Mallorca Zeitung

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Mallorca im WM-Fieber? Nur die Deutschen sind skeptisch

Schauen oder erschaudern, das ist bei der WM in Katar die Frage

Die Fans von Hertha BSC haben eine klare Meinung zur WM.

Tausende Fußballfans haben in den vergangenen Wochen in den Bundesliga-Stadien zum Boykott der WM in Katar aufgerufen. Die Arbeitsbedingungen beim Bau der Luxusarenen, Botschafter, die Homosexualität als „Schaden“ bezeichnen, und klimatisierte Stadien zu Zeiten der Klimakrise lassen in Deutschland kaum Lust auf das Winterevent aufkommen. Doch was ist mit den anderen auf Mallorca zahlreich vertretenen Nationalitäten? Die MZ hat sich umgehört, wie es um das WM-Fieber steht. Gastgeber Katar eröffnet das Turnier am Sonntag (20.11., 17 Uhr) gegen Ecuador.

Marokko und die Bruderliebe

„1986, ihr habt uns im Achtelfinale rausgeworfen“, sagt Moha Oulhri. „In der 87. Minute durch ein Freistoßtor von Matthäus.“ Er sagt das fast so, als wäre er dabei gewesen. „Dabei war ich zwar schon auf der Welt, hatte aber keine Ahnung, was Fußball ist, und meine Eltern besaßen keinen Fernseher“, lacht der Marokkaner. „In der Vorberichterstattung wird das in meiner Heimat derzeit immer wieder durchgekaut.“ Schließlich war es 1986 das bislang einzige Mal, dass die Nordafrikaner die Gruppenphase einer WM überstanden haben.

Oulhri rief vor fünf Jahren eine marokkanische Fußballmanschaft in Manacor ins Leben, den FC Marroquis Mallorca. „Viele marokkanische Kinder spielten auf den Straßen und Plätzen. Ihre Eltern können sich den Mitgliedsbeitrag eines Vereins nicht leisten. Außerdem haben viele mallorquinische Clubs leider eine Höchstquote für Ausländer“, erzählt er. Aus dem Jugendclub ist heute eine Männermannschaft geworden, die in der letzten Liga spielt.

„Der Fußball gehört zum Alltag in Marokko“, sagt Oulhri. „Mit Raja Casablanca haben wir einen der besten afrikanischen Clubs und den, der die euphorischsten Fans hat.“ International bekannt wurde Raja Casablanca durch das verlorene Finale 2013 in der Klub-WM gegen den FC Bayern. „Viele Marokkaner sind Fans der großen Clubs wie Barça oder Real Madrid. Über allem steht aber die Nationalmannschaft“, sagt Oulhri, der für seine Truppe in Manacor sogar dessen Trikot ausgesucht hat. „Mit unserem Logo versteht sich.“

Moha Oulhri (re.) mit dem balearischen Fußballpräsidenten. Ralf Petzold

Die marokkanische Gemeinde ist überglücklich mit der Wüsten-WM. „Katar ist wie ein Bruder für uns. Erstmals eine Weltmeisterschaft im arabischen Raum – das ist toll“, sagt Oulhri. „Boykott-Debatten werden bei uns nicht geführt. Es freuen sich alle riesig. Zumal ein Marokkaner die offizielle WM-Hymne geschrieben hat und viele unserer Landsmänner als Sicherheitskräfte vor Ort sind.“

Die Ausgrenzung Homosexueller sei hingegen ein Problem. „Ich verstehe nicht, warum Katar so viel Terz macht. In Marokko kann die LGBT-Gemeinde wie auch in Spanien ganz normal leben.“ Knifflig seien auch die Arbeitsbedingungen in Katar. „Wer bin jedoch ich, um darüber zu urteilen? Ich frage mich, warum es nach der Vergabe der WM relativ ruhig war und erst jetzt kurz vor Beginn die Proteste starten.“

Der Angestellte eines Supermarkts wird die Spiele sehen. „Unser Chef hat uns erlaubt, einen Fernseher aufzustellen.“ Zu Hause könnte es ein Drama geben. „Das mit der Winter-WM ist für die Kinder Mist. Meine Tochter wird keine Lust auf die Schule haben. Wie soll sie dort Fußball gucken?“, sagt Oulhri. Marokko ist mit Kroatien, Kanada und Belgien in einer Gruppe. Zu den Stars zählen der Ex-Dortmunder Achraf Hakimi und Hakim Ziyech vom FC Chelsea.

Argentinien mit Mallorca-Song

Die Argentinier auf der Insel können sogar mit einem eigenen Lied auf die WM hinfiebern. Das Duo „La máquina de flores“, bestehend aus Micaela Díaz und Nicolás Flores, hat den Song „La Scaloneta“ geschrieben. Der Titel setzt sich aus dem Namen des auf Mallorca wohnhaften Nationaltrainers Lionel Scaloni und motoneta zusammen. „Unsere Nationalmannschaft ist wie ein solcher Motorroller. Sieht auf dem ersten Blick eher klapprig und billig aus, ist aber wahnsinnig effektiv“, sagt Flores. Die Albiceleste hat seit 35 Spielen nicht mehr verloren und konnte mit der Copa América 2021 endlich mal wieder einen großen Wettbewerb gewinnen.

Micaela Díaz und Nicolás Flores. Ralf Petzold

England ist zwar das Mutterland des Fußballs, die Argentinier sehen sich selbst aber als die frenetischsten Anhänger. „Für die WM wird alles stehen und liegen gelassen. Die Leute hören mit der Arbeit auf, wenn Argentinien spielt. In der Schule wird der Unterricht abgebrochen“, sagt der Musiker. Da mache es auch wenig aus, dass das Auftaktspiel gegen Saudi-Arabien am Dienstag zur Ortszeit 7 Uhr morgens in Buenos Aires angepfiffen wird. „Das sind wir von anderen WMs gewohnt. Und wäre es mitten in der Nacht, die Leute stellen sich den Wecker und feuern das Team lautstark an. Die wenigen Nachbarn, die sich nicht für Fußball interessieren, haben für den Lärm Verständnis“, sagt Flores. Auf der Insel haben die Latinos keine Probleme mit den Anstoßzeiten. „Die meisten Argentinier auf Mallorca sind Saisonarbeiter und haben derzeit sowieso frei.“

Die Debatten rund um Katar werden unter den Argentiniern kaum geführt. „Höchstens ein paar Experten befassen sich damit. Unter den einfachen Leuten ist das große Thema Messi. Bekommt er bei seiner letzten WM endlich seinen verdienten Titel?“ In der Gruppe muss Argentinien neben Saudi-Arabien gegen Polen und Mexiko ran.

Spanien ignoriert die Probleme

363 Spiele hat Laureano Sanabria Ruiz, Laure genannt, im Profifußball absolviert. Die meisten dafür für Deportivo aus La Coruña. Seit dieser Saison spielt der 37-jährige Abwehrspieler für Atlético Baleares. „Morata, Llorente, Koke – ich habe gegen einige aktuelle Nationalspieler gespielt und treffe sie immer wieder, wenn ich in der Heimat bin“, sagt der Madrilene. Über einen WM-Boykott habe aber keiner seiner Freunde nachgedacht. „Im Endeffekt sind wir Profis und der Fußball unsere Arbeit. Wir müssen tun, was uns gesagt wird.“ In diesem Sinne sollen die Fußballer froh sein, Spanien repräsentieren zu dürfen. „Ich will mich in die politischen Probleme, die es rund um die WM gibt, gar nicht einmischen“, sagt Laure. „Wir haben schon zwei ungewöhnliche Jahre hinter uns. Vielleicht ist so eine Weltmeisterschaft eine Chance, wieder etwas Normalität zu haben.“

Atlético-Baleares-Profi Laure. ATB

Die Meinung des Fußballers ist gewissermaßen stellvertretend für das Land. Gesprochen und geschrieben wird viel über das Turnier. Doch der Fokus liegt meist auf dem Sport. Lediglich einzelne Berichte der großen Medien oder Kommentare hinterfragen, wie Katar die Weltmeisterschaft ausrichtet.

Dass eine Wüsten-WM dann doch nicht so normal ist, gesteht auch der Profi ein. „Besonders die vermeintlich starken Nationalmannschaften werden aber Publikum anziehen, damit auch im Winter Stimmung aufkommt.“ Die Spieler von Atlético Baleares haben sich bereits verabredet, um die Spiele zu sehen. „Da sind vor allem die jungen Kerle dabei. Da ich der Familie Zeit einräumen muss, kann ich nicht mit den Jungs schauen“, sagt Laure.

Deutsche bleiben skeptisch

WM-Fieber in Deutschland? „Null, gar nicht. Weder in den Fenstern noch in den Autos sieht man die Fahnen“, sagt Michael Busse. Der Chef des Fussicamp Cala Millor ist zurzeit in der Heimat seinen Sohn besuchen. Er ist wie viele Deutsche derzeit hin- und hergerissen, ob er sich auf den sportlichen Wettkampf freuen oder über die fehlenden Menschenrechte ärgern soll. „Das Eröffnungsspiel tue ich mir sicher nicht an. Aber am Ende ist das Fußballherz zu groß, und ich bin neugierig, wie unsere junge Truppe abschneidet.“ Der Hamburger setzt auf die Unbekümmertheit von Youssoufa Moukoko und Jamal Musiala, „die uns ins Halbfinale oder sogar ins Endspiel bringen können.“ Doch dürfte man sich über einen deutschen WM-Sieg in Katar freuen? „Gute Frage, auf die ich keine Antwort habe. Da muss jeder für sich entscheiden.“

Michael Busse. Privat

Im Endeffekt sei die WM ja eine große Show. „Die Katarer stecken doch Inder in deutsche Trikots und wollen sie als Fußballfans verkaufen“, sagt Busse und erinnert sich an das Sommermärchen 2006. Busse organisierte damals für einen Sponsor zeitgleich ein Amateurturnier. „Ich war im Hotel mit der Nationalmannschaft von Trinidad & Tobago untergebracht. Es war unglaublich, wie andere Kulturen empfangen wurden und wie weltoffen sich Deutschland gezeigt hat. Dafür steht eine WM. Und gerade das ist in Katar eher nicht vorstellbar“, meint Busse.

Zumindest aus deutscher Sicht. Aus anderen Blickwinkeln ist es eben doch das Highlight des Jahres.

Hier können Sie die WM auf Mallorca sehen

ARD und ZDF übertragen 48 der 64 Spiele, darunter alle des deutschen Teams. Die restlichen Partien zeigt Magenta TV. In Spanien überträgt der öffentliche Sender TVE die Spiele der Spanier, Halbfinale und Endspiel sowie ausgewählte Partien. Alle anderen Begegnungen gibt es auf privaten Sendern, zum Beispiel Movistar+. Wer nicht alleine gucken will, hat viele Kneipen zur Auswahl. Bierkönig, Münchner Kindl und das Deutsche Eck zeigen an der Playa die WM. Im Norden kann man im Legends Alcúdia schauen, im Westen im Henry’s Santa Ponça, im Osten im Balus in Cala Ratjada und in Palma im Hogan’s.

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