Alba Ortiz erscheint mit blauem Auge und auf Krücken zum MZ-Interview. Zuvor hatte die 20-Jährige zum zweiten Mal die spanische Meisterschaft im Boxen in der 54-Kilogramm-Klasse gewonnen. „Beim Kampf bin ich unabsichtlich auf den Ringrichter getreten und habe mir den Fuß verknackst. Das tat höllisch weh, er ist angeschwollen." Wegen so einer Lappalie denkt die Boxerin aus Barcelona, die seit fünf Jahren in Palma wohnt, aber nicht ans Aufgeben. Denn sie träumt von Olympia und der großen Profikarriere.

Wie sind Sie zum Boxen gekommen?

Ich hatte als Kind alle Sportarten ausprobiert, aber keine hatte mir wirklich gefallen. Durch Muay Thai hatte ich schon Erfahrung im Kämpfen. Mit 14 Jahren habe ich dann mit dem Boxen angefangen. Mein Vater praktiziert Mixed Martial Arts und Krav Maga. Am Anfang haben wir zusammen trainiert, bis er meinte, dass er mir nichts mehr beibringen kann und wir einen Boxclub für mich gesucht haben.

Gehörten Sie früher zu den Schülern, die sich auf dem Pausenhof geprügelt haben?

Im Gegenteil. Ich habe mich noch nie geprügelt. Deswegen ist mir das Boxen am Anfang auch schwergefallen. Bei den ersten Kämpfen brachte ich meine Gegnerin außer Atem. Doch statt ihr den Garaus zu machen, gönnte ich ihr aus Mitleid eine Pause. Mein Vater hat mich dann aufgezogen, dass ich zu feinfühlig bin. Als Frau muss man lernen, zuzuschlagen. Denn entweder schlägt man, oder man wird selbst geschlagen. Das ist schwierig, da ich im normalen Leben keine konfliktbereite Person bin. Im Ring bin ich anders.

Wie schaffen Sie diesen Wechsel?

Das geht automatisch. Oft kämpfe ich gegen Freundinnen. Vor dem Kampf unterhalten wir uns ganz normal, im Ring ist meine Gegnerin mein Feind. Das liegt in der Natur der Sache. Manchmal sehe ich Fotos von mir beim Kämpfen und denke mir: Dieser Gesichtsausdruck, das bist doch nicht du. Normalerweise bin ich eine ruhige Person. Beim Kampf packt mich der Ehrgeiz. Ich hasse es zu verlieren.

Wie oft haben Sie gehört, dass Boxen nicht weiblich ist?

In meinem Club ist das kein Thema. Auf der Straße hört man aber viele Dinge. Manche Leute behaupten, dass Boxerinnen unfruchtbar sind. Journalisten haben nach Interviews gemeint, dass ich doch eher wie ein Model aussehe. Mir gefällt aber Boxen. Es ist ein Sport wie jeder andere. Wie Jungs auch die rhythmischen Sportgymnastik offensteht, können Frauen auch boxen. Es gibt Boxerinnen, die technisch wesentlich besser als ihre männlichen Kollegen sind.

Wie würden Sie Ihren Boxstil beschreiben?

Am Anfang habe ich wie ein Esel gekämpft. Da hatte ich die Techniken nicht drauf und habe einfach mit voller Kraft losgeprügelt. Heute bin ich mehr Technikerin und treffe im Ring oft auf Gegnerinnen, die ich Straßenschlägerinnen nenne. Bei denen sieht es beim Kämpfen mehr nach Schwimmen aus. Viele Leute verstehen nicht, dass man durch Technik Kraft gewinnt. Ein sauberer Schlag ist viel härter.

2015 standen Sie zum ersten Mal im Ring. Woran können Sie sich noch erinnern?

Meine Gegnerin hat auch zum ersten Mal gekämpft. Das hat mich beruhigt. Dennoch war ich nervös und habe mir gedacht: Was machst du eigentlich hier? Ich habe gewonnen, und nach dem Kampf war mir dann klar, dass ich Boxerin sein will.

Sie sind relativ kurz dabei, haben aber schon zwei spanische Meisterschaften gewonnen. Sind Sie so talentiert oder ist die Konkurrenz so schwach?

Die Trainer meinen, es gehört Talent dazu. Da sind aber auch der Spaß am Boxen und die harte Trainingsarbeit. Wenn ich Videos von meinen ersten Kämpfen anschaue, merke ich, wie sehr ich mich verbessert habe. Dafür muss ich im Training aber leiden. Das ist wesentlich schlimmer als der Kampf im Ring.

Wie oft trainieren Sie in der Woche?

Jeden Morgen gehe ich laufen oder schwimmen. Am Abend gehe ich zuerst ins Fitnessstudio für den Muskelaufbau und danach zum Boxtraining. Und das jeden Tag außer sonntags. Derzeit mache ich noch mein Abi über eine Fernschule. Das gibt mir Freiheiten.

Sie sind spanische Meisterin, und dennoch ist eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio unmöglich. Warum?

Das liegt an den Gewichtsklassen. In Tokio gibt es Kämpfe in den Kategorien 51 und 57 Kilogramm. Mit 54 Kilogramm bin ich in der Mitte. 51 Kilogramm schaffe ich nicht. Ich habe es versucht, bin aber bei 52 Kilogramm stehen geblieben. Ich habe trainiert, ohne etwas zu essen und zu trinken, und mir ging es richtig schlecht. Mir wurde schwindelig. 57 Kilogramm sind für meine Größe von 1,66 Metern zu viel. Ich hoffe, dass das Olympische Komitee für Paris 2024 die 54-Kilogramm-Klasse einführt. Bei den internationalen Wettkämpfen ist das eine Klasse, in der viele Boxerinnen antreten.

Wie ernähren Sie sich?

Es ist Routine. Ich habe mit 13 Jahren mit der Diät angefangen. Morgens gibt es Toast, Kaffee und Saft. Mittags etwas Reis und vor allem Fleisch. Abends ist es am schlimmsten. Dann kann ich nur noch Gemüsepürees und Fisch essen. Das mag ich nicht.

Wie steht es um das Frauenboxen auf Mallorca?

Es gibt viele Frauen, die im Fitnessstudio boxen, im Wettkampf aber nur wenige. Ich habe gegen alle schon gekämpft. Und da ich mehr Kämpfe habe, kann ich gegen Neulinge nicht antreten, da das unfair wäre. Gegen Männer darf ich nur Sparring machen.

Kann man vom Frauenboxen leben?

In Spanien ist das schwierig. Das schaffen nicht einmal die Männer. Derzeit bin ich noch Schülerin, und meine Eltern bezahlen meinen Lebensunterhalt. Der Verband zahlt mir die Reisen zu Wettkämpfen. Wenn ich gewinne, bekomme ich am Jahresende vom Rathaus eine Siegprämie. Um Geld im Boxen zu verdienen, müsste ich Profi werden. Aktuell bin ich noch auf gehobenem Amateurniveau. Wir kämpfen drei Runden mit je drei Minuten. Ich will erst einmal alle Titel holen und es zu den Olympischen Spielen schaffen. Danach sollen die Profilizenz und Kämpfe im Ausland folgen.

Warum nicht erst Profi und dann Olympia?

Das ginge mittlerweile. Aber bei den Spielen kämpft man wie im Amateurbereich drei Runden. Als Profi hingegen mindestens vier Runden bis hin zu zwölf. Das würde ein ganz anderes Training erfordern.

Wie halten Sie all die Schläge aus?

Ich bin zum Glück noch nie k. o. gegangen. Ich bin zwar nicht sonderlich muskulös, kann aber gut einstecken. Das Geheimnis liegt im Training. Dann hält man das schon aus.