Gert Dörfel, in der Fußballwelt als Charly bekannt, ist ein spezieller Typ. Auf Mallorca hat die HSV-Legende (224 Bundesligaspiele und 58 Tore zwischen 1958 und 1972) im Restaurant East 26 von Paco Martínez in Santanyí am Mittwoch (18.9.) seinen 80. Geburtstag gefeiert. „Meine Geschichte ist ungewöhnlich", sagt Dörfel zu Beginn des MZ-Interviews. „Einige haben mich als Genie gesehen, andere als Trottel." Er selbst sieht sich als Erfinder der Bananenflanke, des Doppelpasses und als Fußball-Clown. „Wenn ich irgendwo reinkomme, machen sich die Leute vor Lachen in die Hose."

Dörfel stammt aus einer Fußballerfamilie. „Mein Vater und mein Bruder waren Nationalspieler. Mein Onkel hätte es ebenso in die Nationalmannschaft geschafft, aber er hatte den Hitlergruß verweigert." Er selbst lernte das

Kicken beim Verein der Polizei im Hamburger Stadtviertel Altona. „Schon mit 16 Jahren war ich ein kräftiger Kerl und ziemlich schnell. Ich lief die 100 Meter in 10,4 Sekunden." Dörfel hatte bereits einen Vertrag bei Lübeck unterschrieben, doch der HSV grätschte dazwischen und verpflichtete den Linksaußen.

In der neu gegründeten Bundesliga war Dörfel am 24. August 1963 der erste Torschütze für den HSV beim 1:1 gegen Preußen Münster. Eine Woche darauf gelang ihm als erster Bundesligaspieler ein Dreierpack. „Wir haben 4:2 gegen Saarbrücken gewonnen. Uwe Seeler ist mir mit einem Tor dazwischengekommen. Sonst hätte es als Hattrick, also drei Treffer hintereinander, gezählt", erinnert sich der 80-Jährige. Mit „Uns Uwe", wie der Stürmer genannt wird, verstand sich Dörfel auf dem Platz prächtig. Die Hamburger Angriffe liefen meist nach dem gleichen Schema ab: Der wieselflinke Dörfel huschte die Außenbahn entlang und flankte punktgenau auf den Kopf von Seeler, der die Tore machte. „Gemeinsam mit Klaus Stürmer waren wir das tollste Trio der Welt", sagt Dörfel.

Auf dem Platz waren sie ein Herz und eine Seele, außerhalb soll es gekracht haben. Die Medien berichteten damals immer wieder von Differenzen zwischen Dörfel und Seeler. „Er war mein Vorbild. Einen wirklichen Streit hatten wir nicht. Aber ich habe ihm einmal meine Meinung gegeigt", sagt Dörfel. „Uwe Seeler war der Liebling aller Leute. Selbst Hunde und Katzen mochten ihn. Menschlich war er aber nicht ganz sauber. Er hat sich gut verkauft, aber hinter einer Fassade versteckt."

Ehrenclown im Circus Roncalli

Seinen Spitznamen Charly bekam Dörfel von Mitspielern verpasst, da er gerne den Coasters-Song „Charlie Brown" sang und pfiff: „He's a clown, that Charlie Brown" (Er ist ein Clown, dieser Charlie Brown). Damit konnte sich Dörfel identifizieren. Schließlich war er für seine Späße bekannt. „Ich habe oft Sonderbeifall bekommen." Beispielsweise wenn er während des Spiels Bonbons an die Fans verteilte oder sich an heißen Tagen im Schatten des Flutlichtmastes versteckte. „Einmal sagte mir ein Kumpel, dass er sich ein Spiel von mir im Stadion anschaut. Er wollte mir aber nicht sagen, wo er sitzt. Ich hab ihn die ganze Zeit gesucht. Als ich ihn während das Spiels endlich erblickte, rannte ich auf die Tribüne und schrie: ,Ich habe ihn gefunden!' Das Publikum ist ausgerastet." Seine Komik machte auch andere Branchen auf ihn aufmerksam. „Ich bin einmal als Clown beim Circus Krone aufgetreten, und der Circus Roncalli hat mich zum Ehrenclown ernannt", sagt Dörfel stolz.

Der Vorstand vom HSV fand die Gags von Dörfel nicht immer lustig. Einmal spielte er aus Geigel einen Fehlpass des Gegners zu diesem zurück. „Der hat danach beinahe ein Tor geschossen. Mein Chef hat mich nach dem Spiel zusammengeschrien. Er konnte mir aber nichts anhaben, da ich sportlich unersetzbar war. Dadurch hatte ich Narrenfreiheit."

So kam es auch schon mal vor, dass Dörfel während eines Spiels singend am Gegner vorbeidribbelte: „Horch, was kommt von draußen rein, kann ja nur der Charly sein." Auch außerhalb des Platzes sang er. 1965 nahm er bei der damals größten deutschen Plattenfirma die Single „Das kann ich dir nicht verzeih'n" auf. Den schnulzigen Schlager gibt es heute bei Youtube zu hören. „20.000 Platten habe ich verkauft. Ich war Amateursänger und probte täglich bis Mitternacht im Tonstudio. Eines Tages stellte der HSV mich vor die Entscheidung: Musik oder Fußball. Dann habe ich das Singen gelassen", so der Elvis-Fan.

60 Millionen Euro, so viel war Charly Dörfel umgerechnet nach eigener Aussage damals wert. „Ich war der beste Linksaußen in Europa." Mit dem HSV wurde er 1960 Meister und drei Jahre später Pokalsieger. „Eines Tages saß der ganze Vorstand von Juventus Turin in meiner Wohnung und wollte mich abwerben. Ich hätte aber Heimweh gehabt. Ich brauchte meine Eltern und meine Umgebung. Ohne den Michel und den Elbtunnel kann ich nicht leben." Heute bedauert er es ein wenig, dass er das sehr lukrative Angebot abgelehnt hat.

Trotz seines Könnens brachte es Dörfel nur auf elf Länderspiele, in denen er aber sieben Mal traf. „Unter Sepp Herberger war ich noch der Liebling." Mit seinem Nachfolger Helmut Schön kam Dörfel nicht mehr klar. „Ich hatte Deutschland fast im Alleingang zur WM 1962 geschossen, und er hat mich einfach ausgemustert", so der 80-Jährige. Er selbst war nicht ganz unschuldig daran. Eines Tages rief der Nationaltrainer beim HSV an. Dörfel ging ran. „Meine Mitspieler standen daneben und wollten lachen. Also habe ich gesagt: Nach dem letzten Ton ist es nach Hamburger Zeit 17.52 Uhr. Tut, tut, tut - und habe einfach aufgelegt." Auch ein Trainingslager hat er ­geschwänzt, weil er lieber arbeiten wollte. „Ich habe Import-Export-Kaufmann gelernt und neben dem Fußball halbtags als Buchhalter für Holsten gearbeitet. Ich wollte der Firma zeigen, dass ich den Job ernst nehme. Das hat kein Fußballer der Welt weder damals noch heute gemacht. So einen Typen wie mich gibt es nicht mehr."

„Ich habe halt zwei Gesichter"

1972 verließ Dörfel seinen HSV und wechselte nach Südafrika und kurze Zeit später nach ­Kanada. Bereits 1973 kehrte er nach Hamburg zurück, um beim Zweitligisten HSV Barmbek-Uhlenhorst eine Karriere mit seiner letzten Saison ausklingen zu lassen. Danach blieb er dem Fußball fern. Ganz un­typisch für den Spaßvogel und Clown fand er 22 Jahre lang beim Wirtschafts- und Ordnungs­amt eine ­Anstellung. „Ich habe halt zwei ­Gesichter", sagt Dörfel.

Mit nun 80 Jahren lebt Dörfel mit seiner Frau Lidia in seinem Haus in Meckelfeld. „Ich fühle mich wie neugeboren", sagt er zu seiner Gesundheit. Nur die Leistung seines HSV macht ihm zu schaffen. „Der Abstieg vor anderthalb Jahren tut heute noch weh. Die Hamburger Kaufleute im Vorstand haben so viel Unfug gemacht." Und dann hat der Club auch den direkten Wiederaufstieg verpatzt. „Die größte Pleite war Stürmer Pierre-Michel ­Lasogga. Der hat 3,5 Millionen Euro verdient. Für die Hälfte hätte ich dem Verein Tipps ­gegeben, die wahrscheinlich mehr genutzt hätten." Doch der Ex-Profi hält sich heute aus dem Verein raus. „Hin und wieder gehe ich zu den Spielen ins Stadion. Ansonsten sehe ich das aus der Vogelperspektive und mische mich nicht ein." In dieser Saison attestiert Charly Dörfel seinem Club gute Chancen für den Aufstieg. Dann hätte der Fußball-Clown auch wieder mehr zu lachen.