Die Cross-Motorräder im Gewerbegebiet Son Oms dröhnen mit den Turbinen der Flieger auf der Start- und Landebahn des Flughafens nebenan um die Wette. Auf einem Feld schlängelt sich eine kleine Rennstrecke an den mit Gestrüpp bewachsenen Erdhügeln vorbei. Niemand Geringeres als Moto2-Fahrer Augusto Fernández kämpft sich durch den Dreck im Gewerbegebiet. In einem Trainingsrennen fährt er seinen zwei Gegnern spielerisch davon. Doch dann streikt das Motorrad. Der 21-Jährige muss seine Konkurrenten ziehen lassen. Andere jugendliche Motorradfahrer, die dem Spektakel als Zuschauer auf einem Hügel beiwohnen, johlen auf. Schließlich ist es ein seltener Anblick, dass Fernández als Letzter über die Ziellinie fährt.

Der Mallorquiner ist die große Überraschung in der diesjährigen Motorradsaison. Dieses Jahr darf er erstmals eine komplette Saison in der Moto2-Kategorie, der zweithöchsten Rennklasse hinter der MotoGP, fahren - und überzeugt mit starker Leistung. Nach neun von insgesamt 19 Rennen liegt Fernández auf dem dritten Platz in der Gesamtwertung. Nach dem ehemaligen Weltmeister Jorge Lorenzo und MotoGP-Neuling Joan Mir ist Fernández bereits der dritte aktive Mallorquiner im Profibereich.

Mit sechs Jahren saß Fernández erstmals auf einem Motorrad. „Meine Eltern waren selbst nicht im Motorsport. Aber wir haben zu Hause jedes Wochenende die Rennen geschaut. Daher war es mein Wunsch, selbst einmal zu fahren", sagt Augusto Fernández. Mit acht Jahren ging er auf die Motorrad­schule von Chicho Lorenzo, Vater des Weltmeisters Jorge Lorenzo. Bei Chicho hat auch schon Joan Mir seine Runden gedreht. „Ich hatte damals die Wahl zwischen der Startnummer 37 und 38. Ich entschied mich für die 37, die ich bis heute behalten habe", sagt Augusto Fernández.

Der Mallorquiner entwickelte sich prächtig. „Irgendwann war dann klar, dass er das Zeug zum Profi hat", sagt der Vater, der ebenfalls Augusto heißt. Die Familie steigerte ihr Engagement und ging an die finanziellen Grenzen. Als Jugendlicher fuhr Fernández für den European Junior Cup. „Es war der günstigste Wettbewerb", so der heute 21-Jährige. Der Mallorquiner gewann die Rennen zwar mit großer Regelmäßigkeit, doch die großen Rennställe interessierten sich dennoch lange nicht für ihn. Den klassischen Weg über die Einsteigerkategorie Moto3 wollte Fernández nicht gehen, da sie zu teuer sei.

So stand der Rennfahrer 2017 am Scheideweg. „Das Geld war alle. Ich hatte mit meiner Familie ausgemacht, dass wir noch einen letzten finanziellen Kraftakt unternehmen. Drei Rennen noch und wenn sich dann nichts ergibt, lass ich es sein." Doch dann klingelte das Telefon. Augusto Fernández hatte beim letzten seiner drei vorgenommenen Rennen gesiegt und erhielt ein Angebot vom Moto2-Team Speed Up, das den damals 19-Jährigen als Ersatzmann verpflichtete. Der Mallorquiner hatte erst Anlaufschwierigkeiten. In 13 Rennen holte er nur sechs Punkte.

Dennoch war er im Geschäft. „Im Jahr darauf bin ich zum britischen Team Pons Racing gewechselt." Auch dort startete er als Ersatzmann, setzte sich aber zum Saisonende durch und kam insgesamt auf 45 Punkte in zwölf Rennen, was ihm den 18. Platz einbrachte. Mit seinen guten Leistungen verdiente sich der Mallorquiner einen Zwei-Jahres-Vertrag als Stammfahrer. „Das war für mich Absicherung genug, um meine Firma, die Pools instand hielt, zu schließen."

„Seit dieser Saison bin ich Augustos Manager", sagt der Vater, der seinen Sohn zu jedem Rennen begleitet. „Es ist mir lieber, wenn ich selbst vor Ort bin. Ein Vater kümmert sich mehr um seinen Sohn, als es ein Fremder tun könnte." Den Gefahren des Sports ist sich der Vater bewusst, doch man könne auch verunglücken, wenn man vor die Haustür trete.

Die väterliche Unterstützung war schon früh in der Saison nötig. Bei einem Training vor dem zweiten Rennen stürzte der 21-Jährige. „Ich überschlug mich mehrfach und brach mir das Handgelenk. Ich musste operiert werden." Eine lange Narbe bezeugt dies heute noch. Fernández verpasste das Rennen und auch den Großen Preis in den USA danach. Es sind die einzigen beiden punktlosen Rennen für ihn in dieser Saison. Bei einem derzeitigen Rückstand von 34 Punkten auf den Führenden Álex Márquez denkt der Mallorquiner wehmütig an die liegen gelassenen Punkte. „Die tun ziemlich weh. Ich könnte jetzt mitten im Titelkampf stecken."

Trotz aller Ambitionen ist Augusto Fernández ein bodenständiger Kerl. „Ich weiß, dass ich dieses Jahr eigentlich keine Ansprüche auf den WM-Titel stellen darf. In erster Linie geht es für mich darum, keine Fehler mehr zu machen. Denn noch ein punktloses Rennen kann ich mir nicht erlauben."

Weiter geht es für die Motorradfahrer am 4. August beim Großen Preis in Tschechien. Bis dahin ist Training auf Mallorca angesagt. Wobei das leichter gesagt ist als getan. „Die Trainingsbedingungen hier sind gelinde gesagt erbärmlich", klagt der Vater. „Chicho Lorenzo hat sich auf Jugendliche und Kinder spezialisiert. Zudem hatten wir ein paar Differenzen mit ihm und er ist nur noch selten auf der Insel. Da ich keinen professionellen Trainer bezahlen kann, trainiert sich Augusto allein und ich helfe ihm dabei so gut es zumindest geht." Denn Rennstrecken gibt es auf Mallorca nur wenige. „Der Besitzer des Circuit in Llucmajor lässt uns höchstens einmal die Woche auf die Piste. Sonst trainieren wir hier im Dreck in Son Oms. Aber auch hier gab es schon Beschwerden von anliegenden Ladenbesitzern, da wir zu viel Staub aufwirbeln."

Beim Großen Preis der Niederlande Ende Juni konnte der Mallorquiner seinen ersten Rennsieg im Moto2 feiern. „Viel Zeit zur Party blieb aber nicht, da schon das nächste Rennen anstand. Ich fand es aber cool, dass mich viele Leute bei meiner Ankunft am Flughafen gefeiert haben. Nach der Saison werde ich die ganzen Erfolge dann nachfeiern", sagt der 21-Jährige. Mit weiteren Siegen ist die Sensation mit dem Titel vielleicht doch noch drin. „Im Prinzip reicht es aus, wenn ich bei jedem Rennen mindestens Fünfter werde, um oben dranzubleiben."

Trotz der guten Leistungen ist sich der Mallorquiner sicher, dass er auch in der kommenden Saison zweitklassig fährt. „Ich habe einen Vertrag mit Pons Racing und möchte nicht in die MotoGP zu einem schwächeren Team wechseln, nur um da mal mitzufahren. Wenn ich aufsteige, dann will ich für ein gutes Team antreten." Bei den derzeit schwachen Auftritten von Jorge Lorenzo bei Honda in der MotoGP könnte bald aber ein Platz frei werden. „Das wäre dann eine Überlegung wert", sagt Fernández.