Ob die Tour de France im Zuge der Coronavirus-Epidemie auch abgesagt werden muss, steht noch nicht fest. Der Giro d'Italia, der eigentlich vom 9. bis zum 31. Mai terminiert war, ist bereits verschoben. Die Radsportler, die jetzt eigentlich bei den Frühjahrsklassikern, der Thailand-Tour oder auch dem Giro de Sicilia im Einsatz wären, müssen sich zu Hause die Zeit vertreiben und in Form bleiben. Glück für sie, dass es inzwischen Apps gibt, mit denen die Sportler ein Training oder auch ein Rennen simulieren können. Und das Tolle für Radsportfans: Sie können sich ebenfalls einloggen und mit ihren Stars um die Wette fahren.

Plattformen wie Bkool oder Zwift haben in diesen Tagen Hochkonjunktur. Um an den virtuellen Treffen teilzunehmen, braucht der geneigte Radsportfan lediglich ein Rennrad, einen Rollentrainer, auf den man das Rad entweder einfach stellt oder mit dem Hinterrad einschraubt und einen internetfähigen Computer. Die Rolle, auf der das Rad befestigt ist, simuliert dann die Strecke, die man auf dem Bildschirm angezeigt bekommt. Das bedeutet, wenn eine Steigung ansteht, wird das Treten auf dem Rad schwerer, wenn es abwärts geht, muss man nicht so stark in die Pedale treten.

Die Treffen zwischen Fans und Profis werden inzwischen zu regelrechten Happenings. Vor wenigen Tagen schaffte es der Italiener Vincenzo Nibali, der bereits alle großen Rundfahrten für sich entschieden hat, bei einem virtuellen Mailand-San Remo über 4.000 Amateur-Fahrer mit ihm vor den Bildschirmen zu versammeln. Gemeinsam mit Nibali und dem Sieger der Flandern-Rundfahrt, Alberto Bettiol, legte das Feld die 57 Kilometer des Klassikers zurück. „Es war ein ganz besonderes Erlebnis", sagte Nibali nach dem Rennen. In den Tagen zuvor gab es schon ähnliche virtuelle Treffen. So entwickelte der Rennstall Mitchelton-Scott nach der Absage des Giro d'Italia einen alternativen Rennkalender für die Mitmachplattform Zwift.

Der mallorquinische Profi Lluís Mas ist ein großer Fan dieser Plattformen. Der Fahrer des Spitzenrennstalls Movistar muss zurzeit ebenso wie seine anderen spanischen Kollegen auf Ausfahrten in der Öffentlichkeit verzichten und ist auf die Insel zurückgekehrt, um die Zeit des Alarmzustandes mit seiner Familie zu verbringen. Er selbst nutzt die Apps, wie etwa Zwift oder Bkool, bereits seit mehreren Jahren, wie er der MZ erzählt. „Bisher war es eine nette Spielerei oder eine Abwechslung. Jetzt bin ich auf die Plattformen jeden Tag angewiesen."

Um in Form zu bleiben, setzt sich Mas normalerweise vormittags eineinhalb Stunden auf sein Rad im Rollentrainer, und nachmittags noch einmal zwei Stunden. „Es kommt beispielsweise vor, dass ich in der App alleine trainiere, dann aber auf dem Bildschirm eingeblendet wird, dass in einer halben Stunde ein Rennen stattfindet. Dann nutze ich die Zeit bis dahin zum Aufwärmen und nehme an dem Rennen teil", erzählt Mas. Sein Team Movistar greift neben Zwift und Bkool vor allem auf die Plattform Elite zurück. Während Bkool und Elite Hersteller von Rollentrainern sind, die in Verbindung mit ihrem Produkt die Trainingssimulationen anbieten, hat sich Zwift lediglich auf die Plattform konzentriert. „Zwift ist zurzeit die beliebteste App, dort gibt es die meisten Mitglieder und dementsprechend die meisten Rennen im Angebot", sagt der 30-Jährige. Zwift funktioniert dabei wie ein animiertes Computerspiel, bei dem man seinen Fahrer und die anderen Teilnehmer ebenfalls animiert im Bildschirm sieht. Bkool und Elite dagegen spulen einen Film der Straße ab und zeigen den Rennfahrer als animierte Figur.

Mas ist auch deshalb ein Anhänger dieser Trainingsmethode, weil sie nicht nur eine Spielerei ist, sondern die Strecke sehr realistisch abbildet. „Wenn beispielsweise in der Realität der Bodenbelag zu Kopfsteinpflaster wechselt, dann wird das auch in der App berücksichtigt." Und auch die Anstrengung der Fahrer wird realitätsgetreu abgebildet. „Du machst in etwa dieselbe Wattzahl wie wenn du wirklich auf der Straße unterwegs bist."

Und Mas trifft sich auch mit anderen Profi-Kollegen zum Rennen. So etwa mit dem Deutschen Andre Greipel, der vor ein paar Tagen eine Trainingsfahrt anbot. „Da waren mehr als 800 Leute am Start", sagt Mas. Bei den Plattformen muss man sich registrieren und zahlt einen geringen Monatsbeitrag von gut zehn Euro.

Die Plattformen gehören zu den wenigen Gewinnern der Coronavirus-Krise und haben in diesen Tagen eine enorme Bedeutung für Profis wie für Hobbyradfahrer bekommen. Und das nicht nur im physischen Bereich. Enrique Sanz, Profi beim Team Kern Pharma, sagt: „Sie helfen uns auch sehr, was den psychologischen Aspekt angeht. Du gehst den Tag unter anderen Vorzeichen an. Und du hast Spaß, weil die anderen sich mit dir messen, und dich schließlich auch überholen können."