Jean-Marie Pfaff über das Torwartdrama bei den Bayern, die Titelfrage und die Suche nach dem "Mia san Mia"

Der Ex-Welttorhüter sucht derzeit ein Haus am Meer auf Mallorca

Jean-Marie Pfaff war mal die Nummer eins der Welt. | FOTO: NELE BENDGENS

Jean-Marie Pfaff war mal die Nummer eins der Welt. | FOTO: NELE BENDGENS / Ralf Petzold

Ralf Petzold

Ralf Petzold

So spannend war es in der Bundesliga schon seit Jahren nicht mehr. Der Titelkampf ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bayern München und Borussia Dortmund. Einer, der weiß, wie sich die Meisterschale in den Fingern anfühlt, ist Jean-Marie Pfaff. Der 69-jährige Belgier spielte von 1982 bis 1988 für die Bayern und holte dreimal den Titel. 1987 wurde er zum besten Torwart der Welt gekürt. Fußballlegende Pelé setzte Pfaff 2004 auf eine von ihm erstellte Liste der besten noch lebenden Fußballer aller Zeiten. Die MZ traf den Belgier im Urlaub auf Mallorca.

Was treiben Sie heute so, Herr Pfaff? Sie sind doch bereits in Rente, nicht wahr?

Das bin ich schon seit meinem Karriereende 1990. Ich war für meine Kinder da und bin es heute für meine Enkel. Wobei ich auch in ganz Europa Vorträge und Lesungen halte – bis zu 100 im Jahr. Da erzähle ich dann, wie man die Nummer eins wird und es auch bleiben kann. Ich habe es vom Straßenfußballer zum Weltstar geschafft. Wobei es damals noch andere Zeiten waren. Bei meiner ersten Profistation in Beveren habe ich für 75 Euro im Monat gespielt und musste meine Klamotten selbst bezahlen. Heute bekommen die Profis die Millionen hinterhergeworfen. Das Geheimnis ist, immer weiterzumachen. Wer Unterstützung braucht, bekommt sie in diesem Geschäft nicht. Wer keine Unterstützung braucht, bekommt sie umsonst.

Sie wohnen in Belgien, sehen sich aber gerade nach einer Bleibe auf Mallorca um?

Für den Urlaub wäre das schön. Irgendwo am Meer. Hier ist immer etwas los. Erstmals auf der Insel war ich vor 53 Jahren mit der belgischen U16-Nationalmannschaft, bei einem offiziellen Turnier. Ich wurde zum besten Spieler gewählt. Es war die erste Flugreise, die ich in meinem Leben gemacht habe. Damals war das noch nicht so modern. Wir sind durch viele Turbulenzen geflogen, und ich habe mir schon ausgemalt, wie wir abstürzen. Das gute Wetter auf Mallorca hat mich aber schon damals beeindruckt.

Haben Sie noch Kontakt zum FC Bayern?

Sehr viel sogar. Ich habe meine zwei Stammplätze in der VIP-Loge. Mit meinen Freunden in Bayern ein Bier trinken – das lasse ich mir nicht entgehen.

So rosig dürfte die Stimmung derzeit nicht sein. Schaffen es die Bayern, die Tabellenführung in den verbleibenden drei Spielen zu verteidigen?

Abgerechnet wird am Ende. Das gilt für ein Spiel, wo man in der Nachspielzeit einen Gegentreffer kassieren kann, und für die Liga. Ich glaube: Bayern gibt das nicht mehr her. Wenn man heutzutage ein Kind vor der Saison fragt, wer deutscher Meister wird, sagt das wie aus der Pistole geschossen: Bayern München. Ich bin sehr enttäuscht über die anderen Clubs aus großen Städten, die es nicht schaffen, Paroli zu bieten.

In München wird dieses Selbstverständnis gerne mit dem Spruch „Mia san Mia“ verbunden. Lothar Matthäus kritisierte zuletzt, dass das abhandengekommen ist …

Bei uns gab es früher innerhalb der Mannschaft auch viel Ärger. Da gab es mal Tritte und Schläge, aber das haben wir in der Kabine geklärt. Es ist ein schöner Spruch, der die Zusammengehörigkeit als Familie bezeichnen soll. Eine Familie macht auch mal schlechte Zeiten durch, dann hilft man sich aber. So etwas gibt es eigentlich in jedem Verein. Jetzt zu sagen, dass das „Mia san Mia“ abhandengekommen ist, halte ich für Quatsch.

Seit der Verpflichtung von Thomas Tuchel geht es gefühlt nur noch bergab. War der Trainerwechsel ein Fehler?

Die Bayern haben 25 Millionen Euro für Nagelsmann ausgegeben, nur um ihn anderthalb Jahre später zu feuern. Ich weiß nicht, ob intern etwas vorgefallen war. Aber der Zeitpunkt der Entlassung war schlecht gewählt. Bayern stand in Pokal, Meisterschaft und Champions League gut da. Da hätten sie warten können, ehe sie aus einem Wettbewerb rausfliegen, um so drastische Maßnahmen zu treffen. Wer das Geld hat, kann sich das erlauben. Im Endeffekt zahlen es aber die Zuschauer. Früher hat ein guter Trainer eine Mannschaft geformt. Heute ist es andersrum. Ein Trainer ist nur gut, wenn sein Team erfolgreich spielt. Er ist von der Mannschaft abhängig.

Nach dem Skiunfall von Manuel Neuer haben Sie sich dafür stark gemacht, Yann Sommer zu verpflichten. Der Schweizer gilt nun bereits als Fehlgriff. Warum hat es nicht geklappt?

Er ist kein Jean-Marie Pfaff, Sepp Maier oder Oliver Kahn. Er war aber ein guter Torwart für diese Situation. Yann Sommer hat das gemacht, was von ihm verlangt wurde. Er kam zu dem Verein, als viel Unruhe herrschte. Es ist nicht einfach, sich so schnell als Torwart in ein Team einzuleben. Ihn trifft keine Schuld. Bei Bayern zu spielen, ist anders als in Gladbach oder der Schweiz. Dort steht Erfolg an erster Stelle. Ich hatte meine schönste Zeit in München, es war aber auch die härteste Phase meines Lebens. Ich musste mit Verletzungen spielen und mich fit spritzen lassen. Solange wir gewonnen haben, hat man uns auf die Schultern geklopft. Sobald man ein Fehler gemacht hat, bekam man sofort auf die Mütze. Fußball ist ein undankbares Geschäft.

Es wurde viel über Yann Sommers Größe debattiert. Er ist mit 1,83 Meter relativ klein.

Ich bin drei Zentimeter kleiner und habe es zum Welttorwart geschafft. Die Größe hilft dir dabei, Flanken abzufangen. Dafür können die kleinen Keeper schneller sein. In Belgien kannte ich mal einen 1,74 Meter großen Torwart. Dany Verlinden hat jahrelang mit Brügge in der ersten Liga gespielt. Dabei war das ein kleiner, dicker Junge. Der hat die Torlinie nicht verlassen, und die Abwehrspieler haben sich entsprechend darauf eingestellt.

Neuer ist 37 Jahre alt. Schafft er es noch einmal, in Top-Form zu kommen?

Wenn der Kopf mitspielt, auf jeden Fall. Bei den Bayern geht es jede zweite Woche gegen kleine Vereine. Dann ist er nicht gefragt. Es kommt darauf an, ob er seine Leistung in den Spitzenspielen der Champions League zeigen kann. Jetzt gilt es zwar, sich von einem schweren Rückschlag zu erholen, aber er muss nur in die Automatismen zurückfinden. Das kann schnell gehen. Ich denke, dass er in der nächsten Saison wieder Stammtorhüter ist.

Neuer gilt vielen als der beste Torwart aller Zeiten. Sehen Sie das auch so?

Qualitativ waren die Torhüter früher besser als heute. Die Keeper heutzutage können kaum noch einen Ball festhalten. Zudem traut sich keiner mehr, den Mund aufzumachen und die Abwehr zu dirigieren. Die jungen Spieler haben nichts erlebt, sie spielen, ohne nachzudenken. Wir mussten damals für 50 Cent die Stunde nebenbei arbeiten. Das hat uns fürs Leben geprägt. Daher kann man die Torhüter nicht über die Generationen hinweg vergleichen. Heute haben die Spieler den Luxus einer Rasenheizung. Selbst bei den Trainingseinheiten. Sie wissen gar nicht mehr, wie es ist, sich mit Knie- und Ellenbogenschützern auf einen zugefrorenen Platz zu werfen.

Mit Sportvorstand Oliver Kahn steht ein Ex-Keeper vor dem Aus. Ist er der falsche Mann für den Chef bei den Bayern?

Er war 25 Jahre lang Torwart und rutscht nun in die Geschäftsebene rein. Als Spieler war er aggressiv. Jetzt muss er lernen, Kompromisse einzugehen und freundlich zu sein.

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