Alberto Contador ist einer der größten Radsportler aller Zeiten. Je zwei Mal gewann er bei der Tour de France und beim Giro d'Italia, drei Mal bei der Vuelta a España. Ende 2017 beendete der 36-jährige Madrilene seine Karriere. Bei der zehnten Ausgabe des Radrennens Mallorca 312 trat Contador als Ehrengast an. "312 Kilometer waren eine Herausforderung für mich. Nach meinem Karriereende bin ich nie mehr als 160 Kilometer am Stück gefahren", so Contador. Er kam nach über zehn Stunden auf Platz 73 durchs Ziel.

Auf Mallorca traten Sie aus reinem Vergnügen an. Kann ein Ex-Profi bei einem Rennen mitfahren, ohne gewinnen zu wollen?

Es war nicht einfach, den Hebel umzulegen. Ich muss mich in solchen Momenten selbst fragen: Warum soll ich um den Sieg mitfahren? Dann könnte ich meine Karriere auch gleich fortsetzen. So aber kann ich meine Leidenschaft, den Radsport, endlich mal genießen. Das Rennen ist nicht mehr so wichtig. Ich bleibe im Fahrerfeld, spreche mit den Amateuren, helfe ihnen und schieße ein paar Fotos.

Dabei war Ihr Motto während der aktiven Karriere: Alles oder nichts. Sie standen nie auf dem Treppchen, ohne gewonnen zu haben...

Beim Training bin ich heute immer noch so ehrgeizig. Manchmal bekomme ich nach zwei Stunden Krämpfe, weil ich Vollgas gefahren bin, aber eine Woche lang nicht trainiert hatte. Das ist ein Risiko. Da ist es besser, einen kurzen Anstieg im vollen Tempo zu fahren und sich den Rekord bei Strava (soziales Netzwerk für Sportler, Anm. d. Red.) zu holen.

War es eine schwierige Entscheidung, Ihre Karriere zu beenden?

Es war das Beste für mich - und der perfekte Abgang. Ich habe angekündigt, dass die Vuelta a España mein letztes Rennen wird. Und dann höre ich mit einem Etappensieg auf. Es ging mir auch darum, das Rennen mit meinem Stil zu fahren. Ich bin bei jeder Etappe ausgebrochen. Einige Konkurrenten haben gesagt: 'Verdammt, der Contador greift schon wieder an.' Natürlich gibt es heute immer wieder Momente, in denen ich denke: Du könntest bei dem oder jenem Rennen noch dabei sein. Aber mein Abgang war perfekt.

Der Start Ihrer Karriere war hingegen schwierig. Bei der Vuelta a Asturias 2004 erlitten Sie einen epileptischen Anfall, der sich zwei Wochen später wiederholte. Wie denken Sie daran zurück?

Das war ohne Zweifel der schwierigste Moment in meinem Leben. Es waren Tage der Unsicherheit nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie. Das sind Momente, in denen der Radsport in den Hintergrund rückt.

Die Ärzte prognostizierten, dass Sie nie wieder auf das Rad steigen könnten...

Die Gesundheit stand an erster Stelle. Die Ärzte entdeckten bei mir ein Kavernom (eine Gefäßmissbildung, die zu Hirnblutungen führen kann, Anm. d. Red.) und sagten mir, dass ich operiert werden muss.

Ein Jahr später haben Sie Ihre erste Etappe bei der Tour Down Under gewonnen. Sie haben immer betont, dass es der wichtigste Sieg Ihrer Karriere war. Wird der durch keinen Erfolg bei den großen Touren getoppt?

Auf keinen Fall! Das ist doch klar: Monate zuvor war dieser Sieg undenkbar. Der erste Tag, an dem ich nach der OP wieder auf das Rad gestiegen bin, war der 27. November 2004. Anderthalb Monate danach konnte ich in Australien die Arme zum Siegesjubel nach oben reißen. Ich könnte Ihnen jetzt nicht sagen, an welchem Tag ich die Vuelta, den Giro oder die Tour gewonnen habe. Das müsste ich nachschauen. Aber den 27. November 2004 werde ich nie vergessen.

2010 war ein weiteres Schlüsseljahr in Ihrer Karriere. Sie wurden positiv auf Clenbuterol getestet und zwei Jahre lang gesperrt. Wie sehr beschäftigt Sie die Dopingaffäre heute noch?

Das ist und bleibt ein Teil meiner Karriere. Ich habe alles, was in meiner Macht steht, getan, um zu beweisen, dass es kein Dopingfall war. Ich habe jahrelang mehr Kontrollen als jeder andere Radsportler über mich ergehen lassen, und es gab nie auch nur das kleinste Problem, weil ich alle Regeln respektiert habe. Aber so ist es nun einmal. Ich sage zwar immer, dass es eine absolut ungerechte Strafe war, aber daran lässt sich nichts mehr ändern.

Ihr Abgang hat eine große Lücke im Radsport hinterlassen. Wird es eines Tages einen neuen Contador geben?

Nein, ebensowenig wie es einen neuen Eddy Merckx, Bernard Hinault oder Miguel Indurain geben wird. Jeder Fahrer ist einzigartig und durchlebt eine eigene Epoche im Radsport mit speziellen Begebenheiten. Es wird zwar immer wieder Radsportler geben, die aufgrund ihrer Fahrweise oder bestimmten Eigenschaften anderen Fahrern ähneln, aber im Endeffekt arbeiten sie alle ihren eigenen Stil heraus.

Sie selbst haben in Interviews den Mallorquiner Enric Mas als Ihren Nachfolger ernannt. Hat er das Zeug dazu?

Er ist wie gemacht dafür und hat das auch bei der Vuelta a España 2018 unter Beweis gestellt (Enric Mas wurde Zweiter, Anm. d. Red.). Enric braucht ein Team, das ihn unterstützt. Davon abgesehen, hat er alles, was man braucht, um große Erfolge zu feiern.

Was macht ihn so stark?

Seine Mentalität und seine Fähigkeit, ein Rennen zu lesen. Er ist ein Kletterer, der sich aber auf allen Strecken zu beweisen weiß. Zudem hat er noch viel Potenzial nach oben.

Dieses Jahr startet Mas erstmals bei der Tour de France. Sehen Sie ihn als Favoriten?

Die Tour ist ein Rennen, das man kennen muss. In diesem Sinn würde ich den Druck von ihm nehmen. Aber ich habe keine Zweifel daran, dass er eine Hauptrolle spielen kann.

Mit Ihrer Nachwuchsakademie leiten Sie ein Continental Team. Sie planen den Aufstieg in die World Tour. Wie läuft das Projekt?

Ich leite das drittklassige Kometa Cycling Team zusammen mit meinem Bruder Francisco und dem Ex-Profi Ivan Basso. Der Sprung in die World Tour ist ein Traum. Wir arbeiten daran, damit wir ihn uns eines Tages erfüllen können. Doch das geht mit großem finanziellen Aufwand einher. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Radsport rentabel ist.

Mallorca wäre ein guter Stützpunkt für ein Radsportteam. Ziehen Sie die Insel in Betracht?

Natürlich Mallorca vereint alles, was nötig ist: tolle Straßen, gutes Klima, abwechslungsreiche Höhenstruktur und viele Fans. Es gibt kaum Teams, die nicht auf die Insel kommen. Ich bin in meiner Karriere nicht nur Rennen hier gefahren, sondern hatte auch das ein oder andere Trainingslager.