Der Beginn der Amtszeit von Jaume Soler als Präsident des Fußballclubs C.E. Cardassar stand wahrlich unter keinem guten Stern. Der heute 30-Jährige übernahm den Chefposten in Sant Llorenç im Sommer 2018. „Ich war keine drei Monate im Amt, dann kam die Flut", sagt er. Die Katastrophe löschte neben 13 Menschenleben auch fast den Fußballverein aus, dessen Stadion direkt neben dem Sturzbach liegt. „Der Platz war hinüber, keine der Einrichtungen war mehr zu gebrauchen."

Zwei Jahre danach steht Sant Llorenç wieder im medialen Blickpunkt. Der Viertligist bestreitet das größte Spiel seiner Vereins­geschichte. Die Fußball-Weltmacht Atlético Madrid muss am Mittwoch (16.12., 19 Uhr) im kleinen Dorf im Inselosten im Pokal ran.

Es scheint, als hätte der Verein durch die Flut alles Unglück aufgebraucht. Denn nach der Katastrophe ging es beim Club nur noch bergauf. Von der Primera Regional, der sechsten Liga in ­Spanien, stieg C.E. Cardassar zwei Mal in Folge auf und ­erreichte nach 17 Jahren wieder die viertklassige Tercera División. Als Meister der fünften Liga spielte das Team gegen Mannschaften aus Menorca, Ibiza und Formentera um die balearische Meisterschaft. Auch hier gab es einen Sieg. Als Belohnung durfte Sant Llorenç in die Qualifikation für die Copa del Rey. Dort setzte sich das Team gegen Épila aus Zaragoza durch und zog in der Auslosung mit Atlético Madrid den Hauptgewinn. Für den Viertligisten ist es die erste Pokalteilnahme überhaupt.

Einen Beitrag an dem Fußballmärchen leistete Mallorcas Volksheld Rafael Nadal. „Er hat nach der Flut eine Million Euro gespendet, um die Sportplätze der Stadt wieder herrichten zu lassen", sagt Soler. Die Solidarität war damals groß. Die Nachbarorte ließen die Mannschaften des Fußballclubs auf ihren Plätzen spielen. Der spanische Erstligist Osasuna schickte einen Trikotsatz. „Deren zweite Garnitur ist schwarz-gelb, genau wie unsere Vereinsfarben. Das war eine nette Geste. Da wir gleichzeitig neue Trikots in Auftrag gegeben hatten, mussten wir aber nie in den Osasuna-Trikots spielen. Wir haben sie an Kinder verschenkt", sagt Jaume Soler.

Schon zu Reyes 2019, dem Dreikönigstag, war das Stadion Es Molet wieder hergerichtet. Der Präsident sieht dabei keinen Zusammenhang zwischen dem Schicksalsschlag und dem sportlichen Höhenflug. „Schon vor der Flut sind wir gut in die Saison gestartet und haben den Tabellenführer geschlagen. Manche Sachen kann man im Fußball nicht erklären." Wie bei vielen anderen mallorquinischen Vereinen ist das Geld knapp und die Zielsetzung eher zurückhaltend. Vielleicht hat das Dorf mit den 4.000 Einwohnern gerade eine goldene Fußballgeneration. Elf Spieler sind noch im Team, die vor zwei Jahren in der sechsten Liga gespielt haben.

Immer wieder klingelt während des MZ-Interviews das Telefon des Präsidenten. „Es hört einfach nicht auf", sagt er. „Wir stehen vor dem größten Event unserer 96-jährigen ­Vereinsgeschichte. Wir stoßen in ganz andere Dimensionen vor und müssen erst einmal ­lernen, wie man damit umgeht und das alles organisiert." Der spanische Fußballverband hat die Austragung auf dem heimischen Kunstrasenplatz genehmigt. Nur 305 Zuschauern haben die Ehre, dem Spiel beizuwohnen. „Von unserer normalen Tribüne können wir nur die letzte Reihe nutzen, da ein Mindestabstand zum Feld eingehalten werden muss. Dort kommen 50 Journalisten hin. Die Fans kommen auf eine eigens für das Spiel montierte Tribüne auf einem Nebenplatz. 150 Tickets gehen an die Kinder unserer Nachwuchsteams, die restlichen 100 Karten verlosen wir an unsere Mitglieder", sagt Soler. In letzter Sekunde sind in dem Dorfclub 50 neue Mitglieder hinzugekommen, die sich so eine Chance bei der Verlosung sichern wollen.

„Wir haben eigentlich keine Chance auf ­einen Sieg. Aber die werden wir nutzen", scherzt Trainer Miquel Àngel Tomás. Am ­Wochenende vor dem Pokalduell steht für Atlé­tico in der Liga noch das Derby gegen Real ­Madrid an. „Gegen uns müssen sie dann auf Kunstrasen ran, was sie nicht gewohnt sind. Zudem ist unser Platz etwas kleiner, und unsere Spieler werden alles raushauen. Wir er­füllen uns einen Traum, indem wir uns einmal als Profis fühlen können", sieht der Trainer ­einen Ansatz für die Überraschung.

Unklar ist noch, wen Atlético Madrids Trainer Diego Simeone mit auf die Insel nimmt. Zu erwarten sind Nach­wuchsspieler und Reservisten. „Sie­ben Profis muss er laut den Regeln aufstellen. Die ganz großen Stars wie Luis Suárez oder João Félix werden aber wohl nicht dabei sein", sagt Tomàs.

Eine besondere Vorbereitung auf das Spiel hat der Trainer nicht geplant. „Ich werde den Gegner wie immer analysieren. Ich gehe auch davon aus, dass sich Diego Simeone Informationen über uns einholen wird. So wie man ihn kennt, wird er uns auf keinen Fall unterschätzen."

Ein weiterer Vorteil könnte sein, dass die ersten Pokalrunden seit der vergangenen Saison nur noch in einer Partie ausgespielt werden. Im System mit Hin- und Rückspiel können sich die kleinen Clubs zwar freuen, dass sie gleich zwei Mal gegen die Großen randürfen. Die Wahrscheinlichkeit, den Favoriten aber gleich in zwei Spielen auf dem falschen Fuß zu erwischen, sind gering. Pokalüberraschungen, wie man sie aus Deutschland kennt, waren daher lange Zeit rar in Spanien. Zumal die ganz großen Clubs erst eine ­Runde später in den Wettbewerb einsteigen. Die Regeländerung zeigte schon ­Wirkung, als in der Vorsaison der im ­Abstiegskampf steckende Zweitligist ­Mirandés bis ins Halbfinale kam.

Finanziell trennen die Copa del Rey und den DFB-Pokal Welten. „Durch die ganze Organisation machen wir mit der Partie Verlust", sagt Präsident ­Soler. „Wenn wir aber die Sensation schaffen sollten, wäre uns die weltweite Aufmerksamkeit gewiss. Das hätte jahrelang Strahlkraft."

Es würde aber auch zu Krach im Hause des Trainers sorgen. „Mein Vater ist ein eingefleischter Fan von Atlético Madrid", sagt Tomàs. „In dem Fall geht sein Sohn aber hoffentlich vor."