Die Atmosphäre erinnert an eine Klausur in der Schule. Statt des Lehrers ist es ein Sicherheitsbeauftragter, der mit gelber Warnweste die Ränge im Visit Mallorca Estadi abschreitet. Er sucht keine Spickzettel, sondern Nasen. Ist der Zinken nicht vorschriftsmäßig unter der Atemmaske verborgen, gibt es eine mündliche Ermahnung. Wasser zu trinken ist zwar erlaubt, dennoch fühlt es sich ein bisschen wie Abschreiben an. Ein schneller Schluck – und dann ganz schnell wieder die Maske aufziehen, denkt sich auch der MZ-Reporter, der beim 1:0-Heimsieg von Real Mallorca am Freitag (27.8.) gegen Espanyol Barcelona dabei war.

Es ist derzeit gar nicht so einfach, an Tickets für Fußballspiele zu kommen. 8.775 Zuschauer sind erlaubt, und dennoch kamen nur 7.529 Besucher. Da Real Mallorca mehr als 14.000 Dauerkarten verkauft hat, musste entschieden werden, wer letztendlich kommen darf. Der Club entschied sich dazu, die Dauerkartenbesitzer aus den Blöcken mit geraden Nummern zum ersten Spiel gegen Real Betis zuzulassen und die ungeraden Nummern nun gegen Espanyol. Das hatte zur Folge, dass viele Plätze leer blieben. Fans mit Tickets hatten keine Zeit zu kommen. Fans ohne Ticket durften nicht ins Stadion. So liefert Real Mallorca den Behörden jedenfalls kein Argument, dass die Besucherzahl erhöht werden soll.

Trotz vergleichsweise weniger Fans versiegt der Bier-Zapfhahn an der Bar vor dem Stadion schon weit vor dem Anpfiff. Im Stadion selbst herrscht nicht erst seit Corona striktes Alkoholverbot. Dafür gibt es den Bratwurststand noch, wenngleich die Wurst nun 10 Cent teurer ist. Gegessen wird in den Gängen und nicht auf dem Platz. Um den Sicherheitsabstand zu gewähren, sitzen die Fans verteilt im ganzen Rund. Besonders der Ultra-Block, den der frühere Clubpräsident Utz Claassen direkt hinter das Tor installiert hatte, leidet darunter. Nur selten stimmen ein paar Hartgesottene Lieder an. Das Klatschen im Dreiertakt, das früher gar vom Stadionsprecher per Band vorgespielt wurde, bleibt das beliebteste Anfeuerungsinstrument.

Real Mallorca hat an diesem Abend die Hilfe von den Rängen aber zum Glück kaum nötig. Gegen einen von Ex-RCD-Trainer Vicente Moreno extrem defensiv eingestellten Gegner haben die Mallorquiner die volle Kontrolle. Die Mallorquiner erarbeiten sich Chancen und gehen nach 26 Minuten durch Dani Rodríguez in Führung. Jubel auf den Rängen, danach verflacht das Spiel – und das Publikum verfällt in einen Tiefschlaf.

Nur Take Kubo vermag die Besucher mit seinen Geistesblitzen hin und wieder zu wecken. Es heißt, dass Real Madrid den 20-jährigen Japaner eigentlich an ein besseres Team verleihen wollte, das im europäischen Wettbewerb vertreten ist. Doch der Wirbelwind fühlte sich bei seiner Leihe auf die Insel vor zwei Jahren so vom Publikum wertgeschätzt, dass er unbedingt zurück wollte. Es ist eine besondere Beziehung. Als Kubo kurz vor Schluss ausgewechselt wird, skandieren die Fans seinen Namen genauso, wie früher Messi durchs Camp Nou hallte. Der Japaner gibt zum Dank einem Fan noch sein Trikot. Auch das sieht man bei Real Mallorca selten.

Nicht nur auf dem Platz ist Kubo für den Inselclub ein Gewinn. Wochenlang war der Verein auf der Suche nach einem neuen Hauptsponsor, der das Trikot ziert. In der vergangenen Saison war das ein Wettanbieter. Das Sportministerium verbot jedoch im vergangenen November, dass für Glücksspiel geworben wird. Mit Taica Corporation hat sich nun ein Nachfolger für die mallorquinische Brust gefunden. Das Unternehmen stammt aus Japan und wirbt für seine Marke Alpha Gel. Kubo ist ein Star in Fernost und sorgt dafür, dass die Mallorca-Spiele in Japan teilweise häufiger als die Partien von Real Madrid und FC Barcelona geschaut werden.

Wahrscheinlich flimmern die Mallorquiner auch bald in Seoul über die Mattscheibe. Mit Kang-in Lee hat Real Mallorca den nächsten asiatischen Profi verpflichtet, der einen ähnlichen Hype auslösen dürfte. Der Club profitiert vom kopflos wirkenden Vorgehen des FC Valencia. Der einstige Spitzenclub hat durch die Corona-Krise einen radikalen Sparkurs begonnen und verschenkt sein Tafelsilber. So musste Real Mallorca für den Südkoreaner keine Ablöse bezahlen. Der FC Valencia löste den Vertrag mit dem 20-Jährigen auf, was diesen laut dem Internetportal „transfermarkt.de“ mit einem geschätzten Marktwert in Höhe von zehn Millionen Euro zum wertvollsten Profi ohne Verein machte. Auch hier konnte sich Real Mallorca gegen namhafte Konkurrenz, darunter Bundesliga-Schwergewicht Leipzig, durchsetzen.

Stürmer von Schalke 04 kommt

Warum Valencia den Spieler nicht verkaufen konnte, ist mehr als fraglich. Der quirlige Angreifer gilt nicht als Arbeiter und soll nicht zum Stil des neuen Trainers Pepe Bordalás passen. Zudem war für den Nicht-EU-Ausländer kein Platz mehr – von ihnen dürfen die Clubs nur drei im Kader haben. Real Mallorca hat nun eines der weltweit größten Talente für vier Jahre unter Vertrag und könnte eine Menge Geld mit ihm verdienen. Das gleiche gilt für Matthew Hoppe, den Real Mallorca für 3 Millionen Euro vom FC Schalke 04 holt.

Die Transfers unterstreichen auch die Ambitionen des Teams. Die Eigentümer wollen den Club in den kommenden Jahren unter den besten zehn Teams Spaniens etablieren. Vielleicht geht das schneller als erwartet. Groß nach Abstiegskampf sieht die Lage auf der Insel derzeit nicht aus. Nach drei Spieltagen hat Real Mallorca sieben Punkte auf dem Konto – kein anderes Team hat mehr, fünf weitere aber die gleiche Punktzahl. Darunter Real Madrid und der FC Barcelona, die sich zu knappen Siegen mühten. Noch völlig ohne Zähler sind dagegen der FC Getafe und Deportivo Alavés.

Nun steht für Real Mallorca erst mal die Länderspielpause an. In der Liga geht es erst am 11. September mit dem Auswärtsspiel gegen Athletic Bilbao weiter.