Selbst auf dem Trockenen packt Jaime Rosselló das Surffieber. Mit vollem Körpereinsatz macht der Mallorquiner die Bewegungen vor. „Die Füße werden in die Schlaufen auf das Brett gepackt, der Körper nach hinten gelehnt, und die Geschwindigkeit steigt. Dann geht es ab wie eine Rakete, das Brett beginnt zu gleiten, und es ist einfach nur begeisternd. Diese Erfahrung ist wie eine Droge", sagt der 45-jährige Hobbysportler über die Sportart, die auf Mallorca viele Anhänger hat. „Egal ob jung oder alt, Mann oder Frau, Anfänger oder Ex­perte - das Windsurfen verbindet alle."

In einem neuen Fotoband hat Rosselló die Szene auf Mallorca nun für die Ewigkeit festgehalten, wie er es formuliert: „Ich wollte mit dem Buch ein Vermächtnis schaffen. Etwas Gedrucktes, das noch in Jahrzehnten existiert." „Cercadors de vent" (wörtlich: Die Windsuchenden), das mithilfe der Agentur Santarita entstand, besinnt sich denn auch auf die Grundlagen: Im Retrostil hat Rosselló 400 Windsurfer mit ihrem Brett fotografiert - in Schwarz-Weiß, ohne große Posen, ohne die Namen oder die Geschichte der Fotografierten. „Es gibt etwa tausend Windsurfer auf Mallorca. Ein halbes Jahr bin ich für die Porträts quer über die Insel gefahren."

Bei Jaime Rosselló hat die Leidenschaft im Alter von 13 Jahren begonnen. „Meine Familie wohnte in Son Verí am Meer. Das Windsurfen kam in Mode, und zusammen mit meiner Freundesclique habe ich angefangen." Der Start sei leicht gewesen - es dauere in der Regeln nicht lange, bis man das Segel unter Kontrolle habe und einfache Strecken auf dem Wasser zurücklegen könne.

Konstanter Wind im Sommer

„Der Sommer auf Mallorca ist perfekt für Anfänger", sagt der 45-Jährige. Die Luft über dem Meer ist im Tagesverlauf kühler als im Landesinnern, es entsteht ein thermischer Wind. „Das sorgt für einen Sog, den sogenannten Embat. Die Luft strömt von Norden und Süden vom Meer ins Landesinnere. In den Stunden von 12 bis 16 Uhr, wenn die Hitze am größten ist, hat man in der Bucht von Palma und in der Bucht von Pollença eine konstante Brise mit einer Stärke von etwa zehn bis 15 Knoten", also etwa 20 bis 28 Kilometer pro Stunde. Das biete den Vorteil, dass die Windsurfer nicht vor Tau und Tag aufstehen oder sich bei einem Unwetter in die Fluten stürzen müssen, wie es die klassischen Wellenreiter tun. Sie können stattdessen zum schönsten Tageszeitpunkt das Meer genießen. „Nur wenn man einem Bürojob nachgeht, hat man das Nachsehen."

Ab in die Bucht von Pollença

Als idealer Windsurf-Spot auf Mallorca gilt der Strand von Es Barcarés. „Wenn man die Straße von Alcúdia nach Pollença fährt, ist der gleich rechts an der ersten Abzweigung", sagt ­Rosselló. Der Strand liegt am östlichen Arm der Bucht von Pollença. „Der Wind kommt ­daher in der Regel von der Seite."

Von Mai bis September geht die Sommersaison. Mit der wachsenden Erfahrung kann auf ein größeres Segel zurückgegriffen werden. Das fängt mehr Wind ein, und die Geschwindigkeit steigt. „Das ist der eigentliche Kick", sagt Rosselló. Ein guter Ort, um dann eine starke Brise zu erwischen, sei der Strand von Sant Elm an der Südwestküste. „Der Wind wird durch die Berge der Tramuntana umgeleitet und fegt durch die Meerenge zwischen Sant Elm und Dragonera", sagt der Mallorquiner, der es laut seinen eigenen Angaben dort schon auf eine Geschwindigkeit von 29 Knoten gebracht hat, das entspricht etwa 50 Kilometern pro Stunde. „Dann hat das Windsurfen auch einen meditativen Aspekt. Man muss sich konzentrieren und im Jetzt leben. Wer an Rechnungen oder andere Dinge denkt, fliegt im hohen Bogen ins Wasser."

Im Winter ändert sich die Lage. Dann ist der Windsurfer auf die Gemeinschaft und die Technik angewiesen. „Die Szene hat sich durch WhatsApp und die sozialen Medien extrem weiterentwickelt", sagt Rosselló. Während es im Sommer um Tempo auf dem Wasser geht, suchen die Windsurfer im Winter Stürme, um über die Wellen zu düsen und Kunststücke zu machen. „Wir organisieren uns über WhatsApp-Gruppen. Wer an einem Strand wohnt, berichtet über die Verhältnisse und schreibt, ob und mit welcher Segelgröße man surfen kann. Dem Aufruf folgen dann alle." Auf dem Smartphone sind zudem Wetter-Apps wie „Windy" Pflicht, um sich auf dem neuesten Stand zu halten.

Auf der Suche nach der perfekten Brise muss dann manchmal doch der Wecker gestellt werden. Am frühen Morgen sich bei eisigen Temperaturen in den Neoprenanzug zu zwängen, ist nicht jedermanns Sache. „Ich habe aber schon Leute bei Schneefall surfen sehen. Es geht darum, die Natur zu besiegen. Das ist ein Gefühl von Freiheit", sagt Rosselló, der früher selbst täglich auf dem Brett stand. „In zwei Wochen werde ich Vater. Dann muss ich wohl etwas kürzertreten", sagt er und hofft, dass seine Tochter die Surfleidenschaft erbt. „Mit etwa acht Jahren kann sie dann anfangen."

Ein Vermächtnis schaffen

Die Arbeit an dem Buch trug, noch bevor es erschien, zur Vernetzung der Surfer-Community der Insel bei. „Zu einem Fototermin kamen zwei Surfer, die nach einem Streit 15 Jahre lang kein Wort miteinander gewechselt hatten. Jetzt sind sie wieder Freunde", sagt der Mallorquiner.

In einem anderen Fall verbreiteten sich die Fotos über die sozialen Netzwerke in Windeseile und wurden auch in London wahrgenommen. „Ein Mann hat auf einem Foto sein ­früheres Surfbrett wiedererkannt, das er vor Jahrzehnten einem Freund auf der Insel überlassen hatte. Er war zu Tränen gerührt. Es war ein Geschenk zum 17. Geburtstag von seinem Vater gewesen."

Cercadors de Vent

Das 400-seitige Buch kann für 36 Euro online unter cercadors-de-vent.webflow.io bestellt werden.