Stalder-Umschwung, Riesenfelge mit gegrätschten Beinen, Vorwärtssalto und 360-Grad-Schraube. Das ist der komplizierte ­Bewegungsablauf des Petz-Abgangs am Stufen­barren. Wer ein eigenes Turnelement kreiert hat, muss ein erfahrener und erfolgreicher Sportler sein, könnte man meinen. Emelie Petz ist gerade mal 16 Jahre alt und steht noch am Anfang ihrer Karriere. Die Schülerin gilt als eine der größten Nachwuchshoffnungen im deutschen Turnsport. Am vergangenen Wochenende half sie beim mallorquinischen Turnclub Xelska in der spanischen ersten Liga aus.

Kecke Vierjährige

Emelie Petz beschreibt sich selbst als aktives Kind. „Ich habe im Wohnzimmer Räder geschlagen und Purzelbäume gemacht." Eines Tages hatte die Mutter, selbst Hobbyturnerin, die Faxen dicke und brachte ihre Tochter zum Turnclub SG Backnang. Dort ging die damals Vierjährige forsch ans Werk. „Meine erste Frage an die Trainer war: Könnt ihr mich zur Weltmeisterin machen?", sagt Petz. „Ich hab es zwar im vergangenen Jahr schon zur WM geschafft, mein Ziel aber noch nicht ganz erreicht."

Am Turnen faszinierte die Sportlerin aus Allmersbach im Tal, einer Gemeinde im Großraum Stuttgart, die Kombination aus Kraft, ­Eleganz und Flexibilität. Sportlich entwickelte sie sich schnell zum Rockstar der deutschen Turnjugend. Im Juniorenbereich gewann sie bis auf kleine Ausnahmen so gut wie immer. Nur Verletzungen konnten sie bremsen. Im Oktober 2018 musste sich Petz am Fuß operieren lassen und daraufhin die Olympischen ­Jugend-Sommerspiele in Buenos Aires absagen.

Mentale Belastung

Seit dem vergangenen Jahr turnt Petz im Erwachsenenbereich mit. „Ich mache mir sehr viel Druck. Hinzu kommt die Doppelbelastung durch Schule und Training. Ich bin an einen Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr wusste, wie ich das alles allein regeln soll", sagt die 16-Jährige. Deswegen engagierte sie einen Mentaltrainer. Dieser hat die Turnerin wieder aufgebaut, als es sportlich erstmals nicht wie gewünscht lief. Bei der EM im April in Stettin turnte sie am Stufenbarren und am Schwebebalken. Beide Male stürzte sie. Dafür präsentierte sie erstmals den Petz-Abgang.

„Den Abgang mit einer halben Schraube gab es schon. Im Training habe ich gemerkt, dass ich auch die ganze Schraube schaffe", sagt Petz. Die Idee reichte sie mit Video vor dem ­Turnier bei den Kampfrichtern ein, die den ­Abgang mit dem Schwierigkeitsgrad D einstuften. „Der Maßstab reicht von A - ganz einfach - bis I - sehr schwierig. Der Schwierigkeitsgrad D ist schon ein schwieriges Element", ­erklärt ­Robert Mai, der Trainer von Emelie Petz. Die Turnerin will aus dem Abgang nun ihr Markenzeichen machen. „Nachgeturnt hat ihn bislang noch keiner", sagt die 16-Jährige.

Entscheidung per Computer

Nach der EM stand im Oktober die WM in Stuttgart an. Die Entscheidung, wer für die Deutschen starten durfte, fällte nicht Bundestrainerin Ulla Koch, sondern ein Computer. „Die Resultate der Qualifikationsturniere werden in den Computer eingegeben. Der spuckt dann die perfekte Teamzusammenstellung aus", sagt Mai. Platz für subjektive Eindrücke, wie beispielsweise ein schwacher Tag, bleibt da nicht. „So ist das im Turnen. Man muss an dem Tag liefern, sonst hat man Pech", sagt Petz.

Der Computer zeigte bei Petz den Daumen nach oben. Sie durfte an allen vier Geräten ran. „Das liegt mir. Ich bin eine Mehrkämpferin. Ich mag keine langen Pausen." Wie bei der EM konnte das Nachwuchstalent jedoch nicht mit den etablierten Kräften mithalten. „Es war ein Privileg, neben den Stars zu turnen. Es ging für mich darum, Erfahrungen zu sammeln." Die Punkte von Petz wurden als schlechtestes Ergebnis aus der Teamwertung gestrichen. Die 16-Jährige verpasste mit Deutschland zwar die Finalrunde, schaffte aber die Qualifikation für die Olympischen Spiele.

Der Weg nach Tokio

„Olympia ist mein Traum. Und der ist nicht mehr so weit entfernt", sagt Petz. Im vergangenen Jahr hat sie ihren Realschulabschluss gemacht, derzeit besucht sie ein Wirtschaftsgymnasium. „Die Schule wird bald zur Nebensache. Ich muss den Kopf für das Training frei bekommen und kann nicht bis spät abends Hausaufgaben machen. Zum Glück kann ich das an meiner Schule später nachholen." Im Anschluss plant Petz ein Lehramtsstudium.

Die Qualifikation der deutschen Turnerinnen läuft anders ab als vor der Weltmeisterschaft. Statt eines Computers gibt es diesmal eine Rangliste. Nach der deutschen Meisterschaft und einem weiteren nationalen Qualifikationsturnier verteilt Nationaltrainerin Ulla Koch Punkte für Final- und Medaillenchancen sowie die Leistung am jeweiligen Gerät. „Emelie hatte schon vor der WM ein Qualifikationsturnier gewonnen. Sie hat reale Chancen, es nach Tokio zu schaffen", sagt Robert Mai.

Mallorca Gym Cup

Der Auftritt in Sevilla mit Palmas Turnerriege Xelska war der Saisonauftakt für Petz. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb der Bundesliga turnte. Der Kontakt entstand durch Xelska-Chef Pedro Mir, der sonst seine Schützlinge bei den deutschen Vereinen unterbringt.

Der Mallorquiner organisiert die dritte Ausgabe des Mallorca Gym Cup, der auf eine deutsch-mallorquinische Initiative zurückgeht und 2017 erstmals stattfand. „Leider hat er nicht in meinen Terminkalender gepasst. Es ist ein cooler Wettkampf", sagt Emelie Petz. Erstmals gehen dieses Jahr auch die Herren an den Start. 80 Turner und 470 Turnerinnen sind am Samstag (15.2.) und Sonntag im Velòdrom Illes Balears (einst Palma Arena) dabei. Der Eintritt ist frei. Mit Tittmoning, dem Koopera­tionspartner von Xelska, und Gymfinity aus Kaiserslautern sind zwei deutsche Teams vertreten. „Lohnenswert für Zuschauer ist der Samstagabend. Dann sind die Profi-Turnerinnen dran", sagt Mir.