Champions League klingt nach großem Sport. Und das ist es auch. Die zweite Ausgabe der fünfteiligen Bahnrad-Rennserie beginnt am Samstag (12.11.) mit einem Rennen im Velòdrom Illes Balears in Palma (siehe unten). Neben dem holländischen Olympiasieger und Bahnradstar Harrie Lavreysen geht auch wieder Stefan Bötticher an den Start. Der 30-jährige Thüringer konnte zwar drei der vier Keirin-Rennen – auch das auf Mallorca – im Vorjahr gewinnen, musste aber in der Gesamtwertung Kurzzeit Lavreysen den Vortritt lassen. Dieses Mal soll es anders laufen, wenngleich der zweifache Weltmeister in dieser Saison mit einigen Hürden zu kämpfen hatte.

Sie sind beim Nations Cup im Juli in Cali gestürzt und mussten daraufhin die EM absagen. Auch bei der WM in Frankreich vor drei Wochen hatten Sie noch mit Schmerzen zu kämpfen. Wie geht es Ihnen derzeit?

So weit ganz gut. Beim Zieleinlauf in Cali ist ein anderer Fahrer in einen Bereich gefahren, den er nicht ansteuern durfte. Dadurch bin ich und ein anderer Fahrer gestürzt. Ich habe mir den Oberarmkopf gebrochen, ein Knochenödem zugezogen und eine Sehne in der Schulter angerissen. Viele Sportler hätten mit den Verletzungen die Saison für beendet erklärt. Aber ich fühlte mich auf dem Fahrrad wohl und konnte alternativ im Kraftraum trainieren. Der Ausfall war aber zu lange, als dass ich eine gute WM hätte fahren können.

Jeder, der mit dem Fahrrad mal gestürzt ist, kennt das, dass man danach erst einmal wackelig im Sattel sitzt. Das war bei Ihnen bestimmt nicht anders, oder?

Na klar hatte ich bei den ersten Malen auf der Bahn ein mulmiges Gefühl. Man muss bedenken, dass ein Sturz im Alltag mit vielleicht 20 bis 25 km/h passiert. Ich war bestimmt mit 65 km/h unterwegs. Ich bekomme aber relativ schnell wieder Sicherheit. Dreieinhalb Wochen vor der WM bin ich in Cottbus noch mal einen Wettkampf gefahren, einfach um mir wieder Selbstvertrauen zu holen.

Sicherlich hilft es bei dem mulmigen Gefühl nicht, wenn dann auch noch der Sturzhelm versagt. Was ist da bei der WM passiert?

Vor technischen Problemen gibt es leider keinen Schutz. Mir ist die Halterung kaputtgegangen. Der Helm war nicht mehr richtig zu und hatte Spielraum. Da wir in einer extremen Kopfposition fahren, ist er mir ins Gesicht gerutscht. Im Training bereiten wir uns auf solche Momente vor und üben, wie wir mit einer Sichtweite von nur zwei, drei Metern vor dem Vorderrad fahren. Ich habe aber nicht mal mehr die Spitze von meinem Vorderrad gesehen. Das war im Teamsprint – es gab also glücklicherweise keine Hindernisse auf der Bahn. Kommt es zu einem Sturz, weist der Schiedsrichter mit Schüssen darauf hin. Ich wusste: Wenn ich mich nicht hinlege, kann ich das Rennen beenden. Ich hatte überlegt, ob ich die Hand vom Lenker nehme und den Helm hochschiebe. Das hätte aber meinen Fokus zerstört und ein paar Hundertstel- oder Zehntelsekunden gekostet.

Dennoch fehlte dem deutschen Team eine Zehntelsekunde zu Bronze …

Das war ärgerlich. In der ersten Runde hatten wir gegen Frankreich Glück, im Kampf um Platz drei hatten wir Pech. Ich kann nicht sagen, ob es am Helm lag.

UCI Track Champions League 2021 in Palma. Alex Broadway/SWpix.com

Wie konnten Sie überhaupt weiterfahren?

Jede Kurve und jede Bahn ist anders. Aber ich habe ein Gefühl dafür. Als Bahnradsportler müssen wir nicht viel lenken. Die Räder laufen gut geradeaus. Nur in der Kurve müssen wir dem Druck gegenwirken. Auf dem Boden sehen wir noch zwei Linien – die sah ich auch bei der WM noch. Die schwarze markiert die 250 Meter lange Ideallinie. Die rote markiert den Sprintkorridor. Dort darf nicht innen überholt werden. Mit meiner Erfahrung könnte ich noch fast blind fahren. Mit geschlossenen Augen möchte ich es bei dem Tempo dann aber lieber doch nicht ausprobieren.

Emma Hinze, amtierende Champions-League-Siegerin, hat diesmal kurzfristig abgesagt, um Kraft für die nächste Saison zu sammeln. Haben Sie auch darüber nachgedacht?

Ich habe eine Pollenallergie und bekomme dadurch oft Rückenschmerzen. Daher nehme ich mir immer wieder Auszeiten. Da ich bis Olympia 2024 praktisch zwei Jahre durchpowern muss, bin ich dieses Jahr später eingestiegen. Auch wenn ich verletzt war, hatte ich nach dem Sturz eine Ruhephase. Da die WM gesundheitlich reibungslos verlaufen ist, wollte ich wieder Teil der Champions League sein. Die Rennserie ist eine große Chance für unseren Sport. Sie bringt viele Punkte für die Weltrangliste, die die Qualifikation für EM und WM ermöglichen. Und es ist ein Rennen mit den internationalen Top-Leuten. Davon gibt es nicht so viele.

Die Champions League soll den Bahnradsport außerhalb der Olympischen Spiele bewerben. Hat das im vergangenen Jahr geklappt?

Aus deutscher Sicht sind wir eine super Champions League gefahren. Es war mit drei Wochenenden noch übersichtlich, dieses Jahr dürfte es einen Ticken länger sein. Im Fernsehen ist das Event gut angekommen. Alle Leute, die es verfolgt haben, waren vom Format angetan. Ich hoffe, dass es weiter wächst. Es hilft uns, bekannter zu werden und bessere Sponsoren zu bekommen.

Residenten bekommen beim Rennen Rabatt

Frauen und Männer fahren in der Champions League jeweils in den Kategorien Kurzzeit und Ausdauer. Nach Palma zieht der Bahnradtross nach Berlin (19.11.), Paris (26.11.) und London (2./3.12.) weiter. Um 18.45 Uhr geht es am Samstag (12.11.) im Velòdrom Illes Balears los. Residenten zahlen 10 Euro Eintritt, alle anderen 25 Euro. Karten gibt es unter bit.ly/Bahnrad-CL.

Warum ist die Champions League spektakulärer als eine Weltmeisterschaft?

Das Programm ist in drei Stunden vorbei. Wenn ich als Sprinter jedes Mal ins Finale komme, muss ich fünf Mal ran. Das ist eine Mammutaufgabe ohne Zeit zum Durchschnaufen. Schlechtere Fahrer haben längere Pausen und gehen ausgeruhter in den nächsten Wettkampf. Die Top-Fahrer sind meist müde und das Leistungsniveau ist dadurch ausgeglichener.

Ist das die Hoffnung, um Harrie Lavreysen besiegen zu können?

Wenn er ansatzweise in der Form ist, die er bei der WM gezeigt hat, wird es für alle anderen nahezu unmöglich. Er ist der Mann, den es zu schlagen gilt. Die Champions League ist aber unberechenbar. Ein Sturz oder eine Unkonzentriertheit und man verliert den großen Vorsprung, den man sich erarbeitet hatte. Zumal die Konkurrenz größer als im Vorjahr ist. Der Australier Matthew Richardson ist in einer Top-Verfassung. Der Russe Michail Jakowlew hat die Staatsbürgerschaft gewechselt und fährt nun für Israel. Der durfte ein Jahr lang keine Wettkämpfe fahren. Ich muss selbst schauen, wo ich bleibe, da ich zuletzt auch ein wenig gekränkelt habe. Ein guter Start in Palma wäre wichtig.

Wie haben Sie die Stimmung in Palma erlebt?

Ich war von der Stimmung in allen Velodromen angetan. Wobei London dort noch einmal hervorsticht. Die Bauweise mit flachem Dach sorgt für einen ganz anderen Geräuschpegel. Wenn die Briten gefahren sind, hat man sein eigenes Wort nicht mehr verstanden. Auch auf Mallorca waren viele Zuschauer da, darunter Freunde und Bekannte. Ich fand es cool, das Rennen im Keirin zu gewinnen und die Leute für mich jubeln zu hören.

Ist das bei einer WM anders?

Dort habe ich mehr das Gefühl, dass die lokalen Fahrer des jeweiligen Landes angefeuert werden. Die Champions League ist dann eher ein europäisches Rennen. Zumal das Problem bei der WM ist, dass der Wettkampftag von früh bis abends geht. Solange halten die Fans kaum durch. Bei der Champions League sind es drei Stunden am Abend, vielleicht fließt auch der ein oder andere Tropfen Alkohol. Dann ist immer Stimmung und Action.