Dass er eines Tages im mallorquinischen Dorf s'Horta wohnen würde, konnte sich Carsten Wolf auch nicht so richtig vorstellen. „Als wir bei der Vuelta a España 1991 bei einer Etappe auf Mallorca an s'Horta vorbeikamen, hab ich zu einem Freund gesagt: Wer wohnt schon in so einem Kaff?", erinnert sich der Ex-Profi.

28 Jahre später lautet die Antwort: er. Mit seiner Frau Carina betreibt der einstige Weltmeister die Canyon.Base im Robinson Club Cala Serena. Dort können die Hotelgäste Räder ausleihen und Radtouren mit dem 54-jährigen Potsdamer buchen.

Im Alter von neun Jahren kam Wolf zum Radsport. „Mein Vater wollte mich von der Straße runterholen und hat mich beim SG Dynamo Potsdam angemeldet", sagt er. Da er gern auf dem Rad saß, hatte er kein Problem damit. Vier Jahre später wechselte er auf die Sportschule zum SC Dynamo Berlin. „In der DDR war das nicht nur eine bloße Anmeldung. Man musste sich in einem Sichtungsrennen beweisen." Die Auswahl führte niemand Geringeres als Peter Becker durch - der Trainer, der Jahre später Jan Ullrich zum Sieg bei der Tour de France führen sollte. „Becker war ein harter Hund", erinnert sich Wolf, der für den neun Jahre jüngeren Ullrich eine Art großer Bruder war, seit anderthalb Jahren aber keinen Kontakt mehr zum Rostocker hat. „Ich hoffe, dass er endlich die Kurve kriegt. Er ist ein feiner Kerl", so Wolf.

Sein erstes sportliches Ausrufezeichen setzte der Potsdamer 1982 in Florenz. In der Bahnrad-Kategorie Einerverfolgung gewann er die Junioren-WM. Der Startschuss zur Profi­karriere war das mitnichten. „Der Beruf des Profisportlers war von staatlicher Seite nicht vorgesehen. Man hat den Leistungssport zum Wohle des Volkes ausgeübt." So musste Wolf eine Ausbildung zum Kfz-Schlosser absolvieren. „Ein gewisses Interesse war da, aber viel Auswahl hatte ich nicht." Ein Auto hat er nach abgeschlossener Ausbildung nie repariert.

Bereits mit 20 Jahren zeichnete die DDR Carsten Wolf mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold aus. Dabei folgten seine größten Erfolge erst vier Jahre später. 1988 holte Wolf mit dem Bahn-Vierer bei den Olympischen Spielen in Seoul Silber. „Sechs Hundertstelsekunden fehlten zum Sieg. Das ärgert mich noch heute." Die Goldmedaille gab es für den Bahn-Vierer der DDR ein Jahr später bei der WM in Lyon.

Mit der Wende änderte sich auch für den Radsportler einiges. Er stattete sich mit einer Profilizenz aus und fand mit dem Team Telekom einen Rennstall. „Mit 27 Jahren habe ich aber zu spät angefangen", sagt er. Große Erfolge auf der Straße konnte er nicht mehr feiern. „Ich war jedoch ein guter Helfer", gibt er sich mit seiner Rolle als Nebendarsteller zufrieden. Zweimal fuhr Wolf die Spanien-Rundfahrt und den Giro d'Italia.

Der Deutsche ist ein Schönwetterfahrer. „Ich habe die kalten Frühjahrsklassiker gehasst." Die Rennen in der warmen Halle kamen ihm da gelegener. „Zudem war die Bahn schon immer mein Zuhause." Wolf spezialisierte sich auf Sechstagerennen. Da das Team Telekom ihm nur zwei der Spektakel im Jahr im Rennkalender zugestand, wechselte er zum kleineren Club Merida, der ihm mehr Freiheiten bot. „Für die damalige Zeit waren die Fahrer von Sechstagerennen gut bezahlt. Es kamen auch viele Zuschauer. Wir waren wie Rockstars. Neben der Piste standen die Frauen und haben uns angehimmelt."

So lernte er auch seine heutige Frau Carina kennen. „Das war 1996 bei einem Sechstagerennen in Singen. Es war eine offene Rennbahn, und es hat geregnet", erinnert er sich. „Daher konnten wir nicht fahren. Carina suchte meinen Kumpel Jens Fiedler, von dem sie ein Autogramm wollte. Ich hab ihr eines von mir angeboten, aber mich kannte sie nicht. Das haben wir dann geändert."

17 Sechstagerennen im Jahr fuhr Wolf. Er genoss die Stimmung. „Jede Stadt hat ihr eigenes Flair. Bremen war schon immer für sein Partypublikum bekannt. In Dortmund und Berlin kamen eher die Radsportfans."

Doch die Karriere von Wolf nahm ein unrühmliches Ende. Nach dem zweiten positiven Dopingtest hörte er auf. „Ich konnte bei beiden Fällen nichts dafür", sagt er. Der erste Fall datiert aus dem Jahr 1995. „Ich war bei einem Rennen in München schwer gestürzt und hatte mir eine Rippe gebrochen. Der Pfleger hat mir Schmerzmittel gegeben, die auf der Doping-Liste stehen. Er hat später eine Selbstanzeige gestellt." Wolf wurde ein halbes Jahr gesperrt.

Drei Jahre später wies der Radsportler erhöhte Nandrolon-Werte auf. Warum, das weiß er bis heute nicht. „Es gab Fälle, da wurden Profis Dopingmittel ins Getränk untergemischt. In meinem Fall glaube ich, dass es mit der verbesserten Messtechnik zu tun hat. Schließlich ist Nandrolon ein körpereigener Stoff. Man kann ihn als Anabolikum missbrauchen, doch das ist im Radsport unüblich." Obwohl Carsten Wolf nicht gesperrt wurde, war er gebrandmarkt. „Das war ein Schandfleck. Der Skandal hat mir so wehgetan, dass ich aufgehört und jahrelang kein Fahrrad angefasst habe."

Seit zehn Jahren wohnt Wolf auf Mallorca. Die Insel hat ihn zum Radsport zurückkehren lassen. Im Robinson Club bietet er Fahrräder der Marke Canyon zum Verleih an und fährt auch mit den Hotelgästen eine Runde. Dass er heute in einem Kaff sie s'Horta wohnt, findet er nicht mehr schlimm. „Es ist immerhin nah zur Arbeit", sagt er.