert, dafür aber intensiver. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. 2016 holte sie Bronze bei der Traillauf-WM im portugiesischen Braga. Besser machte sie es noch im vergangenen Mai. In Castellón de la Plana absolvierte sie die 85 Kilometer in 9 Stunden und 55 Minuten und kürte sich zur Weltmeisterin. Zudem ist die Holländerin auch in einer eher unbekannten Sportart Weltmeisterin. 2017 gewann sie in den USA die WM im Schneeschuhlaufen. „Das hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Berglaufen. Nur dass man statt normaler Schuhe auf Schneeschuhen läuft."

Das Erfolgsgeheimnis der 39-Jährigen sei der Spaß, meint sie. „Wenn ich bei einem Rennen schlechte Laune habe, wirkt sich das ­negativ auf meine Zeit aus." Für positive Gedanken soll daher eine Psychologin in ihrem vierköpfigen Trainerteam sorgen. „Die habe ich seit diesem Jahr. Sie hilft mir bei der mentalen Vorbereitung und der Strategie während ­eines Rennens."

Erster Lauf auf Mallorca

Mittlerweile kann Debats vom Traillaufen ganz gut leben. „Den Nebenjob bei der englischen Firma habe ich zwar noch, mache aber praktisch kaum noch was für die." Bei Rennen in der ganzen Welt fehlt einfach schlicht die Zeit. Argentinien, Chile, Nepal - die Holländerin ist schon über viele Berge gelaufen. Da ist es verwunderlich, dass die Tramuntana Travessa ihr erster Start auf Mallorca ist. Ihr Lebensgefährte Pere Aurell, der ebenfalls professioneller Trailläufer ist, kommt nur als mentale Unterstützung mit. Besser so, meint ­Ragna Debats. „Gegen ihn gewinne ich nur, wenn er einen sehr schlechten Tag hat."