Jesús ist ein netter Kerl, aber verdammt groß und muskulös. „Machen wir die Übung mit oder ohne Kraft“, fragt er den Trainer. „Wie du magst“, antwortet dieser. Jesús lächelt mich verschmitzt an. Nach dem Startsignal vom Coach schnellt er nach oben, packt mich am Brustkorb und trägt mich so förmlich über den halben Platz.

Blocken nennt sich diese Trainingseinheit. Sie ist Bestandteil des American Football. Die Mallorca Voltors, das einzige Team in der Randsportart auf der Insel, ist auf der Suche nach neuen Spielern und bietet daher im September einen Crashkurs an. Ich bin dabei.

Nicht zuletzt durch die häufigere Ausstrahlung im Fernsehen wird American Football in Deutschland immer populärer, etwa in der Sendung „ran“. Deren Kommentator Patrick Esume hat die European League of Football gegründet, die in diesem Jahr ihre erste Saison austrägt. Und nach dem Ende der NFL Europe gibt es zum ersten Mal seit 2007 wieder ein größeres internationales Turnier in Europa. Neben sechs deutschen und einer polnischen Mannschaft ist mit den Barcelona Dragons auch ein spanisches Team dabei. Dieses spielt nur dort und nicht in der nationalen Liga. Die Voltors wiederum, die selbst seit 2014 in der ersten Liga spielen, haben mit Yago Rivero einen Spieler an Barcelona für den internationalen Wettbewerb ausgeliehen.

Während die deutschen Teams alle schon eine funktionierende Jugendarbeit haben, steckt der Sport in Spanien noch in den Kinderschuhen. „Selbst als kompletter Neuanfänger hat man gute Chancen, es ins Team zu schaffen, solange man nicht beim Training herumalbert“, sagt Cheftrainer Isaac Delgado. Kontrastprogramm zum Fußball, wo selbst in der letzten Liga Hunderte Spieler schon beim Probetraining aussortiert werden und ohne Mannschaft bleiben. Dieses Schicksal teile auch ich – ein leidenschaftlicher Fußballer, der ebenfalls kein Team gefunden hat. American Football dagegen kannte ich bislang vor allem als Zuschauer.

Ohne Schutzkleidung

Als Einstimmung für das Training dient ein Video mit den härtesten Tackles. Mit mulmigem Gefühl geht es zur ersten Trainingseinheit auf dem Nebenplatz des Stadions von Real Mallorca. Die Schutzausrüstung aus einer Art Körperpanzer und Helm ist für die Anfängerklasse noch nicht nötig. „Sportkleidung, Noppenschuhe und Wasser reichen aus. Zudem ist die Corona-Impfung Pflicht“, sagt Delgado. An die 60 Personen haben sich zum Schnuppertraining eingefunden. Darunter einige erfahrene Spieler, die den Start der Saisonvorbereitung im Oktober offenbar nicht erwarten können. Die Altersklassen sind gemischt, es stehen auch viele Kinder auf dem Platz, die halb so groß wie ich sind.

Es dauert nicht lange, und der erste Ausfall ist zu beklagen. Nach einer halben Runde Warmlaufen liegt ein moppeliger Junge auf dem Boden und muss vom Platz getragen werden. Mit verschiedenen Dehn- und Laufübungen geht es weiter. Die Unterschiede zum Fußballtraining halten sich noch in Grenzen. Auffällig ist, dass ständig abgeklatscht wird. Ich mache mit, obwohl ich niemanden kenne und es fraglich ist, ob es in Corona-Zeiten nicht andere Arten der Teamzusammenführung gibt.

Nach dem ersten allgemeinen Teil geht es endlich mit den Football-Übungen los. Das Team wird in drei Gruppen eingeteilt. Meine Gruppe macht Pass- und Fangtraining mit Chefcoach Delgado. Erläuterungen, wie der Ball richtig geworfen wird, gibt es nicht. Zum Glück zahlt sich das Strandtraining und das Studium von Youtube-Videos aus, und es gelingt mir, dem Ei die rotierende Bewegung mitzugeben. Das soll verhindern, dass der Ball eiert und dadurch schwieriger zu fangen ist. „Wer den Ball fallen lässt, macht zehn Liegestütze“, mahnt der Coach.

Das Tempo zieht an

Zum Schnupperkurs dürfen sich alle Spieler auf allen Positionen ausprobieren. In einem richtigen Spiel ist es eigentlich nur der Quarterback, der den Ball wirft – in der Regel verpflichten die Voltors dafür einen erfahrenen US-Amerikaner. Für eine weitere Fangübung wirft der Trainer die Bälle. Es soll auf einer Linie gelaufen und dabei der Ball gefangen werden. Über die kurze Distanz ist das einfach. Nach und nach wird das Tempo jedoch höher, es kommen Richtungswechsel hinzu. Der ein oder andere Pass geht zu Boden.

Körperbetont die nächste Station, es geht um die Strategie der Abwehrspieler. Sie versuchen, zum Quarterback zu gelangen und ihn am Pass zu hindern. Pärchenweise werden wir gegenübergestellt. Einer spielt den Verteidiger, der andere den Beschützer des Ballwerfers. Aufgabe ist es, an diesem vorbeizukommen. „Der Typ gegenüber interessiert nicht. Entsprechend behandelt ihr ihn“, sagt der Co-Trainer. Die Ausgangsstellung ähnelt dem Sitz auf dem WC. Aus der tiefen Hocke geht es los. Auf das Signal des Trainers hin muss ich mal rechts, mal links am Gegenspieler vorbeikommen – ihn packen, seine Arme wegschlagen oder ihn mit einer Drehung umkurven.

Mein Gegenüber gehört zu den erfahrenen Spielern. Er ist jung, und ich mache die Übungen wenig kraftvoll, da ich ihm nicht wehtun möchte. Diese Einstellung habe ich exklusiv: Nach ein paar Wiederholungen werden die Seiten gewechselt, und der Jungspund behandelt mich wie einen menschlichen Boxsack, was mehrere blaue Flecke hinterlassen wird. Mit voller Kraft schlägt er auf Arme und Brust ein und spurtet an mir vorbei.

Um das zu verhindern, wird geblockt – die dritte Station beim Training. Während die Verteidiger praktisch freie Hand bei den Bewegungen haben, dürfen die Offensive Tackle, wie die Beschützer des Quarterbacks heißen, den Abwehrspieler nur an der Brust anfassen, wo später beim Trikot die Nummer ist. Jesús macht das eindrucksvoll an meiner Person vor. Es sieht einfach aus, aber als ich ihn an der Brust packe, bewegt sich nicht viel. „Du bist wahrscheinlich bei deiner Größe woanders besser aufgehoben“, sagt er.

Zum Abschluss gibt es ein Duell Mann gegen Mann. Der eine verteidigt, der andere muss den Ball fangen. Hier trumpfe ich auf, da ich gegen Mallorquiner spiele, noch dazu Kinder. Das tut der Freude keinen Abbruch: Ich juble lautstark über jeden gefangenen Ball.