Die Videos im Internet sehen spektakulär und atemberaubend aus. Junge Männer, die von Dach zu Dach springen, ohne Hilfsmittel an Hausfassaden hochklettern oder auf Brückengeländern balancieren. Zum Boom der Sportart Parkour tragen sicherlich die sozialen Netzwerke wesentlich bei. „Dabei ist es nur die Spitze des Eisbergs. Unserer Gemeinschaft geht es um etwas völlig anderes“, sagt Jan Ladinik. Der Tscheche ist eine Art Trainer der etwa 30 aktiven Parkour-Sportler in Palma.

Álvaro Bosch. | FOTOS: BOSCH

Ausbildung für Soldaten

Als Erfinder der Sportart gilt der Franzose Georges Hébert. Seine Trainingsmethode – die Méthode Naturelle – umfasst körperliche und geistige Übungen in der Natur. Sie wurde später zum Grundbestandteil der Ausbildung des französischen Militärs. In diesem war es Raymond Belle, der gemeinsam mit seinem Sohn David kreative Fluchtmöglichkeiten entwickelte. Aus ihnen entwickelte sich die Trendsportart. „Das Grundprinzip bestand daraus, besonders schnell und effektiv von einem Punkt zum anderen zu gelangen“, so Ladinik.

Jan Ladinik.

Ein Film als Initialzündung

David Belle gründete selbst eine Parkour-Gruppe, die Yamakasi. 2001 wurde ein Spielfilm mit den Sportlern gedreht, der einen regelrechten Boom auslöste. Auch Jan Ladinik sah den Streifen und wollte sich spontan selbst daran versuchen. „Aus heutiger Sicht bin ich ein schlechtes Vorbild, da ich auf eigene Faust losgezogen bin und die Sprünge der Profis nachahmen wollte. Dabei habe ich mich oft verletzt“, sagt der Tscheche, der in Spanien aufgewachsen ist und seit 15 Jahren auf Mallorca lebt.

Dabei gehe es beim Parkour gar nicht so sehr um das Adrenalin oder die Bewunderung in den sozialen Netzwerken. „Das eigentliche Training ist die Wiederholung von ein und demselben Ablauf. Es sind Sprünge am Boden, zum Beispiel von einem Bordstein zum nächsten oder per Bocksprung über eine Mauer oder Bank. Das ist erst mal wenig spektakulär“, sagt Ladinik. „Der Sprung muss kontrolliert ablaufen. Man muss jederzeit die Kontrolle haben und das eigene Körpergewicht abfedern können. So lernt man sich selbst kennen und einschätzen. Viele Neulinge in unserer Gruppe waren schüchtern und haben durch den Sport an Selbstvertrauen gewonnen.“ Klappt der Sprung wie geplant am Boden, kann man Stück für Stück in die Höhe gehen. „Hinter einem Sprung stecken meist drei Monate Training. Aber man sollte sich immer fragen, ob man wirklich bereit für die Aufgabe ist und das Risiko es wert ist.“

Marcel Nadal.

Etwas für junge Leute

Ihn selbst habe das Risiko nie gereizt. „Ich habe nie einen Sprung gemacht, den man als lebensgefährlich einstufen würde. Ich kann mich auch am Boden ausreichend betätigen.“ Mit 32 Jahren ist er der älteste Parkour-Sportler der Szene in Palma. Im Durchschnitt sind die Mauerhüpfer Teenager im Alter zwischen 13 und 18. Nach dem Ende der Schulzeit fehlt dann die Zeit für das Hobby, viele hören wieder auf. „Uns verbindet der Sport. Mich stört es daher nicht, wenn ich mit Kids rumhänge. Ich versuche, den jungen Leuten meine Erfahrungen weiterzugeben“, sagt Ladinik.

Manchmal muss er einen waghalsigen Jungspund dann auch mal bremsen. „In der Gruppe passen wir aufeinander auf. Wir fragen genau nach, ob man sich sicher ist, den Sprung zu beherrschen.“ Hin und wieder kommen Neulinge, die mit Parkour ihr Instagramprofil aufpeppen wollen. „In ihrer Clique sind sie vielleicht die größten, wenn sie einen Salto können. Bei uns ist das Niveau aber so hoch, dass wir die Leute schnell auf den Boden der Tatsachen bringen. Wenn die Neuen dann sehen, dass die Profis bessere Sprünge und Tricks draufhaben und keinen Wind darum machen, werden sie langsam ehrfürchtiger und ändern ihre Einstellung.“

Obwohl Parkour in seiner ursprünglichen Form einen praktischen Sinn hatte, ist er heute wesentlich kunstvoller. „Jeder hat seinen eigenen Stil und seine eigene Ausdrucksweise. Manche Sportler bauen Turnelemente ein, andere Elemente aus dem Breakdance.“ So geht es heutzutage meist auch längst nicht mehr darum, von A nach B zu gelangen.

Palma jedenfalls ist bestens geeignet, um Mauern zu überspringen und die Architektur als Sportplatz zu nutzen. Beliebte Orte sind das Gebiet rund um das Stadion Son Moix, der Sa-Riera-Park oder die Mauern im Parc de la Mar vor der Kathedrale. „Wichtig ist, dass es verschiedene architektonische Elemente gibt. Gut ist auch, wenn kaum Zuschauer da sind. Die lenken einen höchstens ab und stören die Konzentration.“

Ab und an werden die Sportler – wohl auch wegen des jungen Alters – für randalierende Jugendbanden gehalten. „Es kommen zum Glück immer weniger Beschwerden. Die Polizei kennt uns auch mittlerweile und lässt uns in Ruhe trainieren. Da gibt es keine Probleme“, so Ladinik.

Kontakt zu der Parkour-Gemeinschaft in Palma gibt es über den Instagram-Account „parkourmallorca“. Die Sportler verabreden sich per Whats-App-Gruppe zum Training.