Mit zwei Monaten Verspätung startet am Sonntag (29.8.) die Tour de France. Mit dabei ist auch der Mallorquiner Enric Mas, Zweiter bei der Vuelta von 2018. Das Feld der gesetzten Favoriten ist dünn besetzt. Mit Vorjahressieger Egan Bernal aus Kolumbien ist nur ein Fahrer dabei, der schon mal in Paris das Gelbe Trikot getragen hat. Die MZ hat bei einem der führenden spanischen Radsportexperten nachgefragt. Carlos Arribas berichtet für „El País" von der Tour.

Die Austragung der Tour stand auf der Kippe. Wie stehen die Chance, dass die Pandemie während der drei Wochen dem Rennen noch ein Strich durch die Rechnung macht?

Das Virus ist in Frankreich stark verbreitet. Die Teams sind vorbereitet. Die Radfahrer sind seit einem Monat in Hotels in Einzelzimmern. Jedes Team ist in einem anderen Hotel, die Sportler sind von den restlichen Gästen abgeschottet. Es ist aber immer möglich, dass sich Helfer anstecken. Bei zwei Corona-Fällen in einem Team muss dieses vom Rennen zurücktreten.

Wer hat die Favoritenrolle?

Egan Bernal auf jeden Fall, der in meinen Augen auch das Rennen machen wird. Er hat die Erfahrung und ist in den Bergen der Beste. Das beste Team stellt der niederländische Rennstall Jumbo-Visma mit Tom Dumoulin und

Primož Rogli?. Ihnen fehlt aber die Qualität, um in den Bergen den Unterschied ausmachen zu können. Ich rechne zudem mit dem Deutschen Emanuel Buchmann auf dem Podium.

Das Team Ineos hat sieben der acht vergangenen Tours gewonnen. Endet nun langsam die Dominanz?

Es ist mehr ein Kurswechsel. Weder Chris Froome noch Geraint Thomas sind bei der Tour dabei. Die Briten standen für eine defensive Ausrichtung. Sie konnten super einen Vorsprung verteidigen. Mit den Lateinamerikanern Egan Bernal und Richard Carapaz fährt das Team viel aggressiver. Auch mit dieser Strategie wird Ineos Siege einfahren.

Wie steht es um Enric Mas?

Das ist wegen der Pandemie ein Mysterium. Im Frühjahr ist er kaum gefahren, nach der Pause hat er weder in Burgos noch in Dauphiné viel gezeigt. Er ist ein Arbeiter und wird in guter Verfassung bei der Tour erscheinen. Im Vorjahr konnte er Erfahrungen sammeln und kann nun befreit loslegen. Ich rechne mit ihm in der letzten Rennwoche.

Falls er so weit kommt. Im Vorjahr ging ihm die Puste aus.

Er ist bei seinem Tourdebüt in jeder Etappe auf Leben und Tod gefahren. So lange, wie er eben ausgehalten hat. In den Pyrenäen konnte er nicht mehr mithalten. Das war eine mutige Herangehensweise. Nun weiß Enric Mas, was ihn erwartet, und er kann seine Energie besser einteilen. Wenn er unter die ersten fünf kommt, wäre das ein großer Erfolg.

Beim Rennen in der Dauphiné, das als Vorbereitung auf die Tour gilt, gab es viele Stürze. War das eine Folge der Corona-Pause?

Die Straße, auf der viele Fahrer gestürzt sind, war in einem miserablen Zustand. Der Asphalt war rissig, voller Schlaglöcher und der Straßengraben nicht gesichert. Die Pause hatte aber auch einen Anteil daran. Die Radfahrer waren alle nervös, da sie in der nun nur noch kurzen Saison schnellstmöglich ihre Ziele erreichen wollen. Einige Teams werden wegen der Krise verschwinden, einige Radfahrer Probleme haben, einen neuen Vertrag zu bekommen.

Besteht bei der Tour erhöhte Unfallgefahr?

Vor allem, da fast alle Radfahrer nach der Dauphiné im Trainingslager in den Alpen blieben. Dort lebten sie in einer Blase, um abgeschottet von Familie und Freunden zu sein, damit die Ansteckungsgefahr sinkt. Statt zu entspannen, ist die Nervosität gestiegen. Auf den ersten beiden Etappen gibt es kurvenreiche Abfahrten auf engen Straßen. Durch die Anspannung bei den Profis wird das gefährlich.