Kennen Sie den? Ein Kind ohne Arme und Beine sitzt am Küchentisch und fragt seine Mutter: Mama, darf ich einen Keks haben? Antwortet die Mutter: Keine Hände, keine Kekse. „Dieses Kind war ich", sagt Xavi Torres und lacht. „Der Humor hilft mir, Lösungen für Probleme zu finden und mein Leben zu normalisieren." Der Mallorquiner kam mit Tetraphokomelie zur Welt, was zu einer Fehlbildung der Extremitäten führt. Das hielt den 44-Jährigen nicht davon ab, einer der erfolgreichsten Schwimmer der Welt zu werden. Nun hat der fünffache Goldmedaillengewinner bei Paralympischen Spielen in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Gabriel Forteza seine Biografie „Sin miedo a caerme" (Keine Angst vor dem Hinfallen) veröffentlicht.

Seit vielen Jahren sind Torres und Forteza befreundet. „Eines Tages hatten wir fast gleichzeitig die Idee mit der Biografie." Das Projekt zog sich hin. Vier Jahre lang hat der Journalist den Sportler, Familie und Freunde interviewt. Jeder wollte etwas erzählen. Auch andere mallorquinische Spitzensportler wie Rafael Nadal, Carlos Moyá, Rudy Fernández oder Jorge Lorenzo kommen zu Wort. „Besonders emotional finde ich aber das Kapitel, in dem meine Eltern und drei Brüder darüber berichten, wie sie mit meiner Behinderung zurechtkommen mussten."

Xavi Torres selbst hatte stets einen lockeren Umgang damit. „So kann ich schließlich nicht mit dem falschen Bein aufstehen", scherzt er und fügt im ernsten Ton an. „Ein großer Vorteil ist, dass ich es nicht anders kennengelernt habe. Ich weiß, dass für mich einige Dinge schwieriger sind als für andere Menschen. Aber ich muss immerhin nicht nach einem Verlust lernen, damit umzugehen."

Der Sport spielte immer eine zentrale Rolle im Leben des Mallorquiners. Als Kind spielte er Tischtennis. „Ich war auch in der Schule bei allen Sportarten dabei." Auf Drängen des Arztes, der es für eine gute Therapie hielt, kam Torres zum Schwimmen. Am Anfang nutzte er einen Pool bei Verwandten. Mit dem Sprung ins Wasser tauchte er in eine neue Welt ein. „Ich konnte mich anders bewegen und gewann Selbstvertrauen. Andere Menschen verlieren im Wasser ein Teil ihrer Mobilität, ich hingegen fühlte mich zu hundert Prozent frei."

Bei den Paralympics in Barcelona debütierte er 1992 mit 18 Jahren. Er holte auf Anhieb Gold sowie je zwei weitere Silber- und Bronzemedaillen. Insgesamt gewann Torres, der mit Prothesen schwamm, bei sechs Teilnahmen an den Spielen 16 Medaillen. „Jede einzelne ist speziell." Seinen persönlich besten Moment sieht der 44-Jährige jedoch außerhalb der Spiele. „2002 haben wir auf Mallorca ein 24-Stunden-Rennen veranstaltet. Es war etwas Besonderes, mal nicht gegen andere, sondern nur gegen sich selbst zu schwimmen. 60 Kilometer habe ich damals geschafft."

In seiner langen Karriere gab es auch Tiefpunkte. „Mein schwierigstes Jahr war 2004 - die Spiele in Athen. Zwölf Jahre lang war ich auf meiner Paradedisziplin 200 Meter Lagen ungeschlagen. Ich habe gemerkt, dass meine Gegner die Serie unbedingt beenden wollten. Dadurch habe ich mehr auf die anderen geachtet statt auf meine eigene Leistung." Es sein die größte Niederlage seiner Karriere gewesen. „Da man aber aus Fehlern lernt, war es auch mein größter Lernfortschritt."

Seine aktive Karriere beendete Xavi Torres 2012 bei den Spielen in London. „Ich hätte gedacht, dass mir die Wettkämpfe mehr fehlen würden", sagt er heute. „Da ich mich aber als Trainer weiter mit dem Schwimmen beschäftige, hält es sich in Grenzen. Bei den Rennen meiner Schüler bin ich nervöser als bei meinen eigenen Auftritten früher." Torres trainiert in Palma eine Gruppe - mit und ohne Behinderung - und überwacht auch das Training von Teams in Barcelona und Madrid. Für den spanischen Verband arbeitet er auch als Coach der U18-Nationalmannschaft.

Damit ist der lebhafte Mallorquiner längst nicht ausgelastet. „Firmen buchen mich für Vorträge. Sie nutzen meine Geschichte für Seminare über Motivation, Teamgeist und Problembewältigungsstrategien." Bis 2015 arbeitete Torres für die Balearen-Regierung und entwickelte Projekte für den Behindertensport. Schon während seiner aktiven Karriere hatte Torres nebenbei Sportjournalismus studiert. 2011 hat er seinen Master gemacht. Für den spanischen Ableger von Eurosport kommentiert er Schwimmwettkämpfe und springt auch mal anderweitig ein. „Vor den Paralympischen Winterspielen 2010 hat mich der Sender angerufen. Der eigentlich vorgesehene Kommentator war zwar ein Experte für Wintersport, hatte aber Bammel, da er nicht wusste, wie man Behinderungen richtig bezeichnet. Ich sollte einspringen. Dabei habe ich als Mallorquiner doch keine Ahnung vom Skifahren!" Glücklicherweise sind die Olympischen Spiele stets vor den Paralympics. „Ich habe alle Sportarten rauf und runter gesehen und war dann halbwegs vorbereitet."

„Sin miedo a caerme" ist im Rapitbook-Verlag erschienen. Das Buch gibt es für 15 Euro im El Corte Inglés, ausgewählten Buchgeschäften oder im Internet unter www.rapitbook.com. In Kürze soll die Biografie auch ins Katalanische und auf Englisch übersetzt werden.