Auf diesen Moment hat Günter Rothenberger drei Jahre lang gewartet. Er war beim Spiel von Atlético Baleares gegen Teruel am Sonntag (18.11.). Doch die Partie interessierte ihn nicht wirklich. Dabei gewann Atlético spektakulär mit 4:3 und sicherte sich den dritten Tabellenplatz. „Eigentlich wäre ich nach zehn Minuten gegangen", sagte der 63-Jährige. Denn seinen Wunsch hatte er sich schon vor dem Anpfiff erfüllt: Er hielt endlich ein Stadionheft von Atlético Baleares in den Händen. Rothenberger hat mit 25.000 Heften von genauso vielen Clubs die größte Sammlung dieser Hefte der Welt. Zumindest ist er davon überzeugt. Im kommenden Jahr soll die Jury des Guinnessbuchs der Rekorde darüber entscheiden. Was bei Rothenberger als kleiner Nebenjob begann, wurde zu einer großen Leidenschaft.

Marktlücke Programmheft

Günter Rothenberger kommt aus Gaggenau, eine Kleinstadt in der Nähe von Karlsruhe. Seitdem er 13 Jahre alt war, ist er Fan von Borussia Mönchengladbach. Als er 30 war, fielen ihm bei den Heimspielen die Stadionhefte auf, die viele Zuschauer nach der Partie achtlos wegwarfen. Rothenberger las schon immer gern die dort abgedruckten Interviews mit den Spielern, das Porträt der Gegenmannschaft. Er kam auf die Idee, dass Fans, die nicht zum Spiel gehen konnten, ebenfalls Interesse an den ­Heften haben könnten. „Zu damaligen Zeiten haben die Vereine die Hefte noch nicht im Internet oder im Fanshop zum Verkauf angeboten", sagt er. Daraufhin gründete er 1985 mit seiner Frau nebenberuflich den Fanservice. Rothenberger schrieb die Bundesliga­vereine an und bat sie, ihm einen Stapel an ­Programmheften zu schicken, die er weiterverkaufte. „Bis auf den FC Bayern München haben alle mitgemacht." Das wollte der Gaggenauer so nicht akzeptieren und kämpfte sich durch, bis er den damaligen Manager Uli ­Hoeneß am Telefon hatte. „Anfangs war er von meiner Idee wenig begeistert. Dann habe ich ihm gesagt, dass ich eine Werbeanzeige im ­Kicker schalte, in der steht: Bei uns bekommen Sie die Programmhefte von allen Bundesligisten - außer den Bayern. Darüber hat er sich ­tierisch aufgeregt und am Ende zähne­knirschend zugestimmt."

Das Geschäft lief gut. Schnell hatte Rothenberger an die 500 Abonnenten zusammen, die die Hefte bei ihm bestellten. Bei einem Spiel in Kaiserslautern stellte ihm ein Bekannter drei Programmheftsammler vor. So bekam er den ersten persönlichen Kontakt zur Sammlerszene und wurde einer der Mitbegründer der Deutschen Programmsammler-Vereinigung (DPV).

Des Guten zu viel

Der Boom der Szene war der Anfang vom Ende seines kleinen Versandhandels. Denn was als schneller Nebenverdienst begann, entwickelte sich für den Immobiliengutachter bei der Sparkasse zur zeitaufwendigen Arbeit. „Wir ­haben ein Auswärts-Abo angeboten. Denn an die Hefte von den Heimspielen kommen die Fans leicht ran."

1.500 Abonnenten meldeten sich. „Ich stand vor der Entscheidung, mache ich mich selbstständig oder lasse ich es bleiben." Er verkaufte „für gutes Geld" seinen Fanservice, der jedoch wenig später eingestellt wurde. „Die Vereine haben erkannt, dass sie selbst mit den Heften Geld verdienen können."

Sammelleidenschaft

Seine Freunde vom DPV wollte Rothenberger nicht missen und beschloss, die Hefte privat zu sammeln. Aus 150 Ländern hat er heute Hefte beisammen. Darunter Exoten wie Kasachstan, Armenien oder Lesotho. „In meiner Kategorie - also ein Heft pro Verein - habe ich die meisten Hefte. Der nächste ist ein Engländer mit 13.000 Heften."

Anfangs wurde Rothenberger von den Programmheften nahezu überflutet. Freunde, Vereine und andere Sammler schickten ihm welche. Doch mit der Zeit wurde es immer schwieriger, neue Vereine zu finden. Er klapperte Dorfsportplätze ab und schickte Rundmails an Tausende Teams weltweit. „Viel läuft auch über Tausch und Bekanntschaften zu Schiedsrichtern und Stadionhoppern." Letztere sind Fußballfans, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, so viele Stadien und Spiele wie möglich zu besuchen. „Bei Ebay habe ich mal gesehen, wie in England ein Heft des FC Burnley vom Anfang des 20. Jahrhunderts für 7.000 Pfund den Besitzer wechselte." Das entspricht umgerechnet 7862 Euro.

Die Masse an Heften wird auch langsam zum Platzproblem. „Papier ist schwer", sagt der Sammler, der seinen Hobbyraum auf dem Dachboden hat. „Wenn ich dort alle Hefte lagern würde, würde mein Haus zusammenstürzen." So kommen nur seine Lieblingshefte nach oben, der Rest muss in den Keller.

Die Jagd nach Phantomen

Einige Hefte hätte Rothenberger noch gern auf seinem Dachboden. Phantome nennt er Vereine wie Extremadura, Cruzeiro Belo Horizonte - deren Stadionhefte er seit Jahren sucht. Und dann sind da noch die verpassten Gelegenheiten. „1975 habe ich ein Preisausschreiben gewonnen und durfte mit den ­Bayern zum Spiel gegen Belo Horizonte nach Brasilien ­fliegen. Franz Beckenbauer wollte mich zum Bayern-Fan bekehren, aber ich blieb standhaft Gladbacher. Damals habe ich die Hefte noch nicht gesammelt." Ärgerlich. Aber immerhin hat das nun mit dem Heft von ­Atlético Baleares geklappt.