Bei all den Diskussionen rund um die Pandemie geht ein wenig unter, dass an diesem Freitag (11.6.) die Fußball-EM startet. Ohne Public Viewing und mit einem Teilpublikum in den elf verschiedenen Spielstätten fällt es ein wenig schwer, in EM-Fieber zu verfallen. Von Vorteil ist jedoch auch diesmal, dass man als Deutscher auf Mallorca gewissermaßen zwei ­Chancen auf eine Siegesfeier hat. Fliegt Deutschland oder Spanien früh aus dem Turnier, kann man einfach zur anderen Mannschaft halten.

Einen solchen Tapetenwechsel bekommt kaum jemand mit, schließlich wird es das große Rudelgucken in diesem Jahr nicht geben. Die Spanier waren schon vor Corona verhalten in Sachen Public Viewing. Die großen Tanztempel an der Playa de Palma, wo Tausende Deutsche die Löw-Elf früher anfeuerten, sind geschlossen oder bedienen wie im Fall des Bierkönigs nur ein begrenztes Sitzpublikum. Rechtzeitiges Erscheinen und eine Reservierung in der Bar des Vertrauens sind diesmal daher Pflicht.

Das Auftaktspiel bestreiten am Freitag (11.6.) Italien und die Türkei in Rom. Bis zum Finale am 11. Juli in London rollt der Ball in zehn europäischen Städten und in Baku. Zum 60-jährigen Bestehen der EM wollte der europäische Fußballverband UEFA durch den Verzicht auf ein einziges Austragungsland ein ­Zeichen für Internationalität setzen. Ob das in Corona-Zeiten clever ist, steht auf einem anderen Blatt. Bei der EM 2020 - trotz der Verschiebung bleibt der originale Markenname bestehen - spielen manche der teilnehmenden Mannschaften in der Gruppe fast ausschließlich im eigenen Land. Deutschland trägt so alle drei Gruppenspiele in München aus, Spanien läuft in Sevilla auf. Der eigentliche Plan sah Bilbao vor. Die UEFA forderte jedoch, dass Zuschauer zum Turnier zugelassen werden müssen. Die Basken spielten nicht mit, und die Andalusier bekamen spontan den Zuschlag. Die Anzahl der erlaubten Zuschauer variiert dabei je nach den Regeln des jeweiligen Landes. Die Ungarn wollen das Stadion in Budapest komplett mit 65.000 Zuschauern füllen. In Sevilla sind 30 Prozent Auslastung erlaubt, das entspricht 17.280 Besuchern. Völlig unklar ist die Situation noch in München.

Was machen die „Alten"?

Deutschland trifft in der Gruppe F auf Weltmeister Frankreich (15.6.), Europameister Portugal (19.6.) und den Außenseiter Ungarn (23.6.). Die Gruppe ist zweifelsohne die stärkste in der Vorrunde. Joachim Löw, für den es das letzte Turnier als deutscher Nationaltrainer sein wird, zählt seine Mannschaft nicht zu den Favoriten. Für den kurzfristigen Erfolg hat der 61-Jährige aber den begonnenen Umbruch hintangestellt. Mit Thomas Müller und Mats Hummels kehren zwei verdiente Spieler ins Aufgebot zurück, die Löw eigentlich abgeschrieben hatte. Gerade die Erfahrung und Führungsqualitäten haben der deutschen Elf zuletzt gefehlt. Das Team hat in den vergangenen Spielen kaum ein Fettnäpfchen ausgelassen. Man denke an die blamable 1:2-Pleite ­gegen Nordmazedonien Ende März in der WM-Qualifikation. Dennoch bietet der Kader eine gute Mischung aus etablierten Kräften und spielfreudigen jungen Spielern. Vom Turniersieg bis zum Ausscheiden in der Gruppe ist für Deutschland jedes Szenario denkbar.

So steht es um die Spanier

Die Spanier haben mit der Gruppe E das offensichtlich bessere Los gezogen. Zum Auftakt (14.6.) geht es gegen Schweden, danach gegen Polen (19.6.) und zum Abschluss gegen die Slowakei (23.6.). Ein Aufeinandertreffen mit dem deutschen Team ist erst ab dem Viertel­finale möglich.

Nationaltrainer Luis Enrique setzt auf viele Nachwuchskräfte. Nach England haben die Spanier die im Durchschnitt zweitjüngste Mannschaft. Auffällig ist, dass erstmals im Kader kein Spieler vom Spitzenclub Real Madrid dabei ist. Damit fehlt neben dem langjährigen Kapitän Sergio Ramos auch der Mallorquiner Marco Asensio. Der 25-Jährige hat nach einer schweren Verletzung eine durchschnittliche Saison gespielt, sodass es nicht für die Nominierung reichte. Auch die Spanier haben zuletzt Höhen und Tiefen gezeigt. Die Gruppenphase dürfte das Team überstehen. Der Einzug ins Finale oder gar der EM-Sieg wären hingegen eine große Überraschung.