Kahena Kunze nutzt eine so bildhafte Sprache, dass man sich fühlt, als wäre man bei ihren Erfolgen dabei gewesen. Die 31-Jährige Brasilianerin mit deutschen Großeltern zählt zur absoluten Segelelite. Gemeinsam mit Steuerfrau Martine Grael hat die Vorschoterin bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 und Tokio 2021 Gold im 49er geholt. Das Duo tritt ab Freitag (1.4.) bei der Regatta Trofeo Princesa Sofía an.

Welche Bedeutung hat die Regatta?

Aus sportlicher Sicht ist sie nicht so wichtig. Aber der Trofeo macht einfach nur Spaß. Was die Anzahl der Boote betrifft, ist es fast wie eine WM. Bei Olympia gehen 18 Segler an den Start, hier sind es 70. Bei dieser Vielzahl an Teilnehmern ist eine andere Taktik gefragt. Es ist zudem das erste Rennen mit neuem Mast und Segeln. Nach Tokio sollte das Material nachhaltiger werden. Das ist ein totaler Neustart, da wir uns an die geänderten Bedingungen gewöhnen müssen. Ich finde, dass das Boot jetzt einfacher zu segeln ist. Das ist schlecht für uns, da unsere Konkurrenz dadurch aufholt und unsere Titelposition in Gefahr ist.

Martine Grael kommt aus einer legendären Segelfamilie. Auch Ihr Vater war bereits Weltmeister. Wurden Sie quasi von Ihren Eltern ins Boot gedrängt?

Nein. Meine Eltern haben nie Druck auf mich ausgeübt. Natürlich saßen wir in den Sommerferien immer im Boot. Ich mochte den Segelsport anfangs aber nicht, da es hieß, dass es eine Sache für Jungs ist. Erst als meine Familie von Rio nach São Paulo umgezogen ist und ich dort in meinem Freundeskreis viele Segler hatte, habe ich angefangen.

Sie haben nach beiden Olympiasiegen Schiffbruch erlitten. Was war da los?

Das war Absicht. Das Boot ist sehr wacklig und es ist Tradition, dass man nach dem Sieg kentert. In Rio war es unglaublich. Ich hatte es mir nicht vorstellen können, wie besonders es ist, im eigenen Land olympisches Gold zu holen. Zumal vor dem Finale noch alle Segler gleichauf lagen. Gefühlsmäßig war es einfach nur intensiv. Wir wollten die Emotionen rauslassen. Alle unsere Freunde haben sich ins Meer geworfen und sind auf uns zugeschwommen. In Tokio haben wir die Zeremonie wiederholt, blöderweise sind wir dabei aber zu nah ans Ufer getrieben. Der Mast hat sich in einer Felsspalte verklemmt und ist gebrochen. Da wir wegen des Wechsels des Materials den Mast sowieso nicht mehr nehmen durften, war es nur halb so schlimm. Wir haben ihn in Stücke aufgeteilt und den Siegermast als Andenken an unsere Freunde verteilt.

Ist die Freude beim zweiten Olympiagold noch so groß wie beim ersten Mal?

Tokio war wegen Corona einfach nur anders. Zumal wir nach Rio als Favoriten an den Start gegangen sind und der Druck enorm war. Wegen der Restriktionen durften wir nur im Boot oder im Hotel sein. Da blieb viel Zeit für schlechte Gedanken. Wir hatten uns während der Pandemie speziell auf den mentalen Aspekt konzentriert und eine Psychologin engagiert. Sie hat uns geholfen, die Angstzustände besser zu kontrollieren. Wir sind im Kopf die einzelnen Prozesse vor und während einer Regatta durchgegangen. Manchmal sind wir dabei gerannt, um auch den Körper unter Stress zu setzen. Dadurch haben wir Erfahrung gesammelt.

Nach dem WM-Sieg 201 4 wurden Sie beide in Palma zu Weltseglerinnen gekürt. Was unterscheidet Sie von anderen Seglerinnen?

Wir können nur von uns sprechen. Wie in anderen Leistungssportarten ist es unmöglich, alle Wettbewerbe zu gewinnen und immer in Topform zu sein. Es ist wie eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen. Dann kommt es auf einen guten Trainer und ein gutes Team an – und dass man zum richtigen Zeitpunkt in idealer Verfassung ist. Das ist uns sehr gut gelungen. Die Arbeit an den Details ist wichtig. Wir werden oft gefragt, was wir nach zwei Olympiasiegen überhaupt noch verbessern können. Im Segeln gibt es keine Perfektion. Technik, Fitness, Ernährung, Disziplin, Strategie, Kommunikation, Material – da haben wir noch viel Luft nach oben. Das motiviert mich.

Können Sie vom Sport leben?

In Brasilien schon. Die Regierung und Sponsoren unterstützen uns. Wir haben aber keine Reichtümer angehäuft und müssten uns nach dem Karriereende einen Job suchen. Martine und ich haben ein Studium zum Umweltingenieur angefangen. Es fehlt aber an Zeit und Geld dafür, daher ruht es derzeit. Ich würde das Studium gern abschließen, hätte aber auch Lust auf soziale Projekte, zum Beispiel sozialschwachen Kindern das Segeln beibringen. Nach den Olympischen Spielen in Paris 2024 werden wir den Plan B konkretisieren. Bis dahin konzentrieren wir uns auf den Sport, bleiben auf den Sport fokussiert.

Sie segeln seit 2009 mit Martine Grael. Das ist bestimmt wie eine Ehe...

Es ist schlimmer. Denn der schöne Teil fehlt. Wir sind von kleinen Mädchen zu Frauen herangewachsen und haben gelernt, Freundschaft und Arbeit zu trennen. Sicherlich hat es in den ganzen Jahren das ein oder andere Mal geknallt. Heute wissen wir aber, wann wir die andere in Ruhe lassen müssen, um die Explosion zu vermeiden.

Die deutschen Olympiasportler regen sich auf, dass sie zu den Spielen im Fokus stehen, aber in der restlichen Zeit sich niemand für sie interessiert. Ist das in Brasilien ähnlich?

Dort ist es genauso. Wir sind nur für einen Monat sichtbar. Außerhalb der Spiele kennt dich niemand. Die Zeitungen sind voller Fußball. Ich frage mich: Wo sind die anderen Sportarten? Besonders für die Sponsorensuche ist das schwierig. Sechs Monate vor Olympia kommen die Firmen an und wollen sich präsentieren, da du Chancen auf Gold hast. Wo sind sie aber in den dreieinhalb Jahren zuvor, wo die Grundlagen dafür geschaffen werden? Wir versuchen daher, nur noch Vier-Jahres-Verträge abzuschließen. Unser Finale in Rio 2016 war das erste Segelrennen, das in Brasilien live übertragen wurde. Wir haben dadurch einen regelrechten Hype ausgelöst. Die Segelschulen sind voll. Das ist unsere wirkliche Medaille und unser Vermächtnis.