Mallorca wird seinem Ruf als Radsportinsel dieser Tage kaum gerecht. Während in den Vorjahren schon im Dezember die Profis ihre Runden auf der Insel drehten, bevorzugen die Teams nun Corona-bedingt andere Orte für ihre Trainingslager oder halten diese online ab. Das Team Ineos, früher Sky, war ein Dauergast im Winter in Alcúdia. Dieses Jahr zieht es den britischen Rennstall auf die Kanaren. Deutschlands Vorzeigemannschaft Bora-Hansgrohe - seit einigen Jahren jeden Dezember an der Playa de Palma unterwegs - fährt im Januar an den Gardasee. Ein Lichtblick ist da noch die Challenge, die Ende Januar die weltbesten Radsportler auf Mallorca versammelt. Doch ob die Jubiläumsausgabe des Radrennens überhaupt ausgetragen werden darf, steht noch nicht ganz fest.

„Der Geist der Radsportinsel lebt von den Profis. Für viele Hobbyfahrer ist es ein Highlight, wenn sie beim Training auf Mallorca plötzlich einem Chris Froome begegnen", sagt Jan Eric Schwarzer. Der ehemalige Bahnradprofi betreibt in Sineu den Radsporttreff MA-13, der weiter geöffnet ist und einige Radsportler beherbergt (in der vergangenen Woche sei André Greipel da gewesen).

„Das Training der Radsportler kann man nicht mit Mannschaftssportarten vergleichen", sagt Schwarzer. „Im Prinzip gibt es zur Saisonvorbereitung nur ein Trainingslager des Teams. Die restliche Zeit trainieren die Radfahrer alleine." Da bei einem Trainingslager mit den ganzen Helfern schnell mal an die 70 Personen zusammenkommen, ist ein gemeinschaftlicher Ausflug mit dem ganzen Team zu Corona-Zeiten unwahrscheinlich. Auch weil die Unterbringungsmöglichkeiten begrenzt sind. „Die Teams können es nicht riskieren, wenn ein anderer Gast im Hotel positiv getestet wird und dann alle in Quarantäne müssen", so Schwarzer. So trainieren die Radsportler derzeit weiter individuell oder in Kleingruppen. Wobei auch hier Grenzen gesetzt sind. „Derzeit dürfen wir nur zu sechst mit dem Rad unterwegs sein."

Eine Saison ohne Trainingslager schadet vor allem den Fahrern, die neu in einem Team sind. „Teambildende Maßnahmen stehen im Vordergrund. Die Fahrer lernen ihre Mechaniker kennen. Die Rollen im Team werden verteilt. Zudem bekommt jeder Profi sein Rennprogramm für das Jahr und weiß dann, zu welchem Zeitpunkt er topfit sein muss", sagt Schwarzer. Teilweise lassen sich diese Gespräche per Videokonferenz führen. Das Verständnis, wie der Teamkollege im Rennen agiert, lässt sich hingegen nur schlecht simulieren.

An diesem Punkt kommt die Challenge ins Spiel. Traditionell ist sie der Saisonauftakt im Radsport. Dieses Jahr, in ihrer 30. Ausgabe, mehr denn je. Denn der jährliche Konkurrent im Terminkalender, die Tour Down Under, fällt aus. Was folgt ist ein regelrechter Ansturm auf die Startplätze der für den 28. bis 31. Januar geplanten Rennserie auf Mallorca. „Wir mussten schon fünf Teams absagen", sagt der Kolumbianer Norbey Andrade, der sportliche Leiter der Challenge. Tour de France-Sieger Tadej Poga?ar kommt. Mit Bora-Hansgrohe, Ineos, Circus-Wanty Gobert, Israel Start-up Nation, UAE Team Emirates, Team Green Edge und Movistar um die Mallorquiner Enric und Lluís Mas sind sieben World-Tour-Teams bestätigt. Das Aufgebot erinnert schon fast an eine große Tour. 150 Radfahrer sollen täglich bei den Rennen antreten.

Rennleiter Andrade will die Profis in einer sogenannten Blase unterbringen. „Wegen der Menge an Leuten können wir nicht an der Playa de Palma unterkommen. Alle Teams werden im Alcúdia Garden einquartiert. Wir sperren die Straßen rund um das Hotel für die Öffentlichkeit. Groß Werbung machen wir für die Rennen nicht. Auch bei der Zieleinfahrt sperren wir das Publikum aus." So weit zumindest der Plan. Ob er ob der Größe des Events eingehalten wird, ist fraglich. „Wir sind optimistisch, bleiben aber mit den Füßen auf dem Boden. Es kann jederzeit passieren, dass das Gesundheitsamt die Maßnahmen verschärft und das Rennen verbietet. Wir können aber nicht auf die Erlaubnis warten. So ein Event organisiert sich nicht in acht Tagen, sondern da steckt ein halbes Jahr Arbeit dahinter."

Dass das Jubiläum auf die Pandemie fällt, ist ein Jammer. „Die Challenge war immer eine gute Gelegenheit, die Profis ein wenig kennenzulernen. Sonst sind sie nicht so greifbar und entspannt", sagt Schwarzer. Das fehlende Publikum will Andrade mit einer TV-Übertragung ausgleichen. „Dafür ist das Fernsehen schließlich da. Wir filmen jeden Tag die Rennen. Das Interesse an den Bildern ist seitens der Fernsehkanäle enorm. Eine Live-Übertragung können wir uns aber nicht leisten."