Rhythmische Gymnastik und Sportschießen haben in erster Linie nicht so viele Gemeinsamkeiten. Die Gymnastik verbindet ästhetische Elemente aus Tanz und Turnen. Beim Schießen geht es um Präzision und die Feuerkraft der Waffe. Auf Mallorca kommen die ­beiden Sportarten dennoch auf einen gemeinsamen Nenner. Die führenden Sportler sind jeweils Frauen.

Traditionell gesehen war die Jagd und somit der Umgang mit Waffen Männersache. Das färbt auch noch heute auf die Leidenschaft beim Schießen ab. „90 Prozent unserer 1.100 Mitglieder sind Männer", sagt Pedro ­Toledo, Präsident des balearischen Schützenverbandes. „Unsere Superstars sind aber mit Àngels Fiol und Noah Marcote zwei Frauen." Die 17-jährige Fiol hat sich auf das Luftgewehr spezialisiert, die 14-jährige Marcote auf die Luftpistole. Beide Waffen gehören zu den olympischen Disziplinen. Die Jugendlichen träumen daher wie so viele Sportler von einer Teilnahme bei Olympia.

Wie der Vater, so die Tochter

Die Geschichten der beiden jungen Sportlerinnen ähneln sich. In beiden Fällen waren es die Väter, die die Töchter mit auf den Schießplatz genommen haben. „Mein Papa hat einen Waffenladen in Felanitx. Auch mein Opa war Sportschütze. Ich wurde quasi in diese Welt reingeboren", sagt Àngels Fiol. Mit acht Jahren schoss sie erstmals bei Wettbewerben mit dem Luftgewehr. Zwei Jahre später wurde sie spanische Vizemeisterin in ihrer Altersklasse. 2019 verpasste sie eine Qualifikation bei der Junioren-EM nur um zwei Punkte. „Ich war ­immerhin die beste Spanierin."

Auch Noah Marcote aus Alaró fing mit acht Jahren an. „Meine Freunde haben mich blöd angeguckt, als ich sagte, dass ich Schützin sei. Sie meinten: Mit einer Wasserpistole oder was? Auf Mallorca ist der Schießsport nicht besonders bekannt." Für die 14-Jährige bietet der Sport die Möglichkeit, abzuschalten. „Ich blende alles um mich herum aus und betrete meine eigene kleine Welt." Das ist ihr auch beim Training anzusehen. Sie atmet tief durch, streckt den Arm mit der Pistole langsam nach vorn, zielt ruhig, drückt ab und trifft in die Mitte. Bereits mit neun Jahren holte Marcote den spanischen Meistertitel. Das wiederholte sie in den folgenden drei Jahren. Jede Trophäe ging mit einem neuen Rekord bei der Punktzahl einher. Ein bisschen war das auch der mangelnden Konkurrenz in ihrer Altersklasse geschuldet. 2019 rutschte sie in einen anderen Jahrgang und holte nur noch den dritten Platz.

Mit einem Auge zielen

Sechs Disziplinen des Schießsports sind bei den Olympischen Spielen vertreten. Die der beiden Mallorquinerinnen gehören dazu. Mit ihren Waffen müssen sie auf Zielscheiben in zehn Metern Distanz schießen. Bei der Pistole mit einer Hand, beim Gewehr mit beiden. Zum besseren Zielen gibt es Augenklappen. „Wenn wir das zweite Auge mit dem Augenlid schließen, entstehen Muskelspannungen, die hinderlich wären", sagt Fiol.

Je nach Alter bekommen die Schützen ein Zeitlimit und eine Schussanzahl vorgegeben. „Ab 17 Jahren muss 60 Mal in 75 Minuten geschossen werden." Die Zielscheiben sind entsprechend der Waffe unterschiedlich groß. Da Marcote mit ihrer Pistole nicht so genau zielen kann, schießt sie auf einen Kreis von zehn Zentimeter Durchmesser. Fiol muss mit ihrer Präzisionswaffe auf einen 4,5 Zentimeter großen Kreis treffen, im Idealfall in die Mitte, die einen halben Zentimeter misst und in welche gerade so die Kugel reinpasst.

„Bei vielen Sportarten sind die Frauen gegenüber den Männern benachteiligt", sagt Marcote. „Wir können uns nicht beschweren. In den meisten Disziplinen sind die Frauen besser aufgestellt als die Männer." Über die Gründe dafür rätseln sie selbst. „Da müsste es mal eine Studie geben. Vielleicht funktionieren die Frauen im Kopf besser. Das sollten wir aber lieber nicht unseren Männern im Verband sagen", sagt Pedro Toledo und lacht. Dann führt er weiter aus: „Es geht schon im jungen Alter los, dass sich die Mädchen besser konzentrieren. Während Àngels und Noah ­fokussiert ihre Schüsse setzen, holen sich die Jungs immer wieder eine Cola oder spielen am Handy herum."

Der Schießsport ist fast altersunabhängig. „Die Vize-Weltmeisterin ist 61 Jahre alt", sagt Fiol. Die beiden Mallorquinerinnen machen sich daher keine Sorge, wenn es mit einer Olympiateilnahme noch etwas dauert.

Damit das überhaupt eines Tages klappt, opfern die Jugendlichen fast ihr komplettes Privatleben für den Sport. „Zeit für Freunde bleibt kaum", sagt Marcote. „Aber wir haben uns das so ausgesucht. Wenn ich das nicht machen würde, würde ich mich fragen, was ich sonst mit meinem Leben anstellen soll." Die Schützinnen gehen mit anderen angehenden Profisportlern auf das Leistungszentrum Príncipes de España zur Schule. „Dort können wir vormittags nur mit Laserwaffen auf elektrische Zielscheiben schießen, da echte Waffen verboten sind", sagt Fiol. Am Abend wird dann auf einem der drei Schießplätze von Mallorca mit scharfer Munition geübt.

Mit der Karriere als Profisportler werden die Mallorquinerinnen kaum finanziell überleben können. „Das geht eigentlich in keinem Land der Welt", sagt Marcote. Wie alle Jugendlichen in ihrem Alter müssen sie sich daher überlegen, wie es nach der Schule weitergehen soll. „Viele Schützen wollen eine Karriere bei der Polizei einschlagen. Das könnte ich mir auch vorstellen", so Marcote. Àngels Fiol will sich in Madrid für ein Studium in Luft- und Raumfahrttechnik bewerben. Sportliche Erfolge machen sich da gut im Lebenslauf. Die kann sie bei den spanischen Meisterschaften im Februar oder bei der EM im März holen.